Die Körper der Multitude. Von der sexuellen Revolution zum queer-feministischen Aufstand
Im ersten Teil werden die Begriffe „Körper“ und „Geschlecht“, „Sexualität“ und „Arbeit“ eingeführt sowie deren Bedeutung für den Kapitalismus diskutiert. Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Bewegungen, von Arbeiter_innen über Rock’n’ Roll bis hin zum Feminismus. Schließlich erarbeitet Foltin im dritten Teil eine Einführung in die Voraussetzungen der Multitude.
Robert Foltin veranstaltet mit seinem Buch ein lang geplantes Familientreffen, das von manchen lieber vermieden worden wäre. Diese Aussage mag harsch klingen, was so nicht gemeint ist, denn ich halte das Projekt, das der Autor vorgelegt hat, für ein sehr wichtiges. „Die Körper der Multitude“ ist ein Einführungsband in Theorie- und Diskursstränge, die geschickt zu einer nicht ganz neuen, aber spannenden Landkarte kritischer Bewegtheit verwoben werden. Das Buch ist als Fortsetzung von „(Post-)Operaismus“ desselben Autors gemeinsam mit Martin Birkner gedacht und geht dem Begehren nach, kritischen Marxismus entlang der Theoriestränge von Hardts und Negris „Empire“ und Paolo Virnos „Grammatik der Multitude“ mit queer-feministischer Theoriebildung aufzumischen. Dabei durchkreuzen u. a. Texte von Judith Butler, Renate Lorenz und Brigitta Kuster oder etwa Donna Haraway sowie Praxen gender-queerer Aktivist_innen das Feld, auf dem / aus dem heraus die Multitude sich bildet.
Im ersten Teil werden die Begriffe „Körper“ und „Geschlecht“, „Sexualität“ und „Arbeit“ eingeführt sowie deren Bedeutung für den Kapitalismus diskutiert. Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Bewegungen, von Arbeiter_innen über Rock’n’ Roll bis hin zum Feminismus. Schließlich erarbeitet Foltin im dritten Teil eine Einführung in die Voraussetzungen der Multitude. Queer-feministische Interventionen ermöglichen eine verschärfte Sichtweise, die Prozesshaftigkeit der diversen Stränge darzustellen und zu erklären. Die Auflösung der Arbeiter_innenklasse als einzig wahres revolutionäres Subjekt eröffnet im Gegenzug Formen einer Verschränkung divergierender politischer Kämpfe, die – so die Hoffnung des Autors – der Krise des Kapitalismus einen weiteren Schubs über den Rand der Klippe zu geben vermag. Vor allem geht es dem Autor aber darum, dem Körper in all diesen politischen Prozessen einen Raum zu geben, der zwar uneinheitlich und instabil (vgl. TKI_open 09) ist, aber sich dennoch nicht im neoliberalen Individualismus-Nirwana auflöst, sondern sich zu transversalen Knotenpunkten zusammenschließt. So geht es in queeren, wie in postoperaistischen Diskussionen um die Beschäftigung mit Vielfalt, einer Vielzahl von Differenzen, die doch etwas Gemeinsames haben.
Das Buch konzentriert sich auf diese beiden Stränge, was dem an und für sich komplexen Ansinnen des Textes, wie ich meine, etwas schadet. Zwar führt Foltin in seiner Einleitung die Stränge Migrations- und Ökologiebewegungen als wichtige Zweige der Multitude auf, vernachlässigt diese aber in der Folge. Eine zweite antikapitalistische, sexuelle Revolution, wie sie im Buch am Horizont erscheint, kann gerade aber an den Achsen von Sex und Arbeit nicht ohne Migrationsdiskurs vonstatten gehen. Auch die Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen durch die neokoloniale Handels- bzw. Verschuldungspolitik muss wohl Teil einer kritischen Multitude und von ihren theoretischen Ausformungen sein. Gleichwohl will ich aber die prekären Bedingungen der Wissensproduktion und Entstehung von Büchern dieser Art nicht außer Acht lassen und weiß die Anstrengung, verständliche Einführungsbände in komplexe Theorien zu schreiben, sehr zu schätzen. Deswegen: Lasset uns mehr über das Zusammendenken komplexer Theorien und Praxen schreiben, publizieren und zur Diskussion stellen!
Robert Foltin: Die Körper der Multitude. Von der sexuellen Revolution zum queer-feministischen Aufstand. Stuttgart: Schmetterling Verlag 2010