Kultur von unten - Die Ressourcen sind erschöpft

Neben der Kunstproduktion und -präsentation geht es darum, kulturelle Grundlagen und Fundamente für ein gutes Miteinander zu schaffen.

Simon Hafner

Kultur von unten  – Die Ressourcen sind erschöpft
 

„Graz ist geprägt von Diversität, die mit dem Begriff der „Stadt der Menschenrechte“ den Dialog zum Zentrum zwischen kulturellen Unterschiedlichkeiten erklärt. Kultur ist somit auch eine besonders tragfähige Brücke über Differenzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. […] Die freie Kulturszene ist ein integraler Bestandteil des Grazer Kulturlebens und soll auch weiterhin bestmöglich gefördert werden.“

So steht es zumindest in der „Agenda 22“, dem Arbeitsprogramm[i], der im April 2017 angelobten schwarz-blauen Regierung in Graz. Doch was heißt das konkret? Wer nimmt diese Aufgaben wahr? Wer gewährleistet Diversität? Wer führt Dialoge und baut gesellschaftliche Brücken? Und, unter welchen Bedingungen?

KulturarbeiterInnen verstehen sich als intensive MitgestalterInnen und zentrale Säule gesellschaftlichen Zusammenhalts. Neben der Kunstproduktion und -präsentation geht es darum, kulturelle Grundlagen und Fundamente für ein gutes Miteinander zu schaffen. [Erster wichtiger Satz] Dabei stehen sie nicht nur in Graz vor vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen – nicht nur im eng gefassten Kunst- und Kulturfeld, sondern darüber hinaus in den Bereichen Bildung, Integration, Jugendarbeit, Stadtgeschichte und -entwicklung etc.

Diese kulturelle Basisarbeit im Unter- und Mittelbau der Grazer Kulturinitiativen läuft seit Jahren unter teilweise erschreckenden Bedingungen. Stichwort „Graz sperrt zu“. Nichtkommerzielle Vereinslokale mit niederschwelligem Kultur- und Veranstaltungsangebot und vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten wurden, seitdem die FPÖ für die Anlagen- und Gewerbebehörde verantwortlich ist, durch eine wesentlich restriktivere Auslegung der gesetzlichen Regelungen unter Druck gesetzt und teilweise geschlossen. Im Fall einiger von MigrantInnen geführter Kulturvereine gab es ohne Vorwarnung Strafanzeigen nach dem Gewerbeordnungsgesetz. Selbst Vereine, die zu 100 Prozent ehrenamtlich arbeiten, beschuldigte man des so genannten „versteckten Gewerbes“. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) selbst wünschte sich, nach einer bereits von der Stadt-FPÖ geforderten Umgestaltung des seit 1959 als offen und interdisziplinär geführten Forum Stadtpark zu einem Biergarten, öffentlich eine Schaffung eines Kulturcafés ebenda.[ii]

Seitens der Landes-FPÖ kam es in anderem Zusammenhang auch zu öffentlichen Diffamierungen. Die „offene Jugendarbeit“ in der Steiermark wurde als „Wegbereiter für linksgerichtete Phantasietheorien“ bezeichnet und ISOP (Innovative Sozialprojekte), einem anerkannten Projekt an der Schnittstelle Soziales, Integration und Kultur, wurden „dubiose Tätigkeiten“ unterstellt.[iii]

 

Diese Beispiele verdeutlichen eine Negativentwicklung in der Grazer bzw. steirischen Kulturlandschaft, die nicht erst mit der neuen Koalitionsregierung ihren Anfang genommen hat, aber mit dieser – obgleich das oben angeführte Bekenntnis einen Wandel verspricht – eine Fortsetzung, wenn nicht Verschlimmerung findet. Es fehlen klare und vehemente Bekenntnisse zu einem vielfältigen Kulturleben abseits von Design, Creative Industry und Großveranstaltungen. Es fehlt eine längst überfällige Reform im Verwaltungsbereich – Stichwort Good Governance. So schreibt der Verein „Stadtteilprojekt Annenviertel“ im April 2017 in einer Aussendung: „Die Auslegungspraxis einzelner Behörden machen eine niederschwellige Nutzung des öffentlichen Raums durch kleinere, insbesondere Nachbarschaftsinitiativen so gut wie unmöglich. Mega-Event-Veranstalter können sich die Jahr für Jahr verschärften Auflagen und Einschränkungen vielleicht leisten, wir nicht. Ein Nachbarschaftsflohmarkt ist halt kein ‚Aufsteirern‘“.[iv]  Dass dann genau dieses Zelebrieren einer zur „Leitkultur“ erhobenen rauschenden Dirndl-und-Lederhosen-Schau laut Regierungsprogramm „in der strategischen Ausrichtung des Kulturamtes entsprechend berücksichtigt“ wird, ist ein weiteres Detail eines kulturpolitischen Desasters.

Dank einem anerkannt gut funktionierenden Beiratssystem stand es zumindest in der Stadt Graz in den letzten Jahren vergleichsweise gut um die Fördermittelverteilung. Kulturinitiativen sind aber auch von zusätzlichen Geldern von Seiten des Landes Steiermark abhängig. Hier haben es die Kulturinitiativen mit einer vielfältigen Problemlage zu tun. Rund um das „Kulturkuratorium“, dem Beiratsgremium des Kulturlandesrates, gab und gibt es oftmals nicht nachvollziehbare Kriterien bei Förderentscheidungen, erhebliche Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen und auffällige Mittelerhöhungen der „eigenen“ Projekte der Kuratoriumsmitglieder.[v] Der Vorsitzende Igo Huber hat sich bislang noch selten mit fachlicher Kompetenz hervorgetan, wirft den Kulturschaffenden aber gerne mal „Träumerei“ vor und bezeichnet Kunst ohne Besucher als „Hobby“.[vi]

Dazu stagniert das Kulturbudget des Landes auf in Österreich vergleichsweise sehr niedrigem Niveau. Innerhalb des Budgets gibt es massive Verschiebungen hin zu landeseigenen bzw. einigen wenigen etablierten Institutionen. Es gilt: „Die Kleinen retten die Großen.“[vii] Parallel dazu werden erhöhte Eigenmittelanteile und wirtschaftliches Agieren der FördernehmerInnen eingefordert. Infrastrukturelle Maßnahmen werden de facto nicht mehr gefördert und das Gespenst der so genannten „Initialförderung“, also einer reinen „Anstoßförderung“ für Kulturinitiativen, geht um.

