Das emanzipatorische Momentum

Die vier Grundeinkommens-Kriterien (allgemein, individuell, bedingungslos und existenzsichernd) aufgreifend, hält die Erklärung fest, dass es sich beim Grundeinkommen um einen „individuellen Rechtsanspruch“ handelt. Die Ausbezahlung erfolgt in existenzsichernder und in einer die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Teilhabe ermöglichenden Höhe sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung. Es gibt keinen Arbeitszwang und keine erzwungene Gegenleistung. Explizit angesprochen wird auch, dass die Höhe des Grundeinkommens entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungs- und Teilhabekosten dynamisiert werden muss.

Einen Tag vor dem dritten deutschsprachigen Grundeinkommenskongress Auf dem Weg zum Grundeinkommen. Bedingungslos und existenzsichernd (24. – 26.10.2008, Berlin) wurde im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin eine „Erklärung über emanzipatorisches Grundeinkommen“ verfasst und unterzeichnet. Ziel der AutorInnen ist es, sich deutlich von im Grundeinkommens-Diskurs ebenfalls präsenten neoliberalen Modellen zu unterscheiden. Zu den ErstunterzeichnerInnen am 25.10. zählen Personen aus der globaliserungs- bzw. kapitalismuskritischen Bewegung (ATTAC, Transform Europe), aus Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI), aus Parteien (Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, KPÖ), aus den Grundeinkommens-Netzwerken sowie aus einer Gewerkschaftsorganisation (ver.di).

Die vier Grundeinkommens-Kriterien (allgemein, individuell, bedingungslos und existenzsichernd) aufgreifend, hält die Erklärung fest, dass es sich beim Grundeinkommen um einen „individuellen Rechtsanspruch“ handelt. Die Ausbezahlung erfolgt in existenzsichernder und in einer die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Teilhabe ermöglichenden Höhe sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung. Es gibt keinen Arbeitszwang und keine erzwungene Gegenleistung. Explizit angesprochen wird auch, dass die Höhe des Grundeinkommens entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungs- und Teilhabekosten dynamisiert werden muss. Die „Erklärung über emanzipatorisches Grundeinkommen“ betont insbesondere den Menschenrechtscharakter „unter der Perspektive eines globalen sozialen Rechts“. Das emanzipatorische Grundeinkommen ist demnach unabhängig von StaatsbürgerInnenschaft und „berücksichtigt MigrantInnen und Flüchtlinge“.

Dazu kommt noch eine Reihe weiterer Bestimmungen, die das Grundeinkommen laut ihren VerfasserInnen „emanzipatorisch“ machen: „Grundeinkommen bewirkt eine Umverteilung von Oben nach Unten, insbesondere durch die Besteuerung von Kapital, Vermögen und hohen Einkommen“ (Pkt. 6). Es wird festgestellt, dass es in bestimmten Lebenslagen Mehrbedarfe gibt, die allein mit einem Grundeinkommen nicht abgedeckt sind. „Grundeinkommen ist eingebettet in einen Ausbau, eine Qualifizierung und Demokratisierung der sozialen Sicherungssysteme“ (Pkt. 8). Öffentliche Infrastrukturen werden explizit angesprochen: Sie sollen erhalten, ausgebaut und demokratisiert werden (Pkt. 9). Weiters müsse eine „radikale Umverteilung“ von bezahlter und unbezahlter Arbeit angestrebt werden. Grundeinkommen ist also eingebettet in eine „geschlechtergerechte Perspektive“ (Pkt. 10). Weiters ist das Grundeinkommen eingebettet in ein Gesellschaftskonzept, das auf Nachhaltigkeit beruht (Pkt. 11). Der vorletzte Punkt siedelt Grundeinkommen an „im Kontext der Perspektive der Schaffung einer solidarischen, partizipativen und kooperativen Gesellschaft, die auf der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft basiert“. Punkt 13 schließlich koppelt Grundeinkommen „an weitere arbeitsrechtliche Forderungen, insbesondere jenen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn“. Flankierend müsse dabei der Personal- und Lohnausgleich diskutiert werden.

