Kunst auf Rezept 

<p>„Kunst auf Rezept“ hinterfragt die Wirkungen von Kunst und das Potenzial der Verordnung von Kunst in einer Gesellschaft. Dazu werden gewöhnliche Rezeptscheine, die wohl alle von Besuchen bei ÄrztInnen kennen, KünstlerInnen zur Verfügung gestellt, um diese auszufüllen. Dabei ist dieser Verordnung von Kunst, der individuellen Verschreibung durch die teilnehmenden KünstlerInnen, aus künstlerischer Perspektive keine Grenze gesetzt. Auf den Rezeptscheinen finden sich

„Kunst auf Rezept“ hinterfragt die Wirkungen von Kunst und das Potenzial der Verordnung von Kunst in einer Gesellschaft. Dazu werden gewöhnliche Rezeptscheine, die wohl alle von Besuchen bei ÄrztInnen kennen, KünstlerInnen zur Verfügung gestellt, um diese auszufüllen. Dabei ist dieser Verordnung von Kunst, der individuellen Verschreibung durch die teilnehmenden KünstlerInnen, aus künstlerischer Perspektive keine Grenze gesetzt. Auf den Rezeptscheinen finden sich unter anderem Bilder, Collagen, Noten für ein Musikstück, literarische oder poetische Texte, Gedichte, künstlerische Konzepte, Tanz- und Performanceanweisungen. Wie den Verordnungen keine Grenze gesetzt ist, ist auch dem Hintergrund der beitragenden KünstlerInnen keine Grenze gesetzt: über 154 Kunstschaffende unter- schiedlichster Herkunft, Alters und Karrierestufen haben bereits einen Beitrag zu diesem Projekt geliefert. Claudia Schnugg (Redaktion) hat mit Philipp Wegan und Elisabeth Schafzahl gesprochen, die mit dem Kunstverein „precarium – Labor für Kunst“ das Projekt initiiert haben. 

 

Was ist der Hintergrund des „Labor für Kunst“ und wie kam es zu dem Projekt „Kunst auf Rezept“? 

Philipp Wegan— Ausgangspunkt waren die Geschehnisse von 2015. Die Migrationskrise hat vor allem den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft auf gewisse Art und Weise geprüft. Beide Richtungen wurden eingeschlagen: Es gab 

Leute, die im einen Extrem Selbstschussanlagen an den Grenzen forderten, und im anderen Extrem andere Menschen, die über die Landesgrenzen fuhren, um zu helfen oder Hilfe zu organisieren. Dazwischen gab es viele, die sich abwartend verhielten. Unsere Erwartungshaltung gegenüber der Kunst war, dass sie sich in dieser Prüfung einbrachte, dass sie eine Prüfung für die Menschlichkeit zu bestehen hatte. Unser Ziel war einen Raum zu gründen, ein Labor für Kunst, wo ein Ort entsteht, an dem Kunstschaffende, Leute, die nicht mit Kunst in Berührung standen, und MigrantInnen über Kunst zueinander fanden. Wir fanden dafür keine Unterstützung seitens der öffentlichen Hand und hätten dafür auch unsere eigenen Ressourcen völlig darauf abstellen müssen. Ohne die öffentliche Unterstützung waren wir aber nicht dazu bereit. So wurde das Projekt „Kunst auf Rezept“ mit geringen Mitteln an mehreren Orten ausgestellt und durch Partizipation der KünstlerInnen erweitert.

 

Wieso habt ihr euch für einen Rezeptschein als Medium entschieden? Was hat es mit der Verordnung, die auch eine Metapher aus dem medizinischen und pharmazeutischen Bereich ist, auf sich? 

Elisabeth Schafzahl— Durch die Doppeldeutigkeit der Wörter verordnen, verschreiben, anwenden, duplizieren und potenzieren war klar, dass der Rezeptschein ein ideales Medium darstellt. Die Verordnung und Duplizierung sollten das Potenzial der Heilung beschleunigen. Die Idee entstand, dass diese nicht nur dazu genutzt werden können, Pharmaka zu verschreiben, sondern auch andere potenziell heilende Mittel. Was kann man tun, um eine Genesung herbeizuführen? Und ist es auch möglich, dies durch Grafiken auf den Rezeptscheinen vor zu skizzieren? Und wie würde man Kunst auf Rezept verschreiben? Was schlagen KünstlerInnen vor? In einem weiteren Schritt wollten wir die Kunst wie medizinische Verordnungen zugänglich machen und haben angefangen die Rezeptscheine zu kopieren. Diese sind nun als Rezeptblöcke zu je 28 Rezeptscheinen erhältlich. Der Preis der Blöcke berechnet sich aus der Höhe der Rezeptgebühr: Jedes darin enthaltene Kunstwerk ist somit zum Preis der Rezeptgebühr erhältlich. Der zweite Ansatz war die Frage nach einem Medium, das einen niederschwelligen Zugang zur Kunst ermöglicht, der alltagstauglich ist. Diese Frage stand für uns in Verbindung mit der Frage: Gibt es eine Solidarität in der Kunst? 