 

"Mega-Event-Veranstalter können sich die Jahr für Jahr verschärfen Auflagen und Einschränkungen vielleicht leisten, wir nicht. Ein Nachbarschaftsflohmarkt ist halt kein ,Aufsteirern'".

Kulturzentrum Niesenberger


Dass sich im Kulturbereich tätige Menschen in einer fünfmal höheren Armutsgefährdung als andere österreichische Erwerbstätige befinden, ist seit der 2008 vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur in Auftrag gegebenen Studie: „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“ bekannt. Durch die steirische Sozialpolitik und die restriktiven Kriterien der so genannten „Wohnunterstützung neu“ wird diese Berufsgruppe einmal mehr in eine existenzbedrohende Lage gedrängt. Sich eine adäquate Wohnung leisten zu können, wird aufgrund der seit Jahren steigenden Mieten – neben vielen anderen Betroffenen – auch für die  einkommensschwache Gruppe der Kulturschaffenden immer schwieriger.

Im kulturellen Feld in Graz tätig zu sein, bedeutet vielfach prekäre Arbeitsverhältnisse und auf niedrigem Niveau stagnierende Löhne, auch für hochqualifizierte Tätigkeiten. Dazu steigt der Anteil unbezahlter Arbeit bzw. die Notwendigkeit „unfreiwilligen“ Ehrenamtes. Auf den steigenden Rechtfertigungsdruck gegenüber FördergeberInnen reagieren einige Betroffene dennoch mit einem Mehr an Produktion und Veranstaltungen. Man will nach außen Aktivität und Relevanz vermitteln, während man interne Ressourcen zusätzlich belastet. Neben punktuell entstehenden solidarischen Aktionen ist andererseits auch eine steigende Konkurrenz unter den Kulturinitiativen beobachtbar.

 

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit den kurz skizzierten Entwicklungen wird von Betroffenen oftmals mit einem trotzigen „einfach weitermachen“ beantwortet. Aber wie lange noch? Wie soll man mit dem Verlust von Know-how umgehen, wenn KulturarbeiterInnen durch physische und/oder psychische Einschränkungen und Erkrankungen plötzlich nicht mehr tätig sein können? Wo sollen junge Menschen abseits von unbezahltem Praktikum noch adäquate Erfahrungen im Kunst- und Kulturbereich sammeln? Ist hier nicht auch der personelle „Unterbau“ von etablierten Kulturinstitutionen bedroht? Was passiert wenn niederschwellige und partizipative Zugänge zum kulturellen Leben verloren gehen? Was geschieht wenn vielfältige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiter eingeschränkt wird? Speziell im Hinblick auf die absehbaren digitalisierungs- und automatisierungsbedingten negativen Veränderungen am Arbeitsmarkt. Studien über die Entwicklung der nächsten zehn Jahre sprechen von Verlusten von rund 15 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze. Ist es nicht längst notwendig, statt einem Festhalten am „Sinnstifter“ Arbeit, die adäquaten Rahmenbedingungen zu schaffen, um Kultur als das geeignetere Feld für Selbstentfaltung zu etablieren? Oder wie es Thomas Diesenreiter (Kupf Oberösterreich) im Rahmen eines Open Space der IG Kultur Österreich formuliert hat: „Den Robotern die Arbeit, den Menschen die Kultur“.

 

Wie könnten nun Kulturschaffende aus diesem vielfältigen Dilemma einen Ausweg finden? Es braucht ein Mehrfaches: Kollektive, tiefgehende Auseinandersetzung und Reflexion der (kultur-)politischen Rahmenbedingungen könnten dazu führen, statt in einer Reproduktion der prekären Verhältnisse stecken zu bleiben, neue Lösungsansätze zu entwickeln und Handlungsspielräume abseits von Überforderungsspiralen und Rechtfertigungstaktiken zu eröffnen. Erhöhtes solidarisches Denken und Handeln ist nach „innen“ ebenso entscheidend wie auch für das Auftreten gegenüber den politischen AkteurInnen und FördergeberInnen Es ist notwendig, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln und den auf das kulturelle Feld aufgebauten Druck wieder zurückzugeben. Dabei sollte auch nicht vergessen werden, an der langfristigen Absicherung und Aneignung offener, kulturell vielfältiger, niederschwelliger und nichtkommerzieller Räume zu arbeiten.

 

Wesentlich ist, die über das kulturelle Feld hinaus bestehenden Partnerschaften zu stärken und auszubauen, gemeinsam wieder ein Momentum zu entwickeln, reaktionäre, ausschließende und anti-emanzipatorische Entwicklungen konsequent zurückzudrängen und progressive gesellschaftliche Entwürfe auch wieder politisch durchzusetzen. Nicht nur im kulturellen Feld. Nicht nur in Graz.
 

Simon Hafner ist Musiker, DJ und Radiomacher und Vorstandsmitglied der IG Kultur Steiermark und der IG Kultur Österreich

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