Dieses Papier kann wohl am besten vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre in der Grundeinkommens-Debatte verstanden und eingeordnet werden. Während in Österreich bereits seit 2002 ein Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt, in dem Einzelpersonen v.a. aus Wissenschaft, Bildung und sozialen Initiativen zusammenarbeiten, existiert, kam es in Deutschland erst 2004 im Zuge der Hartz-IV-Gesetze zu einer entsprechenden Netzwerks-Gründung. Gleichzeitig erhielt das Thema Grundeinkommen in Deutschland besonders durch das Auftreten des Eigentümers und Gründers der Drogeriemarkt-Kette dm, Götz Werner, Aufmerksamkeit. Eine zusätzliche Dynamik erhielt die Debatte, als sich Dieter Althaus (CDU) mit dem Modell eines so genannten „Solidarischen Bürgergeldes“, das bedingungslos ausbezahlt werden sollte, in die Debatte einmischte. Damit verbunden ist die Vorstellung, den Sozialstaat zurückzudrängen. Parallel dazu ist es zu intensiven Debatten in der LINKEN und bei Bündnis 90/Die Grünen gekommen und zur Ausarbeitung eigener Modelle. Die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens hat allerdings noch nicht Einzug gehalten in die offiziellen Parteilinien. Ansatzweise kommt übrigens die Debatte auch in der SPD und in den Gewerkschaften in Deutschland in Schwung. Kein Wunder also, dass der Abgrenzungsbedarf größer wird, kann doch von (parteiinternen) KritikerInnen die Idee leicht abgeschmettert werden mit Verweis auf den politischen Gegner.

Bereits 2007 haben die VeranstalterInnen des zweiten deutschsprachigen Grundeinkommens-Kongresses Kritik an „wirtschaftsliberalen Bürgergeld-Modellen“ geäußert, „die nicht der Existenzsicherung dienen, sondern dem Sozialabbau“. Sie werden den Kriterien eines bedingungslosen Grundeinkommens (existenzsichernd, individueller Rechtsanspruch, bedingungslos, an alle Menschen in einer Gesellschaft ausbezahlt) nicht gerecht (Presseerklärung 7.10.2007). So sieht etwa das Althaus´sche Modell einen bedingungslos ausbezahlten Betrag von Euro 800 vor. Von diesem ist allerdings noch eine Krankenversicherung in Höhe von Euro 600 abzuziehen. Die Kritik daran lautet: Damit ist keine echte gesellschaftliche Teilhabe möglich, und es bleibt der Zwang, jegliche Erwerbsarbeit anzunehmen, aufrecht. Das deutsche Netzwerk Grundeinkommen hat auch explizit Kritik am „Liberalen Bürgergeld“ der FDP geäußert.

Immer wieder gibt es auch kritische Anmerkungen zu Götz Werner. Spricht er einerseits vom Grundeinkommen als einer „Idee“ und lehnt es ab, von einem „Modell“ zu reden, so hat aber gerade sein konkreter Finanzierungsvorschlag (durch eine Konsumsteuer) klaren Modellcharakter. KritikerInnen vermissen die umverteilende Wirkung von oben nach unten, da auf eine Finanzierung durch Besteuerung von Vermögen, Besitz etc. verzichtet wird. Das Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N. Austria spricht sich im Zusammenhang mit der Finanzierung in seinem Positionspapier 2006 für eine Entlastung des Faktors Arbeit und für eine Erhöhung der „Besteuerung von Wertschöpfung und Ressourcenverbrauch“ sowie für eine „erhöhte Besteuerung von Geld- und Besitzvermögen“ sowie „großer Erbschaften“ aus. Die Vor- und Nachteile einer Reform von Mehrwert-, Konsum- und anderer Massensteuern seien abzuwägen (so in Hinblick auf eine Entlastung der Besserverdienenden).

Während die Debatte in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend entlang von verschiedenen Grundeinkommens- bzw. Bürgergeldmodellen verlief, fand die die öffentliche Auseinandersetzung in Österreich im Wesentlichen zwischen Grundsicherung und Grundeinkommen statt, durch den Vorschlag von Erwin Buchinger schließlich zwischen „Bedarfsorientierter Mindestsicherung“ und „Bedingungslosem Grundeinkommen“. Immer wieder ist und war es aber nötig, „Grundeinkommen“ als „bedingungslos“ zu positionieren und von einer „Mindestsicherung“ bzw. einer „Grundsicherung“ zu unterscheiden.

