Was wäre wenn… nicht nur träumen von einer Gegenöffentlichkeit.

Der Relaunch des vor knapp zwei Jahren von der Moser Holding eingestellten Boulevardblattes rief auf den Straßen Innsbrucks die unterschiedlichsten Reaktionen hervor: von hocherfreutem Wiedererkennen über wohlwollendes Interesse bis hin zu offener Ablehnung – die Neue polarisierte nach wie vor. Dass sich nunmehr allerdings abweichende, dissidente und träumerische Vorstellungen eines anderen Tirols in das Kleinformat eingeschlichen hatten, fiel oft erst auf den zweiten Blick auf.

Im Rahmen des diesjährigen TKI open 10_communicate! verteilten am 6. November 2010 zwölf Kolporteur_innen eine Wochenend-Sonderausgabe der neu aufgelegten Tiroler Tageszeitung Neue. Der Relaunch des vor knapp zwei Jahren von der Moser Holding eingestellten Boulevardblattes rief auf den Straßen Innsbrucks die unterschiedlichsten Reaktionen hervor: von hocherfreutem Wiedererkennen über wohlwollendes Interesse bis hin zu offener Ablehnung – die Neue polarisierte nach wie vor. Dass sich nunmehr allerdings abweichende, dissidente und träumerische Vorstellungen eines anderen Tirols in das Kleinformat eingeschlichen hatten, fiel oft erst auf den zweiten Blick auf. Der Rückbau der Brennerautobahn als Auftakt eines europäischen Klimaschutzprojekts, die Abschaffung von Sonderschulen, die angekündigte Umstellung der Formel 1 auf Solarbetrieb, komfortable Parkbänke für Innsbrucks Obdachlose, ein nigerianischer Bürgermeisterkandidat und die Eröffnung eines Cafés mit feministisch-lesbischer Buchhandlung sorgten für reichlich Irritation. Dies umso mehr, als der Wiedereinzug der Neuen in die Tiroler Medienlandschaft mit einer Auflage von 10.000 Stück doch recht eindrucksvoll ausgefallen war.

Das für das Wiedererscheinen verantwortlich zeichnende Projektkollektiv aus:druck wollte damit aber nicht einen weiteren Konkurrenten am Zeitungsmarkt installieren, sondern in einer einmaligen Aktion verschiedenen Stimmen eine Plattform für ihre von den Alltagsmedien ausgeschlossenen Meinungen bieten. Und indem das in Österreich vertraute Format des Boulevards gekapert wurde, sollte eine Strategie zur Wiederaneignung des medialen Raums erprobt und eine mögliche Öffentlichkeit getestet werden.

Gegenöffentlichkeiten schaffen

Der Vergleich europäischer Printmedien zeigt, dass österreichische Tageszeitungen – gemessen an ihrer Auflage – eine erstaunlich hohe Reichweite besitzen. Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, hierzulande herrsche ein besonders günstiges Klima für mediale Vielfalt und plurale Öffentlichkeit. Im Gegenteil, bezieht sich die vermeintlich hohe Anzahl der Leser_innen doch auf den Erfolg einiger weniger Blätter. Neben der Kronenzeitung sind es vor allem die regionalen Zeitungen, die ihre Deutungshoheit zu verteidigen wissen. Gerade in Tirol, wo die ebenfalls zur Moser Holding gehörende Tiroler Tageszeitung mit einer täglichen Auflage von 110.000 Stück die Region quasi flächendeckend beschreibt, gibt der Mainstream den Horizont des möglich Denkbaren vor, indem er Sichtbarkeiten schafft und zugleich Unsichtbarkeiten zementiert. Alternative Medienprojekte wie die in Tirol erscheinende Straßenzeitung 20er oder das neu gegründete Kulturmagazin mole schaffen zwar Teilöffentlichkeiten, können aber keine Gegenöffentlichkeiten auf breiterer Basis begründen.

