Schrey Kunst, Schrey

Irrungen und Wirrungen in den quasi-apriorischen Grundlagen der Initiative „Kunst hat Recht“.

„Schrey Kunst, schrey und klag dich sehr, dein begehrt jetzt Niemand mehr“ hat der Maler Lukas Moser im Jahr 1432 auf dem Außenrand des Tiefenbronner Magdalenenaltars vermerkt, und – wiewohl seine Klage für diese Zeit doch ungewöhnlich sein mag – das Verhältnis von Kunst und Kosmos ist von je her spannungsgeladen im Ringen um das richtige Verhältnis zur Welt und den rechten Platz in der Welt. Unverstandensein ist eine der Grundempfindungen im antagonistischen Verhältnis beider Sphären, und wo sie aufeinandertreffen, herrscht selten eitel Sonnenschein. Wo jedoch die Verbindung zwischen Kunst und Welt zu zerbrechen droht, stehen sich beide nur mehr – bei aller Wortgewalt – sprachlos gegenüber.

Die Initiative „Kunst hat Recht“ erhebt seit ihrer Gründung den Anspruch, Anliegen der österreichischen Kunst- und Kulturszene zu vertreten. Mit dem so genannten „Weißbuch zur Bedeutung des geistigen Eigentums für Österreichs Kunstschaffende“ (2013) hat die Gruppierung nun einen Einblick in die geistigen Grundlagen ihrer Interpretation kultureller und ökonomischer Entwicklungen der Gegenwart gegeben. Der folgende Text ist der Versuch, die eigene Sprachlosigkeit angesichts des im „Weißbuch“ Dargebotenen zu überwinden.

Dass die Aussagen „Kunst hat Rechte“ und „Kunst hat Recht“ zwei Paar Schuhe in unterschiedlichen Größen sind, darauf ist zur Genüge hingewiesen worden; geschenkt. Die Initiative will ernst genommen werden und soll auch ernst genommen werden, und das nicht, weil zudem andere, machtvollere Interessen dahinterstehen mögen.

Krise des Marktes = Krise der Gesellschaft?

Das Anliegen von „Kunst hat Recht“ ist nicht nur bei näherem Hinsehen ein gesellschaftliches: So warnt der Spielfilmproduzent Danny Krausz vor „gesellschaftliche[n] Verfallsformen, wo Werte ganz grundsätzlich nicht mehr geachtet“, „bagatellisiert“ werden oder gar „unbeantwortet bleiben“ (S. 32). Dabei sind diese Formen der Depravation, die laut Krausz in unserer Gesellschaft in Österreich und sicher auch anderswo zu beobachten sein sollen, nicht, wie wir vielleicht vermuten würden, dem Relativismus oder der Abwendung vom traditionellen heteronormativen Familienbild geschuldet, sondern, um, ein Beispiel zu nennen, den politisch unbeantworteten „Mindereinnahmen [von] 30 % im Kinobereich und 40 % im DVD-Bereich“ (Danny Krausz, S. 32); auch für Johannes Staud „ist zu spüren, dass der CD-Markt (nicht nur der zeitgenössischen Musik) zusammenbricht“ (S. 38), ja die ganze Musikindustrie, wie es an anderer Stelle Christof Straub formuliert, in einem „Niedergang“ begriffen sei und der „Rückgang der Verkaufszahlen von Musik [...] sich 1:1 auf die Einnahmen“ auswirke, wodurch „die Existenz von talentierten und hart arbeitenden Menschen in der Musikszene zunehmend bedroht“ werde (S. 10). Kreative geraten durch diesen „Einkommensverlust in die Sackgasse der Selbstausbeutung“ (Barbara Neuwirth, S. 6), was einen „unwürdige[n] Umgang mit dem kreativen Potential einer Gesellschaft“ darstelle: Kunstschaffende „wollen und können es [sich] nicht leisten, in einem zwar kulturell geachteten, aber wirtschaftlich entwerteten Sektor zu arbeiten“ (S. 6). Ulrike Truger betont ebenfalls die Notwendigkeit eines „würdigen Umgangs“ mit diesem Potential (S. 18), denn der „Einsatz – die ,Investition' – Kunstschaffender [sei] enorm, künstlerische Arbeit [...] oft unbezahlt und selbstfinanziert“ (S.18).

