Zur Produktion praktischer Ambivalenz:

Der Autor, Regisseur und Dramatiker René Pollesch sagt: „Die einzig mögliche Revolution ist das Unternehmen, das die Wandlung der Individuen betreibt. Die Revolution als Angebot von Unternehmen“.

Dieser Artikel ist Barbara Pitschmann gewidmet. Als eine der hauptverantwortlichen Organisator_innen der Subversivmesse standen wir in engem Mailkontakt zu ihr und hatten uns sehr auf ein persönliches Treffen gefreut. Zu diesem Treffen ist es nicht mehr gekommen. Die Nachricht ihres Todes, die uns nach der Messe erreichte, hat uns tief erschüttert.

Der Autor, Regisseur und Dramatiker René Pollesch sagt: „Die einzig mögliche Revolution ist das Unternehmen, das die Wandlung der Individuen betreibt. Die Revolution als Angebot von Unternehmen“ (Pollesch 2003: 334). Seine Vision ist verheißungsvoll: Wer möchte nicht Teil eines derartigen Unternehmens sein? Um auf diskursiver wie auch praxeologischer Ebene einen Ort der Verhandlung bzw. Irritation anzubieten, wurde das Unternehmen Monkeydick-Productions ins Leben gerufen. Das Unternehmen verfügt über einen Firmensitz, weltweite Filialen, eine Corporate Identity, eine Homepage, ein tanzendes Maskottchen, die Imagebroschüre Performance of Performance sowie den Imagefilm LIFE@WORK. Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass das Unternehmen Monkeydick-Productions auch professionelle Mitarbeiter_innen beschäftigt. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden im „Versuchslabor“ für performative oder auch krisenexperimentelle[1] Praxen neo-liberalem Brauch entsprechend ermutigt, die Grenze zwischen Arbeit und Leben verschwimmen zu lassen. Und wo lässt sich dies besser erproben als auf Handelsmessen? So machte sich eine Delegation zur Subversivmesse auf, die im Rahmen von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europa stattfand.

Bevor wir die Reise und den Aufenthalt der Delegation des Unternehmens Monkeydick- Productions beschreiben, betten wir beides in einen größeren theoretischen Kontext ein: Auf theoretischer Ebene wird die Widersprüchlichkeit der neoliberalen Unternehmer_innenfigur aus einer dekonstruktivistischen Perspektive analysiert. Die Widersprüchlichkeit zeigt sich darin, dass von der Heteronorm abweichende Geschlechter und Sexualitäten[2] gleichzeitig sowohl mit einer strikten Heteronormativität als auch mit deren Flexibilisierung zu Gunsten von Leistungsbereitschaft konfrontiert sind. Dies bedeutet in erster Linie, dass die Subjekte trotz gesamtgesellschaftlicher Normen dazu angehalten sind, über Leistung ihr Geschlecht und ihre Sexualität individuell zu gestalten. Vor dem Hintergrund einer Neudefinition des Sozialen stellt sich die Frage, inwiefern Kategorien wie Geschlecht, Sexualität und Leistung in neoliberalen Politiken Gegenstand von Transformationen werden (vgl. zur „Neuerfindung des Sozialen“ Lessenich 2008; Mönkedieck 2008). Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Perspektive der Performativität zu. In erster Linie interessiert die Frage, inwiefern diese Perspektive für die Verbindung zwischen der diskursiven Ebene der Analyse und der praxeologischen Ebene der Krisenexperimente sinnvoll einnehmbar ist. In den Krisenexperimenten bzw. Performances konzentriert sich die Spieler_innengruppe auf die Widersprüchlichkeiten zwischen dem neoliberalem Versprechen individueller Leistungsbelohnung und den oftmals sehr unterschiedlichen Bedingungen, die in der Praxis anzufinden sind. In den Krisenexperimenten sollen Irritationen hinsichtlich der Unternehmer_innenfigur produziert werden.

Denn in der Irritation liegt die Bearbeitung der Grenze, die sowohl durch die Dekonstruktion von Herrschaftsverhältnissen als auch durch die performative Produktion von Ambivalenzen sichtbar wird. In dem aktionsforscherischen Unternehmen werden Grenzen dekonstruiert, um sie gemeinsam mit einem Publikum kommunikativ bzw. performativ zu stabilisieren, zu überschreiten oder zu verschieben. Aber genug der theoretischen Einführung, begeben wir uns auf den Weg zur praktischen Produktion von Ambivalenz, zur Subversivmesse nach Linz.

Eines der wichtigsten Ziele der Reise nach Linz war es, „familiäre Bande zu schmieden, zu vertiefen oder zu reparieren“ (Hochschild 2000: 74), kurz Teambuilding. Aus diesem Grund ging man auf der Fahrt zur oberösterreichischen Landeshaupt nicht nur gemeinsam an einer Raststätte zum Essen ins Fastfood-Restaurant, nein, alle sechs Monkeydick-Repräsentant_innen schliefen zusammen in dem einzigen Schlafraum des Veranstaltungszentrums KAPU.

