Alle Macht den Räten der Massenintellektualität!? Wissen als Produktivkraft im Postfordismus

Neben der enormen Beschleunigung kommunikativer Prozesse, der Informatisierung der Arbeit sowie ihrer tendenziellen Immaterialisierung und der damit einhergehenden Bedeutung affektiver Arbeit ist die Wissensbasiertheit ein zentraler Aspekt postfordistischer Arbeitsverhältnisse.

„Wissen [ist] immer schon exzessiv, es ist maßlos im Verhältnis zu dem (Tausch-)Wert, in den es eingeschlossen werden soll.“ (Negri 2003, 120)

Zu Beginn der 1970er-Jahre schrieb der damals operaistische Theoretiker (und spätere Bürgermeister von Venedig) Massimo Cacciari eine Abhandlung Über das Problem der Organisation. Deutschland 1917-1921 (Cacciari 1973). Er erklärt darin das Scheitern sowohl der partei- als auch der linkskommunistischen Strategien der Revolution im Deutschland der 1920er-Jahre mit der Nichtberücksichtigung der Veränderung der Klassenzusammensetzung. Vor allem an der rätedemokratischen linkskommunistischen Strömung um Karl Korsch kritisiert Cacciari die anachronistische Orientierung auf den Rätegedanken, da mit dem Aufkommen der standardisierten Massenproduktion die FacharbeiterInnen und somit die Intellektualität aus dem Produktionsprozess zunehmend verdrängt wurden. Auf dieser Intellektualität der Massen beruhte aber der Rätegedanke: die ArbeiterInnen können aufgrund ihres fachlichen Wissens die Produktion in Selbstverwaltung organisieren. Die fordistische „Revolution“ aber verunmöglichte durch die veränderte Klassenzusammensetzung das Wirksamwerden der Räteidee, da die unmittelbare Produktion zunehmend von unqualifizierten ArbeiterInnen ausgeführt wurde, die technische Intelligenz sich zunehmend vom Proletariat und seinen Kämpfen absonderte und von ihm getrennt als Ingenieur bzw. überhaupt als Maschinen existierte (vgl. Cacciari 1973).

Heute allerdings wäre die Debatte um Räte, um „Sowjets der Massenintellektualität“ (Negri 1998), erneut zu führen. Die gegenwärtige Transformationsperiode vom Fordismus hin zu postfordistischen Weisen kapitalistischer Vergesellschaftung lässt sich als eine der Rückkehr der Intellektualität zu den und in die ProduzentInnen lesen. Diese Massenintellektualität könnte als Gemeinsames eines kommenden Kommunismus wirksam werden, zunächst jedoch sehen wir uns global mit einer stetigen Intensivierung von Ausbeutung konfrontiert. Die Rolle des Wissens in diesem Prozess von Ausbeutung und möglicher Befreiung soll im Folgenden näher betrachtet werden.

Wissen und postfordistische Wertschöpfung

Neben der enormen Beschleunigung kommunikativer Prozesse, der Informatisierung der Arbeit sowie ihrer tendenziellen Immaterialisierung und der damit einhergehenden Bedeutung affektiver Arbeit ist die Wissensbasiertheit ein zentraler Aspekt postfordistischer Arbeitsverhältnisse. Dies bedeutet selbstredend nicht, dass „fordistische“ (klassische Fabriks- bzw. Hausarbeit) aufhören zu existieren – sie feiern in den abhängigen Peripherien ganz und gar nicht fröhliche Urständ´ –, wohl aber dass die Dominante in der Wertschöpfungskette im postfordistischen Kapitalismus sich mehr und mehr in Richtung der oben beschriebenen Formen verschiebt.

Möglich wurde diese Verschiebung nicht zuletzt durch die Kämpfe der fordistischen ArbeiterInnen, die sich gegen Fabriks- und Hausarbeit wandten und diese auch in die Krise zwingen konnten. Die gegenwärtige neoliberale Variante des Kapitalismus wusste jedoch nur allzu gut umzugehen mit den Forderungen nach Selbstbestimmung und flachen Hierarchien – diese gehören heute (zumindest auf dem Papier) zu den zentralen Elementen kapitalistischer Arbeitsprozesse. Das Wissen, das über die Flucht aus den Fabriken in den 1970er Jahren in die Universitäten und durch die Kämpfe gegen eintönige und entfremdete Arbeit zurückgewonnen werden konnte, soll nun als wesentlicher Aspekt postfordistischer Wertschöpfung eingesetzt werden.

„Der ‚kognitive Kapitalismus’ ist die Krise des Kapitalismus schlechthin.“ (Gorz 2004, 50)

Andre Gorz beschrieb in seinem 2004 auf Deutsch erschienenen Buch „Arbeit, Wissen und Kapital“ die Form der gegenwärtigen Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts: Sie basiert auf einer Monopolrente, die nur noch durch die staatlich-rechtliche Absicherung sichergestellt werden kann (vgl. Gorz 2004, 59 ff.). Dagegen steht einerseits die massenhafte Aneignung und Vervielfältigung der wissensökonomischen Gebrauchswerte ohne Bezahlung, aber auch die sich Markt und Kapital entziehenden Formen kollektiver Produktion zum Beispiel in der Open-Source-Bewegung. Gorz verortet in diesen Tendenzen eine grundlegende Krise des Kapitalismus und die Chance einer auf Überfluss beruhenden kommunistischen Art der Vergesellschaftung.