 

Wieso habt ihr euch in Verbindung mit dieser Fragestellung für eine Metapher aus dem Gesundheitswesen entschieden? Geht es um das individuelle und gesellschaftlich Potenzial der Kunst, zu „heilen“? 

Elisabeth Schafzahl— Mit gesellschaftlichen Umbrüchen und prekären Situationen konfrontiert, wollten wir auch den Stellenwert von Kunst für die Gesellschaft befragen. Dabei ergab sich auch die Frage: Gibt es eine Kunstsolidarität, wie viele KünstlerInnen können wir dafür begeistern und welche Auswirkungen hat es auf eine Gesellschaft, wenn die Kunst immer mehr beschnitten wird?

 


Im Endeffekt geht es nicht direkt um Heilung oder Therapie der Gesellschaft oder Individuen, wenn es akute Probleme gibt, die Gesellschaft „krankt“, sondern mehr um die Frage, wodurch eine künstlerische Haltung zu einem Lebens- elixier werden kann. Kunst als zentraler Bestandteil, der eine Gesellschaft erhält und ebenso für die Individuen wichtig ist. Es geht eher um Introspektion als eine eigene Erfahrung, die eine Individualität fördern kann. 

 

Die Apotheke und das Labor spielen im Zusammenhang mit dem Konzept des Projekts auch in der Ausstellung eine Rolle? 

Philipp Wegan— Neben Ausstellungen in unterschiedlichen Galerien und diversen off-spaces konnten wir 2016 das Projekt in Wien Meidling in der ehemaligen Josefsapotheke zeigen. 2017, in Venedig, nutzten wir großflächige Illustrationen an den Wänden, um die Illusion der Räumlichkeiten einer Apotheke zu erzeugen. Die kanadische Anthropologin Francine Saillant lud uns ein, das Projekt bei einem Kongress in Paris im Museum du Quai Branly zu präsentieren. Sie war auf der Suche nach künstlerischen Strategien, die den traditionellen Forschungsprozess der Anthropologie erweitern. Dafür entwickelten wir eine mobile Version der Ausstellung, die sich auf einen Koffer reduzieren und transportieren ließ. Der Anklang der alten Apotheke und der Verweis auf den Apotheker waren ideal, da das Projekt durch das Labor die Gegenüberstellung alter und moderner Produktions- verfahren in der Medizin und Pharmazie sowie in der Kunst zum Thema machte. 

 

Was darf man darunter verstehen? Warum ist das Labor ein so wichtiger Ort? 

Elisabeth Schafzahl— Früher wurden in Apotheken mit den Angaben auf den Rezeptscheinen Heilmittel abgemischt. Das Labor der Apotheke war essenzieller Ort, um das herzustellen, was verordnet wurde. Das Tun und die aktive Herstellung der Produkte standen im Mittelpunkt, im Gegensatz zum fertigen, glänzenden Produkt der Konsumgesellschaft. Das Tun ist eine aktive Auseinandersetzung mit Kunst und der eigenen Situation, was durch die Rezeptscheine in diesem Sinne verordnet wird. 

 

Was sind eure nächsten Pläne mit dem „Labor für Kunst“ und „Kunst auf Rezept“? 

Philipp Wegan— Eine Ausstellung von Kunst auf Rezept im Steirischen Landesmuseum ist geplant, aber terminlich noch nicht fixiert. KünstlerInnen sind noch immer eingeladen, einen Rezeptschein auszufüllen und dem Labor für Kunst als Teil des Projekts zukommen zu lassen. Das Rezeptformular und Details dazu gibt es auf unserer Homepage. 

Das Tun ist eine aktive Auseinandersetzung mit Kunst und der eigenen Situation, was durch die Rezeptscheine in diesem Sinne verordnet wird.

 

Philipp Wegan und Elisabeth Schafzahl kooperieren als „precarium – Labor für Kunst“ seit 2003. Die beiden KünstlerIn nen leben in Wien und Graz und arbeiten gemeinsam als auch separat. Sie bewegen sich bevorzugt im Feld der Malerei und davon abgeleiteten Medien. 

Coverfoto: Ausstellungsansicht in der ehemaligen Josefsapotheke Wien Meidling, 2016 © Elisabeth Schafzahl / Phlipp Wegan


IG Magazin 2019
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5 €) bestellt werden. 

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