Tag 1: Fragen und Widersprüche

Nach der ersten Nacht wurde der Messestand in Windeseile und doch mit akribischer Perfektion aufgebaut. Denn die im Unternehmen herrschenden flachen Hierarchien, die so flach sind, dass Monkeydick-Productions keinen Betriebsrat braucht[3], bedeuten zwar, dass alle an einem Strang ziehen. Läuft jedoch etwas nicht wie geplant, dann muss jede/r sich ganz alleine verantworten. Das Monkeydick-Mantra für die Subversivmesse lautete: „authentische Ambivalenz“. Monkeydick-Productions wollte zwar ausgewählte Aspekte herrschender Anforderungen an Arbeit bzw. Leistung aufführen. Die Akteur_innen dieser Performance sollten jedoch nicht allein in kritischer Distanz zu ihrer Rolle verharren, sondern versuchen, für sie persönlich existierende Widersprüche auszuführen und dabei aufzuführen. So stellte sich beispielsweise die Frage, wie es aussehen könnte, wenn man einerseits gerne erfolgreich wäre, aber andererseits auch keine Ausgrenzung produzieren möchte. Eine andere Frage, die, bei aller Omnipräsenz, je nach Grad der Einbindung in familiäre Strukturen sowie deren Komplexität einige Monkeydicks mehr beschäftigte als andere, war die nach der gerechten Distribution von Emotionsarbeit: Wie sieht es aus, wenn einerseits tagelang Aufmerksamkeit, Liebe und Geborgenheit in die Monkeydick-Familie[4] investiert wird, gleichzeitig andererseits entsprechende Anforderungen der in Hamburg und New York City zurückgebliebenen Familien der Mitarbeiter_innen schon im Alltag oftmals zu kurz kommen? Oder auch: Wie sieht es aus, wenn Monkeydick-Productions einerseits andere dafür kritisiert, dass sie auf der Messe „kulturelles Kapital abgreifen“ wollen (vgl. Borker 2009b), aber andererseits selbst Mitarbeiterinnen für die Teilnahme an einem Stencil Workshop freistellen, in dem diese dann Monkeydick-Firmenlogo und Schriftzug als Graffitischablone produzieren (vgl. Borker 2009a)? Auch wenn Monkeydicks Working Mom heimlich die Namen ihrer Kinder als Schablonen schnitt –, ein gewisser Widerspruch blieb.

Der Messestand diagonal gegenüber der Monkeydick-Koje war der Familie von Anfang an ein Dorn im Auge. Die European Advertising Agency (EUAA) propagierte den Verkauf von Werbeflächen auf europäischen Banknoten und Ausweispapieren. Ganz im Sinne des Trickle- Down-Effektes vertrat die Agency die Meinung, dass es allen gut gehe, wenn es der Wirtschaft gut gehe. In der anberaumten Diskussionsrunde interessierte die Monkeydick-Familie, was denn das Emanzipatorische an dem Projekt der EUAA sei, denn das höre sich doch nach einer ganz klassischen Variante neoliberal-konservativer Politik an. Was machten sie denn auf der Subversivmesse? Die Messevertreter der EUAA gaben an, auf der Messe „kreative Ideen abgreifen“ zu wollen und ernteten dafür die schon erwähnte und vehement geäußerte Kritik.

Tag 2: Ausflug und Dissens

Auch wenn der Terminplan es kaum erlaubte und das Unternehmen Monkeydick-Productions genug mit sich selbst zu tun hatte, stand an Tag 2 ein Ausflug in die Nachbarschaft auf dem Programm: „Expedition to Exhibition“. Die Monkeydick-Familie ging über das Messegelände und schaute sich die anderen Messekojen und deren Projekte an. Die Auseinandersetzung ließ die Familie feststellen: „Interessant, was die Subkultur so alles zu bieten hat!“ Die Erkenntnis des zweiten Messetages lässt sich wie folgt zusammenfassen: Strebt man gerechtes Verstehen und Handeln an, erscheint Konsens, wie er in der „idealen Sprechsituation“ (Habermas 1973: 258) von Jürgen Habermas zum Ausdruck kommen sollte, illusorisch und unerreichbar. Um mit Jean-François Lyotard zu sprechen: „Consensus does violence to the heterogeneity of language-games“ (Lyotard 1984: xxv). Aber lassen wir die kryptischen Formulierungen, nennen wird das Kind doch beim Namen: Monkeydick-Productions hatte am zweiten Tag der Messe Dissens!

