Die Einsätze der Übersetzung. „Kulturelle Übersetzung“ und das ungedachte Problem des Ausdrucks.

Im Begriff der „kulturellen Übersetzung“ liegt, der linguistischen Herkunft des Übersetzungsbegriffs entsprechend, ein unmittelbarer Verweis auf einen Zusammenhang des Ausdrucks.

Im Begriff der „kulturellen Übersetzung“ liegt, der linguistischen Herkunft des Übersetzungsbegriffs entsprechend, ein unmittelbarer Verweis auf einen Zusammenhang des Ausdrucks. Wenn es nämlich zutreffend ist, dass, wie Roman Jakobson sagt, „die Bedeutung jedes sprachlichen Zeichens seine Übersetzung in ein anderes, alternatives Zeichen“ ist, ja dass ein Zeichen kraft solcher Übersetzung „in eine explizitere Bezeichnung überführt werden“ (Jakobson 1982: 482 f.) kann, so ist im Anschluss daran zumindest dreierlei festzuhalten: 1) Jedes Zeichen (weit entfernt davon, die bloße Anzeige dessen zu sein, worauf es sich bezieht) unterhält komplexe Beziehungen der Abgrenzung, aber auch einer schwierig zu bestimmenden Solidarität mit anderen Zeichen; Beziehungen, die seine Übersetzbarkeit gewährleisten und auf diesem Wege Bedeutung generieren. 2) Darüber hinaus sind Zeichen aber auch intensive Größen, d. h. sie implizieren Grade von Ausdrücklichkeit, die zunächst im Verhältnis zwischen dem Ausgedrückten sowie dem je manifesten Ausdruck begründet zu sein scheinen; nur so lässt sich die Rede von mehr oder weniger „expliziten“[1] Bezeichnungen verstehen. 3) Es ist letztlich kaum möglich, diese Explizitheit – wie Jakobson dies in den Passagen, aus denen ich zitiert habe, nahe zu legen scheint – auf Fragen der Eindeutigkeit oder der Präzisierung von (festgelegten oder produzierten) Bedeutungen abzublenden, ohne von den konkreten SprecherInnen als Instanzen des Ausdrucks und damit, mit allen theoretischen und politischen Konsequenzen, von den verschiedenen Ebenen sprachlichen Handelns sowie dessen jeweiliger Situiertheit zu abstrahieren.

Wie aber stellt sich ein solcher Zusammenhang des Ausdrucks, in dem die Frage der Übersetzung zu verorten wäre, im Kontext jener Theoriebildungen dar, in denen der Begriff der „kulturellen Übersetzung“ heute in Verwendung ist? Die impliziten Grundannahmen dieser vor allem im Umfeld der Cultural Studies und Postcolonial Studies anzutreffenden Theoriebildungen könnten in etwa folgendermaßen beschrieben werden: Nur insofern sich in „einer Kultur“ oder aber in „Kultur überhaupt“ etwas ausdrückt – mithin ein Spielraum der Differenz zwischen dem Ausgedrückten sowie dem je manifesten Ausdruck eröffnet ist –, kann davon ausgegangen werden, dass „Kulturelles“ oder „Kulturen“ übersetzbar sind; es ist diese Übersetzbarkeit, auf die sich die Produktion „kultureller“ Bedeutungen gründet.

„Kultur“ bezeichnet dabei in der Vorstellung „kultureller Übersetzung“, dem sprachlichen Vorbild folgend, nicht einfach den Ausgangs- und Zielgegenstand dieser Übersetzung (die „Kultur“, die oder aus der übersetzt wird, sowie die „Kultur“, in die etwas übersetzt wird), sondern zugleich auch das Medium der Übersetzung sowie deren Ausübung im Sinn einer praktischen Tätigkeit: Nur insofern Übersetzen selbst als „kulturelle“ Tätigkeit verstanden wird – und die „kulturellen“ Ausdrucksinstanzen zumal solche der Übersetzung sind –, vermag es „Kultur“ als Medium der Übersetzung dergestalt zu aktualisieren, dass jenes „Kulturelle“, das den Ausgangs- und Referenzpunkt der Übersetzung bildet, in differenter Weise wiederum als „Kulturelles“ zur Erscheinung gebracht werden kann.