Der globale kognitive Kapitalismus wiederum sieht sich einem doppelten Problem gegenüber: Wissen – als mittlerweile erste Produktivkraft – sprengte einerseits die Mauern der Fabrik und dehnt sich tendenziell auf die gesamte Gesellschaft aus, andererseits entziehen sich die wissensökonomischen Prozesse der geordneten Zeit des fordistischen Fabrikregimes. Wissen lässt sich nicht in Zeitquanten messen und es verbraucht sich weder durch seine Verausgabung noch durch „Konsumtion“, es vermehrt sich vielmehr dadurch und ist deshalb tendenziell maßlos. Kapitalismus aber basiert substanziell auf Einhegung und Aneignung, deshalb kann die gegenwärtige kapitalistische Herrschaft auch nicht mehr durch ökonomie-immanente Prozesse sichergestellt werden. In diesem Sinne ist der kognitive Kapitalismus die Krise des Kapitalismus: Es bedarf direkter politischer Eingriffe, um wissensbasierte Werte unter kapitalistischer Form zu halten bzw. sie überhaupt erst in diese zu bringen. Patente und Copyrights sind so zum wichtigsten Instrument der Sicherung der Profite geworden, sei es in der Kulturindustrie (Musik, Filme), in der Herstellung wissensbasierter Produktionsmittel (Computerprogramme), im Arzneimittelbereich (Biopiraterie, Generika-Debatte) oder auch in der Landwirtschaft (gentechnisch verändertes Saatgut).

Wissen kann, so Andre Gorz, nicht in „abstrakten Werteinheiten“ (vgl. Gorz 2004, 40) ausgedrückt werden. Die oben erwähnte Tatsache, dass Wissen als Produktivkraft nicht – wie noch die abstrakte Arbeit bei Marx – quantitativ messbar ist bedeutet unter anderem, dass rechtlich-politische Eingriffe ins Zentrum der Wertschöpfung vordringen. „Der Tauschwert des formalen Wissens ist also gänzlich an die praktische Fähigkeit gebunden, seine freie Verbreitung einzuschränken, d.h. an die Fähigkeit, mit rechtlichen Mitteln (Patente, Autorenrechte, Lizenzen, Verträge) oder durch Monopolisierung möglichst zu verhindern, dass die Kenntnisse anderer kopiert, nachgeahmt, ‚wiedererfunden’ oder erlernt werden können.“ (Enzo Rullani, 2000, 90, zit. nach Gorz 2004, 47f.) Die konkrete Form der Ausbeutung immaterieller Arbeit kann in quantitativen Modellen nicht mehr adäquat erfasst werden, sie lässt sich weder in neoklassischen, noch in keynesianischen, aber auch nicht mehr in Marxschen Begriffen fassen, eine Kritik der politischen Ökonomie des Postfordismus bleibt also noch zu leisten. Antonella Corsani umreißt deren noch zu beantwortende Kernfragestellung so: „Was bedeutet Wert in der politischen Ökonomie des Wissens?“ (Corsani 2004, 158)

Vor diesem Hintergrund ist sowohl der rasante Anstieg der gesellschaftlichen Produktivität (die in ihrer kapitalistischen Form allerdings nach wie vor Armut und Arbeitslosigkeit anstatt gesellschaftlichen Reichtum für alle impliziert) als auch die enorme Bedeutung des Ausbildungssektors (Fachhochschulen!, Bildungs„reformen“!!, „Lebenslanges Lernen!!!“) zu verstehen. Wissen selbst muss eben auch produziert werden. Ein besonderes Augenmerk auf die Veränderungen des Ausbildungssektors und der darin (re)produzierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Neuordnung der Kämpfe. Der in der offiziellen bildungspolitischen Diskussion wieder in Mode gekommene Eliten-Begriff (vgl. Ribolits 2007) lässt Schlimmes vermuten, die Ratlosigkeit der kritischen Bildungstheorie wie der universitären Linken nicht viel Besseres. Konzepte wie „Evaluierung“, „Exzellenz“, prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen, die zunehmende hierarchische Zergliederung der Bildungsinstitutionen sowie Studiengebühren verlangen neue Strategien des Widerstandes. Das kritische Beerben der 68er-Bewegung in Projekten wie keine_uni in Wien, der Uninomade in Italien oder der Copenhagen Free University stellt zumindest einen Anfang dar, obwohl diese Projekte doch eher auf das akademisch-aktivistische Spektrum beschränkt bleiben. Eine genaue Analyse postfordistisch-kapitalistischer Arbeitsteilung hinsichtlich der gesellschaftlichen Produktion von Wissen kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, wäre aber trotz ihrer Unsexyness bitter vonnöten, zumal die Selbst-Infragestellung der ProduzentInnen kritischer Theorie sowohl hinsichtlich der eigenen gesellschaftlichen Position als auch die angewandten Methoden betreffend nicht gerade zu den Tugenden ebenjener gehört (vgl. Birkner 2007). Widerständigkeit und alternativer Einsatz gesellschaftlichen Wissens existieren jedenfalls auch jenseits der Konjunkturen sozialer Bewegungen. Für einen Abbau der Hierarchien auch innerhalb der Multitude ist jedoch die beständige Reflexion auf identitäre Schließungen und das eigene Privilegiert sein in Machtbeziehungen unumgänglich.