Der Wirtschaftsphilosoph Erich Kitzmüller stellt fest, dass der Begriff „Grundeinkommen“ aktuell in drei verschiedenen Formen Verwendung findet:

1. Grundeinkommen zwecks Armutsbekämpfung
Hier wird vorausgesetzt, der Arbeitsmarkt und ergänzend der Sozialstaat würden für den sozialen Zusammenhalt sorgen. (...) In solchen Vorhaben bleiben die Begriffe oft schwammig, der Name „Grundeinkommen“ wird gleichbedeutend mit Grundsicherung, bedarfsgerechte Mindestsicherung und ähnlichen verwendet. Die Selbsteinschätzung und die Strategie sind zaghaft defensiv: Wird der Arbeitsmarkt dadurch besser funktionsfähig? Wird der Sozialstaat dadurch „billiger“? Wie hoch soll diese Art Grundeinkommen sein, für wen, für wen nicht?

2. Ein neoliberales Grundeinkommen: den Sozialstaat an die neuen Machtverhältnisse anpassen. Auch hier wird das bessere Funktionieren des Arbeitsmarkts angestrebt. Doch wird in Rechnung gestellt, dass zur Vergrößerung des Reichtums nicht mehr alle Menschen als Produzierende und nur am Rande als Konsumierende gebraucht werden. Es geht nun darum, die sozialen Randbedingungen für das Anhäufen großer privater Vermögen zu verbessern. (...). Die Sozialkosten (etwa Lohnnebenkosten) sollen gesenkt und ein sachlich verfremdeter Zwang zur Erwerbsarbeit unter Elendsbedingungen (Niedriglohn und/oder Prekariat) aufrecht erhalten werden, was auch mittels eines Grundeinkommens erreicht werden kann. (...) Es unterscheidet sich von rivalisierenden neoliberalen Konzepten durch die vereinfachende Rationalisierung der Transfers unter dem Anschein einer sozialen Verbesserung. Grundeinkommen als soziale Stilllegungsprämie, eine neue Etappe in der schrittweisen Demontage des Sozialstaats. 

3. Ein emanzipatorisches Grundeinkommen: wählen können zwischen „guter“ Erwerbsarbeit und freiem Tätigsein.
Inhaltlich unterscheidet sich ein emanzipatorisches Grundeinkommen von anderen Vorhaben in mehreren Momenten: Es ist ein persönliches Recht vom selben Rang wie die übrigen Freiheitsrechte und „Menschenrechte“. Die angestrebte Höhe reicht aus, um über die Vermeidung von Elend hinaus die Teilhabe am Leben der anderen zu ermöglichen. Wie die anderen Freiheitsrechte unterliegt es keiner speziellen Kontrolle, auch nicht auf Arbeitswilligkeit, Notlagen, Vermögen oder Familienstand – eben ein Unbedingtes Grundeinkommen. (...) Individuell garantiert es, die persönliche Freiheit wählen zu können zwischen „guter“ Erwerbsarbeit und anderen legitimen Formen des Tätigseins und der Lebensgestaltung. Diese Freiheit eröffnet zugleich gesellschaftlich die Chance, (...) an einem menschlichen Reichtum – nicht nur an monetärer Bereicherung – mitzuwirken. Das kann freilich nur erreicht werden, indem (...) ein breiteres Angebot an sinnvollen Tätigkeiten hergestellt wird. (Kitzmüller 2008)

Bereits der erste deutschsprachige Grundeinkommens-Kongress in Wien 2005 trug den Titel In Freiheit tätig sein. Damit ist das emanzipatorische Momentum, um das es geht, klar angesprochen. Letztlich muss wohl auch das Ziel „emanzipatorischer Sozialstaat“ in der Debatte betont werden. Bei jeglicher Reform des Sozialstaates kann das Kriterium „emanzipatorisch“ zur Unterscheidung dienen. Zwischen paternalistischem, repressivem, stigmatisierendem, Aufgaben privatisierenden, „vorsorgenden“ und dem Wettbewerb dienenden („Sozial“-)Staat einerseits und einem befreienden, Freiheit und Solidarität stiftenden, Beteiligung ermöglichenden, geschlechtergerechten und Steuergerechtigkeit schaffenden Sozialstaat andererseits.

Literatur:
Netzwerk Grundeinkommen (Hg.): Aktuelle Grundeinkommens-Modelle in Deutschland. Vergleichende Darstellung. Studie, Oktober 2008. Download
Erich Kitzmüller: Wer will mittels Grundeinkommen was erreichen ?. Diözese Linz (10.12.2008)
Grundeinkommen Austria

Markus Blümel ist Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N. Austria und Mitarbeiter der ksoe (Kath. Sozialakademie Österreichs) im Bereich Gesellschaftspolitik (zu Solidarischer Ökonomie, Grundeinkommen, Arbeit)

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