Das ungedachte Problem des Ausdrucks

Nun werfen diese Annahmen aber eine doppelte Frage auf: Zum einen – und damit ist nur einer der Gründe genannt, warum ich es für unausweichlich halte, die Worte „Kultur“, „kulturell“ etc. durch die systematische Setzung von Anführungszeichen als Problemtitel zu markieren – führt eine umstandslose Anwendung des Übersetzungsbegriffs auf „Kultur“ fraglos jene Parallelführung von Sprachtheorie und Kulturtheorie weiter, die zwar von einiger Tradition, aber deswegen nicht weniger problematisch ist; ich werde darauf im Weiteren nur in Ansätzen sowie auf eher indirektem Wege eingehen können. Zum anderen aber, und diesen Punkt werden die folgenden Überlegungen umkreisen, stellt sich die Frage, inwieweit das Problem des Ausdrucks in jenen Theorien, die von „kultureller Übersetzung“ sprechen, überhaupt eigens gedacht ist.

Um meine These vorwegzunehmen: Ich denke, es lässt sich zeigen, dass zumindest im Bereich der Cultural Studies (bzw. der diesen nahe stehenden Kulturtheorien sowie der politischen Theorien, die an die Cultural Studies in ihrem politischen Einsatz anknüpfen) etwas, das wir hier vorsichtig als „Ausdrucksstruktur“ bezeichnen können, zwar stillschweigend in Anspruch genommen wird, aber eben deswegen ungedacht bleibt – bzw. voreilig in die jeweiligen begrifflichen Anordnungen eingespannt wird –, weil eine spezifische Aufnahme strukturalistischer und poststrukturalistischer Theoreme innerhalb der Cultural Studies „Struktur“ und „Ausdruck“ als unvereinbare Perspektiven präsentiert. Nichtsdestoweniger ist es, von theoretischen Problemen einmal abgesehen, gerade auch der politisch-emanzipatorische Anspruch der Cultural Studies, der ein näheres Verständnis der „Ausdrucksstruktur“ politischer Artikulationen als wünschenswert erscheinen lässt.

Die Trias von Ausgedrücktem, Ausdruck und Ausdrucksinstanzen

Als Beispiel für diese doppelte Geste der Inanspruchnahme des Ausdruckshaften bei gleichzeitiger Ausblendung jeglicher Diskussion, die seine Parallelführung mit „kulturellen“ Belangen in Frage zöge, kann hier zunächst Judith Butlers Intervention in die 1994 von Martha Nussbaum ausgelöste Debatte um die Frage des Kosmopolitischen angeführt werden. Butler lässt in ihrem Beitrag von Anfang an keine Zweifel darüber offen, dass jene Universalität, an die Nussbaums Plädoyer für das Kosmopolitische appelliert hatte, nur unter Berücksichtigung der differierenden „kulturellen“ Artikulationen des Universellen angemessen gedacht werden kann. Ich streiche die zentrale, jedoch nicht weiter diskutierte Rolle der „Artikulation“ in den folgenden Zitaten durch Hervorhebungen heraus: Der Umstand, dass es „kulturelle Bedingungen für seine Artikulation gibt“, zeige sich dann, „wenn die Bedeutung ‚des Universellen‘ sich als kulturell variabel erweist und die spezifischen Artikulationen des Universellen gegen dessen Anspruch auf einen transkulturellen Status arbeiten“ (Butler 1996: 45). Daher sei die Möglichkeit in Rechnung zu ziehen, dass – etwa angesichts der Formulierung bestimmter universeller Rechte – das Universelle in diesen „nur teilweise artikuliert wird und dass wir noch nicht wissen, welche Formen es annehmen kann“ (ebd.: 46).

Die Auflösung der damit angezeigten Schwierigkeit vertraut Butler im Weiteren der Idee eines progressiven (indessen nicht notwendigerweise „progressistischen“) Aushandlungsprozesses an, der sich aus dem „performativen Widerspruch“ (ebd.: 48) zwischen den jeweils konventionellen Formulierungen des Universellen und jenen Artikulationen nährt, die aus einer Position des Nicht- Eingeschlossenseins in diese Formulierungen ihren Anspruch darauf anmelden, in sie eingeschlossen zu werden. Und sie nennt diesen Prozess, unter Bezugnahme auf Homi Bhabha, einen Prozess der „kulturellen Übersetzung“ (ebd.: 49 ff.).