Tag 3: Demonstrating Business

Am dritten Messetag stand „Demonstrating Business“ auf dem Programm, da die FPÖ in der wunderschönen Donaustadt Linz tagte. Schon in den öffentlichen Verkehrsmitteln vermittelte die Monkeydick-Familie den Passant_innen die Erkenntnis, dass rechtspopulistische Politik die Widersprüchlichkeit als Politikstil etabliert hat. Die Quintessenz ihres politikwissenschaftlichen Vortrages ist folgende: Die FPÖ schafft es, neoliberale mit völkischen Elementen zu vereinen. Wie sich an den Wahlergebnissen der letzten Europawahl zeigt, hat die Zurückdrängung sozialstaatlicher Errungenschaften durch neoliberale Politiken eine neue Dynamik der kapitalistischen Konkurrenz entfacht, die es erforderlich erscheinen lässt, neue Formen der ideologischen Absicherung zu etablieren, um die Zustimmung breiter Teile der Bevölkerung zu gewinnen. Die FPÖ setzt dabei auf Diversifizierung: Für die leistungsstarke Mittelschicht fordert sie die Liberalisierung der Politik. Für die Verlierer_innen des freien Marktes hat sie völkische Kategorien in ihrem Repertoire. Traditionelle Elemente der extremen Rechten, vor allem die Ideologie der Ungleichheit und ein aggressiver Sozialdarwinismus, müssen dabei gar nicht über Bord geworfen werden, sind sie doch neoliberalen Politiken immanent. Nach der Demonstration arbeitete die Monkeydick-Familie heraus, dass das Unternehmen Monkeydick-Productions als eine Grenzbearbeitung verstanden werden kann. Grenzen des Bestehenden werden in einem ersten Schritt dekonstruiert, um dann in einem nächsten (krisen)experimentellen Schritt kommunikativ bzw. performativ überschritten oder verschoben zu werden. Diese Erkenntnis sollte sowohl am letzten Messetag als auch auf der Heimfahrt eine zentrale Rolle spielen. Lesson learned: Gelernt hat die Monkeydick-Familie, dass die Performance der Performance eine ganz schöne Performance ist. Jetzt müsste es nur noch mehr Unternehmen geben, die einer/m die Möglichkeit bieten, sich zu reproduzieren, ohne entsolidarisierenden Ausgrenzungstendenzen Vorschub zu leisten.

Literatur:
Borker, Lars (2009a). LIFE@WORK. D: 17 Min. Borker, Lars (2009b). Theorizing Monkeydick-Productions. D: 13 Min.
Habermas, Jürgen: Wahrheitstheorien. In: Fahrenbach, Helmut (Hg.): „Wirklichkeit und Reflexion: Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Schulz“. Pfullingen: Verlag Günter Neske 1973.
Hochschild, Arlie Russell: Bei der Arbeit zu Hause: Zu Zeitknappheit, einem möglichen Selbst und dem Zuhause als fordistischem Arbeitsplatz. In: Pauline Boudry, Brigitta Kuster & Renate Lorenz (Hg.): „Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause“ (2. Aufl.). Berlin: b_books 2000.
Kordes, Hagen: „Das Aussonderungs-Experiment: Rechenschaftsbericht zum ‚Krisenexperiment‘ der Aussonderung von ‚Deutschen‘ und ‚Ausländern‘: durchgeführt vor einer Mensa der Universität Münster am 28. Januar 1994“. Münster: LIT 1994
Lessenich, Stephan: „Die Neuerfindung des Sozialen: Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus“. Bielefeld: Transcript 2008
Lyotard, Jean-François: „The Postmodern Condition: A Report on Knowledge“. Minneapolis: University of Minnesota Press 1984.
Mönkedieck, Sonja: „Performativität der ‚Unternehmerin ihrer selbst‘: Die Aktionsforschung ‚Monkeydick-Productions‘“. Berlin: Wissenschaftsverlag 2008. Pollesch, René: „World Wide Web-Slums“. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2003.

Monkeydick
Trailer zum Film LIFE@WORK
KAPU

Sonja Mönkedieck schloss kürzlich ihre Promotion als Dr. rer. pol. an der Universität Hamburg ab. Zurzeit nimmt sie an einer Summer Discussion Group der Foucault Society in New York City teil und arbeitet als Sozialarbeiterin.

Rhoda Tretow ist Lehrbeauftragte für Gender Studies am Fachbereich für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Hamburg. Ihr derzeitiges Forschungsinteresse richtet sich auf Komaterialisierungsprozesse von Gender und Arbeit.

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Dieses Buch bietet Lernenden wie Lehrenden einen differenzierten Blick, weniger auf die aktuell beschworene Chancengleichheit, die Sternfeld als Ablenkung „von der Realität gesellschaftlicher Ungleichheit“ problematisiert, als vielmehr auf die in Anlehnung an Foucault gestellte Forderung, „nicht dermaßen regiert zu werden“ – weder durch Bildung noch durch deren Ökonomisierung.