Inventionen

Isabell Lorey, Roberto Nigro, Gerald Raunig (Hg.): Inventionen. Bd. I.
Zürich: diaphanes 2011

Ausgangslinien: Anders als dies in der Rezeption poststrukturalistischer Ansätze in den letzten Jahrzehnten beinahe schon gebetsmühlenartig wiederholt wurde, begreifen die Herausgeber_innen das heterogene Theoriegefüge des Poststrukturalismus als genuin politisches Projekt. So wird nicht nur in der Einleitung des Sammelbandes, der zugleich eine neue Buchreihe eröffnet, die Entwicklung des Poststrukturalismus mit den politischen Kämpfen der 1960er und 1970er Jahre in Beziehung gesetzt. Auch gelingt das Vorhaben, die theoretischen Inventionen als politisches Projekt zu forcieren, durch eine Bewegung, die in der akademischen politischen Philosophie keineswegs eine selbstverständliche ist: Die Frage nach dem politisch Ermöglichenden wird theoretischen und philosophischen Einsichten nicht nachgereiht, vielmehr werden philosophisch-politische, konzeptuelle und begriffliche Einsichten über die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Kämpfen gewonnen. Damit – und das ist die gelungene und instruktive Meta-Invention des Buches – werden theoretische Begriffsarbeit und eingreifende Gegenwartsdiagnose, theoretische Argumentation und politische Kämpfe in ihrer Gleichzeitigkeit vorgeführt.

Ansprüche: Die Autor_innen, die nicht als Repräsentant_innen von lokal verortbaren Diskursen und Praxen, sondern als de-lokalisierte Kräfte schreiben, wollen translokale Diskurse über Macht, Subjekte, Widerstand, das Politische initiieren. Gemäß des Titels ist das „Vermögen der Neuerfindung“ (9) Programm: Dichotome Anordnungen von Begriffen und Denkansätzen sollen nicht nur als Inter-vention unterbrochen, sondern als In-vention, als „Assoziation von Kräften“ (10) und „kooperative Form der Erfindungskraft“ (19) durch neue Verbindungen zu neuen Einsichten führen.

Inventionen: Der Band ist um sieben Begriffe gruppiert: gemeinsam, prekär, potentia, Kon-/Disjunktion, Ereignis, Transversalität, Queere Assemblagen. Diesen nähern sich jeweils zwei Beiträge an, die gerade nicht als komplementär zueinander sprechen, sondern als ermöglichende Ergänzungen, die durch jeweils einführende Kommentare explizit sichtbar gemacht werden und implizit die Gesamtheit des Bandes tragen. Auf diese Weise wird etwa das Gemeinsame als „Gemeinsam-Werden“ (26) denkbar, wobei Singularität und das Gemeinsame als ko-konstitutiv gelten; politisches Vermögen wird als „eine Beziehung des Unbezogenen, das beliebig werden will“ (108) und zugleich „dem Beliebig-Werden entgegensteht“ imaginierbar; und das Ereignis wird als „revolutionäres Werden“, als „politisches Experimentieren“ in einer „doppelten Zeitlichkeit“ vorstellbar, „das sich als gegenwärtiges Werden der Idee einer Zukunft der Revolution entgegensetzt“ (160).

Durch die Inventionen soll poststrukturalistisches Denken als politisch-eingreifendes-eröffnendes aktuell gehalten werden. Dies gelingt dem Band in hervorragender Weise – und zugleich mit einer Einschränkung: Der Anspruch, Machtverhältnisse und politische Kämpfe als heterogen und multipel zu denken, zieht sich zwar durch den Band; in der Überzahl der Beiträge werden Macht, gesellschaftliche Veränderungen und Kämpfe dennoch vor allem auf kapitalistische Verhältnisse bezogen. Der Hauptbezug, an dem auch die Frage nach einer politischen Aktualität des Poststrukturalismus angelegt wird, bleibt die Gesellschaft als kapitalistische. Damit wird ein entscheidendes Potenzial sowohl des poststrukturalistischen Theoriegefüges als auch des Denkens von Inventionen, Kapitalismus, (Hetero-)Sexismus und Rassismus als integral miteinander verschränkt zu denken, nicht konsequent ausgeschöpft. In den zukünftigen Bänden der Frage nachzugehen, wie diese Verschränkungen nicht nur deutlicher sichtbar gemacht, sondern wie gerade durch Inventionen neue Einsichten dazu eröffnen werden können, sollte sich ganz im Sinne der Reihe lohnen.

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