Wir begegnen in Butlers Ausführungen ganz offenkundig jener Trias von Ausgedrücktem, je manifestem Ausdruck und Ausdrucksinstanzen wieder, die ich eingangs skizziert habe. Ebenso offenkundig aber finden sich die drei Strukturelemente des Ausdruckszusammenhangs in einen thematisch-begrifflichen Kontext eingespannt, der das Problem des Ausdrucks (bzw. der „Artikulation“) auf eine Art Subtext reduziert und stattdessen eine schematische Gegenüberstellung von Universalität und („kultureller“) Partikularität in den Vordergrund stellt: Das Ausgedrückte ist das Universelle, die je manifesten Ausdrücke „kulturelle“ variable Artikulationen und die Ausdrucksinstanzen jene Ausgeschlossenen, die kraft ihrer Artikulation Anspruch darauf erheben, in die bestehenden Formulierungen des Universellen Eingang zu finden. So sehr „Artikulation“ jedoch von Butler als eigentliche Triebkraft des „performativen Widerspruchs“ (und damit der politisch- sozialen Veränderung) dargestellt wird, so dunkel bleibt ihr Begriff der Artikulation selbst.

Das Problem des Ausdrucks als Problem der Entsprechung

Die Konsequenzen dieser Dunkelheit betreffen zunächst ganz allgemein die stillschweigend getroffene, aber keineswegs selbstverständliche Annahme, der Aus- trag von performativen Widersprüchen auf einer Ebene der Artikulation bedeute per se eine (emanzipatorische) Transformation bestehender politisch-sozialer Ein- und Ausschlussverhältnisse. Sie betreffen im Spezielleren beispielsweise die Frage, wie – und zwar auf der Ebene der Artikulation selbst – „emanzipatorische“ Artikulationen, die einen Rechtsanspruch auf Einschließung in die bestehenden Formulierungen anmelden, von solchen Artikulationen unterschieden werden können, die aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen Position des Ausgeschlossenseins ihr „Recht“ gerade über den Ausschluss anderer geltend zu machen versuchen[2]. In beiden Fällen stellt sich das Problem des Ausdrucks als Problem der Entsprechung dar, und zwar nicht nur in Gestalt der Frage, wie sehr Artikulationen gegebenen politisch-sozialen Ausschlussverhältnissen oder, allgemeiner (und zumal Herrschaftsausübung nicht allein über Ausschließungen erfolgt), Herrschaftsverhältnissen entsprechen, sondern auch in Gestalt der Frage, welcher Art diese Entsprechung ist. In Bezug auf die Frage nach der „kulturellen Übersetzung“: Welche Art von Entsprechung gibt es zwischen dem, was als „kulturelle Übersetzung“ bezeichnet wird, sowie der Frage politisch-sozialer Veränderung, auf die dieser Begriff eine Antwort zu geben beansprucht?

Es wäre natürlich unsinnig, zu behaupten, diese Probleme seien innerhalb der den Cultural Studies nahe stehenden neueren Kulturtheorien und politischen Theorien gänzlich unbeachtet geblieben. Und nicht weniger unsinnig wäre die Behauptung, diejenigen, die sich diesen Problemen gestellt haben, hätten eine einheitliche Antwort darauf formuliert. Nicht alle indessen haben sich ihnen tatsächlich gestellt: Homi Bhabha selbst etwa, von dem Butler den Begriff der „kulturellen Übersetzung“ übernimmt, begnügt sich damit, das Problem des Ausdrucks zugunsten einer „Textualität“ vom Tisch zu wischen, auf die sich die kulturtheoretische Analyse problemlos beziehen kann und die zugleich mit dem Politischen in eins gesetzt wird: „Textualität ist nicht einfach ein zweitrangiger ideologischer Ausdruck oder ein sprachliches Symptom eines vorgegebenen politischen Subjekts“; vielmehr sei umgekehrt, so Bhabha im unmittelbar folgenden Satz, „das politische Subjekt (the political subject) – so wie in der Tat das Thema/Subjekt der Politik (the subject of politics) – […] ein diskursives Ereignis“ (Bhabha 1994: 23).

