Theorien des Internet zur Einführung

Martin Warnke: Theorien des Internet zur Einführung
Hamburg: Junius 2011

Über Facebook koordinierte Revolten, Myspace als Sprungbrett für DJ-Karrieren und ihre Jahresberichte twitternde Großunternehmen – die „sozialen Medien“ sind aus unserer vernetzten Lebenswelt nicht mehr wegzudenken. Jedoch ist das Wissen um das Netz der Netze zumeist nur spärlich gesät: Für die meisten Nutzer/innen besteht kein Unterschied zwischen einer bloßen Anwendung wie dem WorldWideWeb (WWW) und der dahinter liegenden Infrastruktur, dem weltumspannenden Internet. Letzteres besteht seit nunmehr 40 Jahren und unterlag im Laufe seiner Geschichte einem beständigen Wandel. Diesen beschreibt Martin Warnke in seiner kürzlich im Junius Verlag erschienen Einführung in die „Theorien des Internet“ und stellt sich dabei der Herausforderung, ein gerade durch seine Fluktuation charakterisiertes Phänomen in den Blick zu bekommen. Somit geht es dem Leiter des „Instituts für Kultur und Ästhetik digitaler Medien“ (ICAM) an der Leuphana Universität auch weder um eine Bestandsaufnahme digitaler Anwendungen und Dienste noch um eine Theorie der Internetgeschichtsschreibung selbst, sondern um die genealogische Aufarbeitung eines emergent wachsenden Systems, das sich der technischen Planung und Vorhersage – so die These – zunehmend entzieht: der Kontrollverzicht als Ordnungsprinzip von Internettechnologien.

Um die „Beständigkeit des Wandels“ zu beschreiben, gliedert sich das Buch in fünf Abschnitte, welche letztlich von einer Theorie – tatsächlich handelt es sich nämlich um eine Einführung in diese eine Theorie – des Internet abgeschlossen werden. Ausgehend von einem historischen Rückblick in die Entwicklungsgeschichte des Internet, vom anfänglichen ARPAnet bis hin zur massenhaften Verbreitung durch das WWW, beschäftigt sich der zweite Teil mit der technologischen Struktur des globalen Computernetzes. Dieses definiert Warnke als ein Gewebe technischer Elemente, das einerseits das Funktionieren des Netzwerkes ermöglicht, andererseits den kontingenten Wandel seiner einzelnen Dienste erklärt. In den darauf folgenden Kapiteln geht es um die Wissenschaft, die Ökonomie bzw. die Kultur des Netzes, wobei sich hier bemerkenswerte Umbrüche in der informationellen Landschaft zeigen. Gerade die Transformation von vormals isolierten Medien hin zu „sozialen Medien“ ermöglicht die Konstitution neuer Wissensfelder, wie sie im fünften Kapitel anhand einer neuen Kultur des Lesens dargestellt werden.

Den Schluss des Buches bildet eine theoretische Beschreibung jener Wesenszüge, welche für Warnke den zuvor beschriebenen Wandel in seiner Beständigkeit ausmachen. Anhand von drei Entwicklungsphasen bestimmt er das Wechselverhältnis zwischen formaler Berechenbarkeit und zunehmender Kontingenz innerhalb der Computerkultur, welches zugleich einem chronologischen Ablauf folgt: War die Turingmaschine noch als isoliertes Modell gedacht, um damit die Grenze der Berechenbarkeit zu bestimmen, bricht mit der Einführung des „Human-Computer Interface Design“ der Mensch als kontingentes Außen in den Rechenprozess ein. Doch erst die zunehmende Vernetzung von Menschen und Maschinen in einem weltweiten Computernetzwerk ermöglicht das Entstehen eines emergenten, in seiner technologischen Entwicklung nicht mehr vorhersehbaren Systems. Diese an Niklas Luhmann geschulte Theorie des Internet behauptet schließlich die „Unkontrollierbarkeit“ einer solch vernetzten Umgebung, zumal es in „sozialen Netzwerken“ keine/n einzelne/n Planer/in mehr geben kann. Eine These, die angesichts langjähriger Bestrebungen von staatlicher und kommerzieller Seite, den Internet-Geist wieder in seine Flasche zu sperren, gewagt klingt, aber möglicherweise gerade deswegen die Diskussion um neue Kontrollregimes anstoßen könnte.

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