Open Space

Schließlich hat als Spitze des vermarkteten Kunsteisbergs nun auch die geschichtsträchtige Bawag Foundation einen „völlig neuen Off-Space für KünstlerInnen“ (so die Eigendefinition) eröffnet, in dem, und das schmerzt ein wenig, selbst die Chicks on Speed zu Kuratorinnen werden – unter dem wanna-be-radikalen Motto „young and reckless“.

Alles, was Rang und Namen hat in der Szene der postkonzeptionellen Künstler*innen, der ästhetisch versierten Antirassist*innen, der Dokumentarfilm-Infragesteller*innen, stellt seit Jänner 2008 in Gülsen Bals showroom Open Space aus. Die Linien, entlang derer die Vernetzung von politischen Kunstkonzepten hier stattfinden, entbehren schon aufgrund der Betitelung der Ausstellungen (etwa acht pro Jahr) jeder Missverständlichkeit: On Xenophobia redux heißt etwa die von Rage und Rych kuratierte Aus- bzw. Vorstellung der antirassistischen Kunstdatenbank xeno.no, mit der zwischen März und April 2008 die Räumlichkeiten am Lassingleithnerplatz bespielt wurden. Im Frühherbst kuratierte Gülsen Bal selbst und brachte unter dem Titel I myself am war Positionen von Oliver Ressler, Erinç Seymen und Moira Zoitl in den 12 Wänden unter. Grenzen überschreiten, Regionen verbinden, Netzwerke knüpfen – das versteht Bal als notwendige Funktionen von Open Space, ihrem „ersten Baby“, wie sie mit ironischem Unterton zu Protokoll gibt. Wie konkret das Grenzenüberschreiten werden kann, musste etwa Erinç Seymen erfahren, als er wegen eines abgelehnten Visumsantrages nicht zur Eröffnung seiner eigenen Ausstellung kommen konnte.

Radikal positionierte Elite

Zur Jahreswende schließlich wurde Walter Seidl eingeladen, Structures of Radicality zu kuratieren und stellte dabei die ganz grundlegende Frage nach Möglichkeiten, sich mit Kunstproduktion überhaupt radikal zu positionieren. Wobei Radikalität dann gern auch elitär ist, wenn wir das Programm mit einem verliebten Blick auf die Massen lesen: „Das Ausstellungskonzept konzentriert sich auf Werke, die hegemoniale Strukturen hinterfragen, und verweist auf die Notwendigkeit einer ästhetischen und politischen Perspektive und Haltung, die außerhalb jeglicher Massentauglichkeit operiert.“ Außerhalb der Massen politische Kunst produzieren? Für wen dann und für wessen Diskurs? Allerdings muss der Kritik gleich wieder zweierlei solidarisch entgegengesetzt werden: die Einzigartigkeit einer Politgalerie („No, not gallery, showroom. A gallery is a white cube!“) – eines politischen Kunstraumes also inmitten der sich in Konzept und Antikonzept verzettelnden Ausstellungsszene in Wien.

Schließlich hat als Spitze des vermarkteten Kunsteisbergs nun auch die geschichtsträchtige Bawag Foundation einen „völlig neuen Off-Space für KünstlerInnen“ (so die Eigendefinition) eröffnet, in dem, und das schmerzt ein wenig, selbst die Chicks on Speed zu Kuratorinnen werden – unter dem wanna-be-radikalen Motto „young and reckless“. Da sind die Strukturen der Radikalität, wie Open Space sie bewirbt, doch Balsam auf der politischen Seele. Und wenn in der Videoarbeit HI-RES vom slowenischen Künstlerinnenduo Gržinić / Šmid ein Sex Pistols-Song auf französisch gecovert wird mit den (hatschert ins Deutsche übertragenen) Zeilen: „Wir brauchen keine Ghettoisierung der Kunst, sondern eine gegenseitige Durchdringung von Kunst und Politik“, dann sind wir uns auch wieder einig: Dahin soll’s gehen.

Offen und gut vernetzt

Ein Freiraum sei der Open Space, ist Gülsen Bal überzeugt: Die Tür stehe offen für alle, die reinkommen wollen. Manchmal sind das Nachbar*innen, die sehen wollen, was es Neues gibt. Manchmal kommen auch Künstler*innen mit ihren Portfolios vorbei, die Gülsen Bal durchsieht, anerkennend kommentiert (auch unsere neueste Magazinproduktion lobt sie Seite für Seite, um dann lachend zu sagen: „I always say that: that's great!“) und in ihrem bisher noch überschaubaren Archiv aufbewahrt, um später darauf zurückzugreifen oder die Arbeiten im richtigen Moment weiterzuempfehlen – eine Netzwerkerin sei sie, im besten Sinne. Das Archiv soll vergrößert werden und der ganze Showroom auch. Bisher werden die Ausstellungen jeweils rund einen Monat im Open Space gezeigt und gleichzeitig in anderen, öffentlichen Räumlichkeiten, um den Zugang zu vergrößern, ganz im Geiste der Erfinderin. Die neuen Räumlichkeiten, die Bal für ihren Kunstraum sucht, sollen auf jeden Fall wieder in der Leopoldstadt liegen. Wieso ausgerechnet hier, wo die Geschichte Wiens so geballt vorhanden ist? Im vierten oder siebten Bezirk wäre ein Raum so nicht möglich gewesen, antwortet Gülsen Bal – und lässt sich nicht weiter festmachen.

Am Weg zurück zu den Fahrradständern statte ich der Uhrenhändlerin am Eck noch einen kurzen Besuch ab und lege einen Stoß Programmflyer auf die Budl. Zwei alte Kunden aus dem Gretzl lassen gerade Batterien wechseln. Der eine blättert die Heftchen schnell durch. Bei der Wegbeschreibung angelangt, schüttelt er den Kopf: „Auf den schirchen Platz hat sie sich g`setzt mit ihrer Galerie? Wie kommts`n auf die Idee?“ Mein gemurmeltes „Showroom“ geht unter in einer aufgebrachten Diskussion der beiden darüber, wo sie für Gülsen Bal einen besseren Standort finden könnten. Ob die Weinstube am Karmeliterplatz vielleicht bald ..., oder dieses Möbelgeschäft in der Taborstraße, „wo eh nie a Mensch drin is` ...“ Sie würden jedenfalls was finden, keine Sorge. Hätte ich das also auch delegiert – networking at its best.

Anmerkungen
Open Space. Zentrum für Kunstprojekte
Lassingleithnerplatz 2, 1020 Wien, www.openspace-zkp.org

Buchprojekt (engl/dt):
Open Space. Mapping contemporary creative practice. Hgin: Gülsen Bal mit Boris Buden, Süreyyya Evren, Marina Gržinić, Hedwig Saxenhuber und Andreas Spiegl.

Lisa Bolyos ist antirassistische und feministische Aktivistin und (post;)konzeptionelle Künstlerin, unter anderem im Kollektiv Annegang.

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