Der ungeklärte Kulturbegriff der Cultural Studies

Weiter führend – und zugleich indirekt als Kommentar zu Bhabha lesbar – ist demgegenüber die folgende Passage aus Stuart Halls 1992 gehaltenem Vortrag „Cultural Studies and its Theoretical Legacies“: „Es wird von uns verlangt, davon auszugehen, dass Kultur immer durch ihre Textualitäten hindurch wirken wird – und, gleichzeitig, dass Textualität nie genug ist. Aber nie genug wovon? Nie genug wofür? Es ist extrem schwer diese Frage zu beantworten, denn philosophisch gesehen war es im Bereich der Cultural Studies immer unmöglich […], irgend so etwas wie einen adäquaten theoretischen Begriff kultureller Beziehungen und ihrer Effekte zu formulieren.“ (Hall 2000: 46) Halls offensichtliche Beunruhigung betrifft aus der hier vorgeschlagenen Perspektive nicht einfach eine „außertextuelle“ Ebene, in der das Ungenügen der Textualität einer Sättigung zuzuführen wäre, sondern präzise das Problem des Ausdrucks, das heißt die Frage nach der der Textualität selbst eingeschriebenen Ausdrucksstruktur und Ausdrücklichkeit, an der die Fragen nach dem „Wovon“ und „Wofür“ textueller Analysen entscheidbar wären. Und sie stellt einen expliziten Zusammenhang zwischen der angezeigten Schwierigkeit sowie der offenen Notwendigkeit einer – innerhalb der Cultural Studies oft vermiedenen oder auf allzu allgemeine Auskünfte abgeblendeten – theoretischen Klärung des Kulturbegriffs und seiner Implikationen her.

Nicht immer jedoch haben Halls Texte einer solchen Beunruhigung Ausdruck gegeben. In dem medientheoretischen Aufsatz „Encoding/Decoding“ aus dem Jahr 1980 etwa bringt Hall, die theoretisch gänzlich unaufgeklärt bleibende Kategorie der „sozialen Wirklichkeit“ ins Treffen führend, die Ebenen von „Bedeutung“ und „sozialer Wirklichkeit“ zu einer diffusen Überblendung, die es ihm erlaubt, in sämtlichen sozialen Praktiken textuelle Kodierungen zu verorten, an der Macht- und Herrschaftsverhältnisse lesbar werden: „Diese Kodes stellen die Mittel dar, vermöge deren Macht und Ideologie in bestimmten Diskursen bedeutsam werden. Sie führen die Zeichen auf die ‚Landkarten der Bedeutungen zurück, in die jede Kultur eingeordnet wird; und solchen ‚Landkarten der sozialen Wirklichkeit‘ ist die gesamte Bandbreite sozialer Bedeutungen, Praktiken und Bräuche, von Herrschaft und Interesse ‚einbeschrieben‘.“ (Hall 2004: 74)

„Kulturalismus“ vs. „Strukturalismus“

Von zentraler Bedeutung ist für unseren Zusammenhang aber der einflussreiche und ebenfalls zuerst 1980 veröffentlichte Aufsatz „Cultural Studies: Two Paradigms“, in dem Hall die Bedeutung der Aufnahme strukturalistischer Denkansätze innerhalb der zunächst „kulturalistisch“ (im Sinne eines Raymond Williams und Edward P. Thompson zugeschriebenen „Kulturalismus“) geprägten Cultural Studies diskutiert. Für den „Kulturalismus“ Williams’ und Thompsons gelte, so Hall: „Sie verstehen die Totalität […] auf eine besondere Weise, nämlich als konkret und historisch bestimmt, wenn auch uneinheitlich in ihren Zusammenhängen. Sie verstehen sie als ‚expressiv‘. Da sie sich ständig von der traditionelleren Analyse weg auf die Ebene der Erfahrung begeben oder die anderen Strukturen und Beziehungen davon ausgehend, wie sie ‚gelebt‘ werden, interpretieren, werden sie in ihrer Akzentsetzung mit Recht (wenn auch nicht im vollen Sinn) als ‚Kulturalisten‘ bezeichnet […].“ (Hall 1999: 26)