So weit, so im Einzelfall richtig. Jedoch: Kann man – beispielsweise historisch – plausibel argumentieren, dass die Einführung des Verbrennungsmotors den Niedergang des Transportwesens verursacht hat, weil er technisch die Pferdedroschke ersetzt hat? Richtig ist vielmehr: Nicht das Transportwesen ist zusammengebrochen, nur jene Unternehmen, die immer noch anspannen ließen, als die Konkurrenz ihnen im Wortsinne „davonfuhr“, sind verschwunden – oder betreiben heute ein Nischendasein als touristische Attraktion. Die Koppelung der Erwartung eigenen materiellen Erfolgs an das Bestehenbleiben von technischen Errungenschaften oder Vermarktungsmodellen hatte noch nie einen „Sitz im Leben“, war immer, nicht nur vom ökonomischen Standpunkt aus: unrealistisch.

Zudem scheint mir, dass die Klage der Initiative gänzlich falsch adressiert ist: Denn wer hat denn den vor über zehn Jahren einsetzenden Medienwandel (nachweislich in der Musikbranche) verschlafen und damit die Kreativen in diese Situation gebracht? In einer freien Marktwirtschaft geben nicht Staat und Gesellschaft die Geschäftsmodelle und Absatzkanäle vor, sondern die am Markt teilnehmenden Wirtschaftsunternehmen. Den Berichten der Movie Picture Association of America zufolge ist die Zahl der Film-Neuveröffentlichungen zwischen 2002 und 2011 um 28% gestiegen, die Kartenverkäufe in den U.S.A. sind dabei auf dem Niveau von 9 bis 10 Milliarden Dollar pro Jahr im selben Zeitraum stabil. Von einer Kreativitäts- oder Produktionskrise kann auch angesichts der jährlich auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellten Neuerscheinungen (78.896 in 2002 und 96.273 in 2011) kaum die Rede sein (der Umsatz zu Endverbraucherpreisen ist dabei relativ stabil: 9,22 Mrd. Euro in 2002; 9,33 Mrd. Euro in 2006; 9,11 Mrd. Euro in 2011).

Wir sprechen hier von den vermittelnden Wirtschaftsunternehmen, für die und in denen Kreative und Kunstschaffende tätig sind und die ihrerseits für Einzelne vertraglich vereinbarte Dienstleistungen erbringen (Verlage: Lektorat, Satz, Druck, Übersetzung, Rechteverwertung, Vermarktung und Vertrieb).

Das genannte „kreative Potential“ nimmt also aktiv am Marktgeschehen teil, bietet direkt oder – was die Regel ist – indirekt über die „Intermediären“ (also Verlage, Produktionsfirmen usw.) ihre Werke oder Dienste an. Kunstschaffen ist darum zumeist selbstständiges bzw. freiberufliches Tätigsein, wobei die „Arbeitsleistung [...] durch den Kauf und die Verwendung des Werkes bezahlt“ wird (Gerhard Ruiss, S. 82). Einerseits sieht die Initiative „Kunst hat Recht“ folgerichtig die Kunstschaffenden als Berufsgruppe „wie jede andere auch“ (S. 7), so wie Karl-Markus Gauß davon überzeugt ist, dass er „[s]einem Beruf als Schriftsteller [...] nur nachgehen [kann], wenn er ein Beruf bleibt“ (S. 14).

Andererseits aber prangert Mercedes Echerer genau diese die Haltung an, nämlich, dass „künstlerische Arbeit – wie der Fachjargon der Politik vorgibt – ,verbraucht oder konsumiert’ werden kann, der künstlerische Prozess also eine ,Dienstleistung wie jede andere’ ist“ (S. 50). Diesen herausragenden Stellenwert von Kunst für die Gesellschaft betont auch der Musiker Andy Baum: „Eine Gesellschaft, die den Sinn für den Wert ihrer Kunst und ihrer Träume verliert, ist eine verlorene Gesellschaft. Die Kunst wird gerne als der Spiegel der Gesellschaft aus der sie entsteht bezeichnet – was also, wenn nun diese Kunst nichts mehr wert ist?“ (S. 76) Wer wollte eine ähnliche Lanze für das Elektrohandwerk oder das Gastgewerbe brechen?

Unwillige möchten in dieser Diskrepanz die Haltung des „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ sehen. Teilnahme am Markt durch Verkauf der eigenen Werke: „Ja“, Teilhabe an auch schmerzhaften Umbrüchen und Neuentwicklungen „in guten wie in schlechten Zeiten“: „Nein“. Stattdessen soll die Gesellschaft für ein, wie die Musikerin Cornelia Mooswalder es ausdrückt, „intaktes System“ sorgen, das hauptberufliches Kunstschaffen „sichert“ (S. 23).

Was bedeutet eigentlich: Gratiskultur?