Die zunehmende Medialisierung des Öffentlichen führt dabei zu der entscheidenden Frage, inwieweit diese Öffentlichkeit nur noch ein positives, weil konsensuales Image zu reproduzieren hat, oder aber ihre Rolle als ein umkämpfter Ort sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Interessen sichtbar gemacht werden kann. In einer medialisierten Öffentlichkeit transportieren sich Vorstellungen von Kultur und Gesellschaft über sozial akzeptierte Codes. Es sind eben diese Codes, die ein bestimmtes System von Symbolen repräsentieren und deren Definition die kulturelle Hegemonie über unseren Alltagsverstand festschreibt. Diskriminierende Strukturen werden auf diesem Weg ebenso normalisiert, wie alternative Konzepte und dissidente Meinungen negiert. Beispielsweise wird das Denkbare von einem bestimmten Pragmatismus eingegrenzt, welcher sich an ökonomischen und politischen Faktizitäten orientiert. Utopien sind demnach negativ besetzt, da sie mit dem Makel des Unrealistischen und Irrealen versehen werden. Die symbolische Herrschaft der Medienindustrie, die sich gerade auch im Printbereich durch eine stärker werdende Monopolisierung auszeichnet, schreibt sich so immer tiefer in das politische und kulturelle Bewusstsein unserer Gesellschaft ein.

Mit dem vorgetäuschten Relaunch der Neuen sollte dagegen eine tagesjournalistische Bühne eröffnet werden, um eigene Träume in Bezug auf das soziale, politische und kulturelle Leben zu entwerfen. Hierzu eingeladen wurden in Tirol arbeitende und lebende Menschen, deren berufliches und/oder politisches Engagement – im Bereich von Migration, Feminismus, Sozial- und Jugendarbeit etc. – in der bestehenden Öffentlichkeit kaum bis negativ rezipiert wird. Ein Umstand, der durch den gezielten Eingriff zumindest kurzfristig außer Kraft gesetzt werden sollte. Die redaktionelle Vorgabe war dabei, einen Blick in die Zukunft zu werfen und somit gewonnene Vorstellungen auf Text- und Bildebene miteinander zu verknüpfen. Wie sieht die Gesellschaft in Tirol und v. a. bezogen auf das eigene Aktionsfeld morgen aus? Wer macht dann in welcher Form mit? Unter welchen politischen Bedingungen? Welche kommunikativen Strukturen wünschen wir uns für ein solches Morgen? Und welche Grenzen müssen bis dahin überwunden werden, welche Mauern gilt es einzureißen? Zur Beantwortung dieser Fragen sollte aber nicht die Produktion abstrakter Utopien angestoßen werden, sondern das In-Worte-Fassen konkreter Träume, immer in Bezug auf die lokalen Gegebenheiten und die aktuellen Bedingungen nicht-konformen Lebens in Tirol.

Die Reaktionen auf der Straße belegen, dass der Fake absolut gelungen ist. Dabei war nicht nur der Wiedererkennungseffekt von Vorteil, sondern das Spiel mit dem vertrauten Format des Boulevards erwies sich als geeignete Strategie, wahre Ereignisse mit Hilfe erfundener Tatsachen zu schaffen. Dies äußerte sich teilweise auch in entrüsteten Reaktionen auf durchaus ernst gemeinte Beiträge. „Die Art von Fake, welche die Leute von aus:druck hier vorführen, dient dem Zweck, mehr reale Informationen in den medialen Raum einzuschleusen“, so die international nicht zuletzt wegen ihrer gefälschten Ausgabe der New York Times bekannt gewordene Künstler_innengruppe The Yes Men. Dabei handelt es sich „um eine notwendige Strategie in einer Welt, die zunehmend von Profit-Interessen dominiert wird, in der sich Werbung und kommerzielle PR als Journalismus tarnen und es für die Öffentlichkeit immer schwieriger wird, abweichende Meinungen in den Mainstream-Medien zu finden.“

Widersprüche offenlegen

Der Versuch mit dem Relaunch der Neuen, eine – zumindest punktuelle – Gegenöffentlichkeit mit breiter Leser_innenschaft herzustellen, ist als ein dezidiert politisches und nicht allein künstlerisches Projekt zu verstehen. Das zu schaffende Medium sollte einerseits von den entsprechenden Akteur_innen zur eigenen sozialen und politischen Positionierung genutzt werden, andererseits mit der Erwartungshaltung der überrumpelten Leser_innen spielen. Der Reiz bestand darin, sich die gewohnten Codes des Tagesjournalismus anzueignen, um auf diese Weise Inhalte zu transportieren, welche üblicherweise nicht in einem derartigen Rahmen kommuniziert werden. Dieses Spannungsverhältnis aus Form und Inhalt und die ambivalente Erfahrung angesichts einer etwas anderen Tageszeitung sollten zu einer aktiven Suche nach Bedeutung und Sinngebung medialer Codes anregen, um somit die vermeintliche Natürlichkeit herrschender Diskurse zu hinterfragen.