Eine zentrale Frage dabei ist, ob und wie die antikapitalistischen Aneignungs- und Produktionsprozesse metropolitaner Wissensökonomie mit den Kämpfen in den Peripherien in Beziehung gesetzt werden können. Im Falle der Kämpfe gegen die Pharmaindustrie oder jener gegen gentechnisch manipuliertes Saatgut und/oder Biopiraterie gibt es jedenfalls bereits globale Kommunikationsformen von unten. Um nicht dem metropolenzentrierten Blick auf dem Leim zu gehen ist es allerdings notwendig, sich auch mit den Arbeits- und Kampfbedingungen der ArbeiterInnen in den Weltmarktfabriken auseinandersetzen: Zwar besitzt z.B. Nike keine einzige eigene Produktionsstätte, ohne die Produktion von Sportschuhen allerdings nützt auch der schönste Swoosh nichts. Dies gilt in zum Teil verschärfter Form auch für die Computerindustrie, müssen doch die Hauptproduktionsmittel wissensökonomischer Tätigkeit zuerst einmal durchaus nicht-immateriell produziert (und nach deren ununterbrochen beschleunigtem Veralten wieder entsorgt) werden.

Tayloristisches Fabriksregime und postfordistische neue Arbeitsverhältnisse sind also keinesfalls ein Widerspruch. Ganz im Gegenteil gibt es auch im Bereich der Wissensökonomie eine Tendenz zur Re-Taylorisierung der Arbeitsprozesse am unteren Ende der Hierarchie. Gerade diese Prozesse der immer weiteren Ausdifferenzierung erschweren jedoch die subversive Kommunikation zwischen den Arbeitenden. Gemeinsam mit dem immer kürzeren Verbleiben an einem Arbeitsort bzw. in einem Projekt stellt diese Vereinzelung die Organisierung von Widerstand vor große Schwierigkeiten. Die postfordistischen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts ähneln mitunter jenen noch-nicht- bzw. frühkapitalistischen des 18. bzw. 19. Zum Glück ist es uns nicht verboten, aus Erfahrungen und Fehlern der ArbeiterInnenbewegungen zu lernen. Die Inspiration für die kommenden Räte der Massenintellektualität allerdings muss aus der Zukunft kommen, und diese ist bekanntlich – wie immer schon – offen. Wir sind (fast) wieder am Anfang, möge der Kapitalismus bald am Ende sein!

Literatur:

ATZERT, THOMAS / MÜLLER, JOST (Hg.): „Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire“. Berlin: Id-Verlag 2004

BIRKNER, MARTIN: Geht´s der Bildung gut, geht´s uns allen gut? Diagnostisches anlässlich dreier Neuerscheinungen zu Bildung, Kritik, Ungleichheit und auch Kapitalismus In: grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte, Nummer 24/2007, Wien, S. 48-51

CACCIARI, MASSIMO: Über das Problem der Organisation. Deutschland 1917-1921 In: BOLOGNA, SERGIO / CACCIARI, MASSIMO: „Zusammensetzung der Arbeiterklasse und Organisationsfrage“. Berlin: Merve Verlag 1973. S. 53-129

CORSANI, ANTONELLA (2004): Wissen und Arbeit im kognitiven Kapitalismus. Die Sackgassen der politischen Ökonomie, in: ATZERT, THOMAS / MÜLLER, JOST (Hg.): „Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire“. Berlin: Id-Verlag 2004. S. 156-174

GORZ, ANDRÉ: „Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie“ Zürich: Rotpunktverlag 2004

NEGRI, ANTONIO: Repubblica Costituente. Umrisse einer konstituierenden Macht. In: LAZZARATO, MAURIZIO / NEGRI, ANTONIO / VIRNO, PAOLO: „Umherschweifende Produzenten, Immaterielle Arbeit und Subversion“. (Herausgegeben von Thomas Atzert) Berlin: Id-Verlag 1998

- ders.: Eine ontologische Definition der Multitude. In: ATZERT, THOMAS / MÜLLER, JOST (Hg.): „Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire“. Berlin: Id-Verlag 2004. S. 111-125

RIBOLITS, ERICH: Elite ist man eben. In: ERLER, INGOLF (Hg.): Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Wien: Mandelbaum Verlag 2007. S. 176-187

Martin Birkner ist tätig als Theoretiker, ITArbeiter und Mitherausgeber der grundrisse. zeitschrift für linke theorie & debatte und lebt in Wien.

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