Die Idee, dass Kunst einen Spiegel der Gesellschaft darstellt, wird verbunden mit dem Anspruch, nicht ein mit und in ihr existierender Teil zu sein: Kunst als Kaste. Diese Weigerung, sich an Veränderungen in der Gesellschaft anzupassen und stattdessen zu erwarten, dass die Gesellschaft den Status Quo erhalte, wird auch in der grundsätzlichen Ablehnung der Verbindung von technischem und legistischem Fortschritt deutlich: „Was technisch möglich ist, hat sich durchgesetzt, nicht das, was erlaubt und fair ist. Das muss sich ändern“ (Peter Legat, S. 75). Man könnte fragen, wie er – künstlerischer Spiegel der Gesellschaft – über das bestehende Verbot künstlicher Befruchtung für alleinstehende Frauen und gleichgeschlechtliche Paare denkt.

Wie eingangs gesagt, das Anliegen von „Kunst hat Recht“ ist ein gesellschaftliches, die von der Initiative analysierten und benannten Probleme (Niedergang der Musikindustrie, wirtschaftliche Entwertung eines ganzen Sektors, Selbstausbeutung, fehlende Existenzsicherung im Hauptberuf usw.) finden – so „Kunst hat Recht“ – ihre Heilung in der durchgängigen Kommerzialisierung der Gesellschaft, vulgo: im Kampf gegen die „Gratiskultur“. Denn es gilt: „Was nichts kostet, ist nichts wert“ (S. 68, auch Christof Straub, S. 10). Unisono wenden sich die Initiative und ihre Mitglieder gegen die „Gratis-Mentalität“ in unserer modernen Gesellschaft (S. 5, 6, 10 [3x], 15 [2x], 18, 26, 37, 47, 50, 61, 69).

Dass Kreativität, die sich in einer Leistung manifestiert, bezahlt werden soll, gerade dann, wenn das entstandene Werk wiederum zur Ware auf dem Markt wird, steht außer Frage. „Kunst hat Recht“ wendet sich jedoch ausdrücklich nicht an Verlage, Musik- oder Filmproduktionsunternehmen, sondern an jene, die Musik, Film, Text und Ton „konsumieren“, „verbrauchen“ oder „gebrauchen“. „Es ist nur recht und billig, dass Kunst etwas kostet“, sagt Helmut Peschina (S. 73) und meint uns alle, die wir – allein in Wien! – in der warmen Jahreszeit Live-Aufführungen der Staatsoper oder das Filmfestival am Rathausplatz über Großbildschirme verfolgen oder uns einen Film oder ein Buch zu Gemüte führen, das uns die Stadt Wien geschenkt hat! Gratis, ja: gratis, kostenlos und umsonst! – Und wahrscheinlich „vergebens“, da Thomas Stipits ja „Recht hat“ (S. 37). Auch kommerzielle, das heißt werbefinanzierte und andere öffentliche Rundfunk- und Fernsehangebote müssen hier erwähnt werden, haben sie uns doch über Jahrzehnte kunst- und kulturfeindlich angefixt auf die harte Droge „Internet“. Kostenfreie Ausbildung an Hochschulen und Universitäten, Weiterbildung in öffentlichen Bibliotheken? – Weg damit, denn: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Auch in privaten Beziehungen müssen wir kunstfördernd wohl „kostenlos“ mit „wertlos“ assoziieren – darum: rentafriend.com („starts at just $10 an hour“)!

„Kunst hat Recht“ erliegt dem logischen Fehlschluss cum hoc est propter hoc („mit diesem ist deswegen“): Eine wie auch immer existierende „Gratis-Kultur“ im Internet oder anderswo hat nichts mit der gemeinsam auftretenden Verschlechterung der künstlerischen Einkommensverhältnisse zu tun. Vielmehr resultieren diese aus der falschen oder fehlenden Reaktion auf technische und gesellschaftliche Weiterentwicklungen, für die das Internet ein Zeichen und ein Motor ist.

Anders gesagt: „Kunst hat Recht“ zeigt nicht auf das Problem, sondern ist selbst das Problem.

Joachim Losehand ist Kulturhistoriker, lebt und arbeitet in Wien zu digitaler Kultur, Medien-, Immaterialgüterrecht im 21. Jahrhundert und ist koordinierender Leiter des Studienprojekts „Die rechtliche Situation von Online-Rundfunk und Medienarchiven in Österreich und Möglichkeiten ihrer Verbesserung“ im VFRÖ sowie Koordinator der Veranstaltungsreihe „ur21“ bei VIBE.

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