Vielfältige Rechtsauslegungen

Viele Kulturschaffende und Kulturinteressierte sind sich darin einig, dass die Maßnahmen des souveränen Staates Österreich nicht angemessen sind, da sie zu einer ständig prekären ökonomischen Situation von Kulturschaffenden führen. Und einige von ihnen meinen nun, dass sie den Königsweg zur nachhaltigen Verbesserung dieser Situation gefunden haben, nämlich die konsequente Durchsetzung des Urheberrechts.

Die UNESCO-Konvention zu kultureller Vielfalt und das Urheberrecht. 

Im Jahr 2006 hat Österreich das UNESCO-Übereinkommen zu kultureller Vielfalt unterzeichnet, das auf der Auffassung beruht, dass Kultur keine Ware oder Dienstleistung im üblichen Sinn ist, da sie gesellschaftliche Leistungen erfüllt, die nicht den Marktgesetzen unterworfen werden sollen. Daher benötigt Kultur besonderen Schutz und besondere Förderung.

Wie genau dieser Schutz und diese Förderung aussehen sollen, legt die Konvention nicht fest, sondern sie bekräftigt „das souveräne Recht der Staaten (…), die Politik und die Maßnahmen beizubehalten, zu beschließen und umzusetzen, die sie für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in ihrem Hoheitsgebiet für angemessen erachten“.

Viele Kulturschaffende und Kulturinteressierte sind sich darin einig, dass die Maßnahmen des souveränen Staates Österreich nicht angemessen sind, da sie zu einer ständig prekären ökonomischen Situation von Kulturschaffenden führen. Und einige von ihnen meinen nun, dass sie den Königsweg zur nachhaltigen Verbesserung dieser Situation gefunden haben, nämlich die konsequente Durchsetzung des Urheberrechts. Das Hauptargument für diese Lösung lautet, dass Künstler_innen ein Recht auf Bezahlung ihrer Leistung haben. Und dass künstlerische Leistungen und damit kulturelle Vielfalt in Gefahr sind, wenn Künstler_innen um ihr Einkommen gebracht werden.

Ein künstlicher Markt und seine Probleme

Das ist nun schwer zu bestreiten – die Romantiker_innen, die meinen, dass verhungernde Künstler_innen besonders herausragende kreative Leistungen erbringen, sind wohl gemeinsam mit Spitzwegs armem Poeten ausgestorben. Die Frage ist also nicht das Ziel, sondern der Weg. Der nach Meinung von „Kunst hat Recht“ wiederum über einen Markt führt. Und da dieser nicht automatisch funktioniert – siehe oben –, muss er vom Staat geschaffen werden. Denn Märkte funktionieren nur für Güter, die jeweils nur einem/r Konsument_in zur Verfügung stehen: Das Brot, das ich esse, kann kein/e andere/r essen. Das Buch, das ich lese, können auch viele andere Leute lesen – nachdem sie es etwa in den Kopierer gelegt haben. Und heutzutage genügt ein Download, um den Inhalt des Buches auf dem eigenen PC zu haben.

Die Durchsetzung dieses künstlich geschaffenen Marktes wird immer teurer und braucht immer mehr Kontrolle. Allerdings legt Artikel 1 der Konvention fest: „Die kulturelle Vielfalt kann nur dann geschützt und gefördert werden, wenn die Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie die freie Meinungsäußerung, die Informations- und die Kommunikationsfreiheit (…), garantiert sind.“ Die Informationsfreiheit wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass Informationen kostenpflichtig sind – sehr wohl aber werden Grundfreiheiten durch die Kontrollen gefährdet, die für eine effektive Durchsetzung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter notwendig sind. Die kulturelle Vielfalt, die das Urheberrecht angeblich auf der Seite der Produzent_innen schützt, gefährdet also für die Rezipient_innen den „gleichberechtigte(n) Zugang zu einem reichen und vielfältigen Spektrum kultureller Ausdrucksformen aus der ganzen Welt“.

Vielfalt des kulturellen Schaffens

Dass kulturelle Leistungen ihrer Natur nach einer großen Anzahl von Nutzer_innen zur Verfügung stehen, ist aber nicht der einzige Grund dafür, sie nicht über Märkte zu handeln. Auch schafft „die kulturelle Vielfalt eine reiche und vielfältige Welt (…), wodurch die Wahlmöglichkeiten erhöht und die menschlichen Fähigkeiten und Werte bereichert werden (…)“. Solche Leistungen erfordern eine andere Art der Finanzierung, als sie über (auch künstlich geschaffene) Märkte möglich ist. Denn auch diejenigen profitieren von kulturellen Leistungen, die niemals ein Buch lesen, geschweige denn eines kaufen. Der Markt, den das Urheberrecht schafft, führt also auch dann zu einer Unterbezahlung von Kulturschaffenden, wenn er tatsächlich funktionieren sollte.

Und er hemmt zusätzlich kulturelles Schaffen, das sich dem Begriff des „eigenständigen Werks“ entzieht und etwa auf Techniken des Sampling oder der Verfremdung beruht. Eine Form kultureller Leistungen, die der Initiative Kunst hat Recht suspekt ist, wie ein Kommentar von Gerhard Ruiss verdeutlicht, in dem er „Begriffe (…) wie ‚Mix‘. ‚Remix‘, ‚Mashup‘. ‚User Generated Content‘ oder ‚webbasierte Intertextualität‘“ mit „Wissenschaftsplagiaten wie dem (von) (…) Guttenberg“ in Verbindung bringt (Ruiss 2012).

Was hier verhandelt wird, sind grundlegend unterschiedliche Auffassungen von Kunst und Kultur – als individuelle Leistung und damit Privateigentum oder als Ausdruck kollektiven Denkens und kollektiver Fantasie. Hier geht es um Weltverständnisse und Gesellschaftsmodelle, und diese Debatte würde eine sehr viel ausführlichere und weniger oberflächliche Diskussion erfordern, als sie bisher stattfand. Die Konvention formuliert hier salomonisch, „dass die Kultur in Zeit und Raum vielfältige Formen annimmt“. Vielleicht lässt sich daraus ableiten, dass auch die Mix-/Remix-/Mashup- etc. Kunst im Sinne kultureller Vielfalt Recht(e) hat.

Monika Mokre ist Vorstandsmitglied bei FOKUS, der Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien.

Literatur

Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, BGBl. III, ausgegeben am 21. März 2007, Nr. 34., PDF 2012-03-29

Ruiss, Gerhard (2012), Nutzer-Wunschzettel und Netzrealität, 2012-03-29

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