Demgegenüber habe eine strukturalistisch angelegte Analyse drei wesentliche Vorteile: 1) Sie betont die Determiniertheit der Verhältnisse und eröffnet so nicht nur ein Verständnis der Art und Weise, wie bestehende Verhältnisse subjektive Praxen formen und konstituieren, sondern weist auch einen „naive[n] Humanismus mit seiner notwendigen Folgeerscheinung, einer voluntaristischen und populistischen Praxis“ (ebd.: 32), zurück. 2) Im Gegensatz zur „komplexen Simplizität“ der kulturalistischen Vorstellung einer „expressiven Totalität“, die eine abstrakte Idee menschlicher Tätigkeit als solcher zugrunde lege, erlaube es der Strukturalismus, eine strukturelle Einheit zu denken, „die eher durch die Differenzen zwischen als durch die Homologie von Praktiken konstruiert wird“ (ebd.: 34). 3) Die dritte Stärke des Strukturalismus sieht Hall schließlich „in seiner Dezentrierung von ‚Erfahrung‘ und in seinem grundlegenden Bemühen, die vernachlässigte Kategorie der ‚Ideologie‘ weiterzuentwickeln“; die authentifizierende Rolle von „Erfahrung“ nämlich hindere den Kulturalismus daran, eine angemessene Ideologiekonzeption auszuarbeiten (ebd.: 35 f.).

Die voreilige Verabschiedung von „Ausdruck“ und „Erfahrung“

Nun liegt es mir sicherlich fern, die grundsätzliche Triftigkeit dieser insbesondere von einem Strukturalismus Althusser’scher Prägung inspirierten Einwände gegen eine nach wie vor existierende kulturalistische Tendenz innerhalb der Cultural Studies anzuzweifeln. Nichtsdestotrotz lässt sich an Halls Argumentationsgang sehr deutlich eine Verlagerung aller Konzentration auf Fragen der Determiniertheit (oder auch Überdeterminierheit) von Verhältnissen, der Ideologie oder einer alternativen Konzeption von „kultureller Totalität“ ablesen, während seine Bezugnahme auf die Kategorien der Erfahrung und des Ausdrucks rein negativ bleibt.

Die Möglichkeit eines Verständnisses von Erfahrung, das nicht auf eine allgemeine Authentifizierung von menschlichen Praxen und Äußerungen zielt, dennoch aber an der unveräußerlichen Singularität von Erfahrungen festhält und beispielsweise die Determiniertheit von Verhältnissen genau daraufhin befragt, wie sie Erfahrung „blockieren“ (Negt/Kluge), scheint damit versperrt. Und Ähnliches gilt für die Frage des Ausdrucks: Mit der Zurückweisung der Vorstellung einer „expressiven Totalität“ wird die Kategorie des Ausdrucks gleich ganz über Bord geworfen – bzw. in weiten Bereichen der Cultural Studies durch den unverdächtigeren Begriff der „Artikulation“ (mit seinem berühmten Doppelsinn von „Ausdruck“ und „Verknüpfung“) ersetzt, über den ganz offensichtlich eine Ausdrucksstruktur in Anspruch genommen wird, ohne dass diese aber als solche weiter diskutiert würde. Derweilen geistert die „soziale Wirklichkeit“ als nebulose Kategorie durch die Cultural Studies und sucht diese überall dort heim, wo sie ihre politischen Einsätze ernst nehmen.

1 Jakobsons Beispiel für eine gesteigerte Explizitheit ist die innersprachliche Übersetzung des englischen Wortes bachelor („Junggeselle“, aber eben auch die Bezeichnung eines akademischen Titels) durch unmarried man („unverheirateter Mann“).

2 Man wende nicht ein, solche Artikulationen unterhielten dann eben keinen Bezug zum „Universellen“. Es mag an dieser Stelle ausreichen (auch wenn das Problem keineswegs auf die politische Rechte beschränkt ist), mit E. Balibar daran zu erinnern, dass auch der Rassismus ein Universalismus ist.

Literatur
Bhabha, H. 1994: The Location of Culture, London / New York: Routledge
Butler, J. 1996: „Universality in Culture“. In: M. Nussbaum with Respondents, For the Love of Country: Debating the Limits of Patriotism, Boston: Beacon Press; S. 45–52
Hall, S. 1999: „Die zwei Paradigmen der Cultural Studies“, in: K. H. Hörning / R. Winter (Hg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 13– 42
Hall, S. 2000: „Das theoretische Vermächtnis der Cultural Studies“, in: Ders., Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt (Ausgewählte Schriften 3), Hamburg: Argument, S. 34–51
Hall, S. 2004: „Kodieren / Dekodieren“, in: Ders., Ideologie, Identität, Repräsentation (Ausgewählte Schriften 4), Hamburg: Argument, S. 66–80
Jakobson, R. 1988, „Linguistische Aspekte der Übersetzung“, in: Ders., Semiotik. Ausgewählte Texte 1919–1982, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 482 f.

Stefan Nowotny ist Philosoph und lebt in Wien.

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