In der Konzeption und Umsetzung bewegt sich unser Projekt eindeutig im Kontext medienaktivistischer Interventionen. So sind es gerade kreative Formen der Medienaneignung, die seit den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Neben der Schaffung eigener Medien für den aktivistischen Einsatz handelt es sich dabei v. a. um gezielte Manipulationen bestehender Formate, welche sodann für die eigenen Zwecke umgedeutet werden. Insbesondere die Yes Men gelten hier als erfolgreiches Beispiel, wie mittels gefakter Homepages eine Kritik der Überaffirmation funktionieren und durch die Instrumentalisierung der Mainstream-Medien bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse kurzfristig auf den Kopf gestellt werden können. Denn für die Yes Men sind solche Fakes „nicht nur eine legitime aktivistische Kommunikationsstrategie und Kunstpraxis, sondern sie dienen auch dazu, Wahrheiten offenzulegen, die ansonsten unsichtbar bleiben würden“.

Während in der gefakten New York Times der Irak-Krieg für beendet erklärt wurde und sich die Arbeit der Yes Men auch sonst stärker globalen Themen widmet, war es uns wichtig, eine Zeitung zu machen, die ausgehend von lokalen Konflikten utopisches Potenzial zu erzeugen im Stande ist. Dieser räumliche Fokus sollte unsere Utopien greifbarer machen, da die Leser_innen in diese direkt involviert sind. Ganz dem Boulevard verpflichtet schrieb sich dieser Lokalaugenschein in das Bild einer sensationsgierigen Berichterstattung ein.

Doch im Gegensatz zu Hansel Satos Zeitungsfake Österreichische Nachrichten, welcher die Inhalte des Boulevards überspitzt und damit ad absurdum führt, wollten wir dezidiert positive Utopien verbreiten. Uns war es wichtig, alternative Inhalte in den medialen Raum zu schmuggeln, um inhaltliche Grenzziehungen zu überschreiten. Im Mittelpunkt standen dabei Individuen und Gruppen, die im Medienalltag an den Rand geschrieben, dort beschrieben, zum Teil auch abgeschrieben werden: Anders als der Mainstream wollte unsere Intervention die Zuschreibungen in aktive Selbst-Artikulation verwandeln.

Leider konnte der Anspruch, das Sprechen-Über des Mainstreams in ein Für-Sich-Sprechen zu verwandeln, nur teilweise umgesetzt werden. Wie in vergleichbaren Projekten medienaktivistischer Aneignungen zu beobachten, blieben wir in einem erneuten Sprechen-Für stecken, zumal ein Großteil der Texte wiederum von Personen, Organisationen und Gruppen, welche die eigentlich angesprochenen Menschen vertreten, verfasst wurde. Die medialen Kontrollsysteme lassen sich auch hier nicht so einfach aus den Angeln heben. Nichtsdestoweniger glauben wir, dass es auch weiterhin der medialen Raumnahme bedarf, um gesellschaftliche Widersprüche offenzulegen und herrschende Machtverhältnisse anzugreifen.

Das Projektkollektiv aus:druck hat sich im Zuge des TKI open 10_communicate! zusammengefunden und besteht aus Clemens Apprich, Magdalena Freudenschuß, Kathrin Kofler und Martin Mauersberg.

Vergleichbare Zeitungsfakes
Das vermeintliche Boulevardblatt Österreichische Nachrichten
Die gefälschte Ausgabe der New York Times

Ähnliche Artikel

Innovation, freie Szene Mit dem Schlagwort Innovation wird heutzutage häufig getrennt, was marktwirtschaftlich fähig und was nicht tragfähig ist, beziehungsweise versucht marktkonform zu machen, was nicht ökonomischen Grundsätzen folgt. Wie kann man Innovation in der Kunst und Kultur denken, ohne sie diesen Anforderungen preis zu geben? Was bedeutet innovativ in ihrer eigenen Logik? Was ist ein innovatives Projekt in der freien Szene?</p Und wozu gibt es eigene Förderschienen neben
Mediale Roma-Bilder zwischen Mehrheitsgesellschaft und Selbstorganisation.
Der Freispruch vom 2. Mai ist immer noch nicht gültig. Der Staatsanwalt hat Berufung angemeldet, ob er tatsächlich berufen wird, ist ungewiss. Das Urteil liegt mündlich vor, die schriftliche Urteilsbegründung lässt aber auf sich warten.