circulART: Ein Materialkreislauf für Kunst und Kultur
In den vergangenen Jahren haben Bestrebungen hin zu mehr Nachhaltigkeit auch im Kultursektor einen Aufschwung erfahren und große wie kleine Institutionen und Initiativen überlegen sich verstärkt, wie sie ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern können. Die IG Kultur Steiermark hat mit cirulARt, einer Grazer Initiative zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft im Kunst- und Kulturbereich, gesprochen.
© Gansberger
Neben den Bereichen Reise bzw. Transport und Gebäude gerät die Thematik des Materialverbrauchs verstärkt in den Fokus, da von Bühnenbildern bis zu Ausstellungsarchitekturen viele Materialien anfallen, die häufig nur für ein Projekt nützlich erscheinen. Dass es Alternativen zur hemmungslosen Wegwerfmentalität gibt, beweisen Claudia und Max Gansberger, die im vergangenen Jahr die Materialhalle circulART in Graz gegründet haben – die erste ihrer Art in Österreich im Kunst- und Kulturbereich.
IG Kultur Steiermark: Wie funktioniert euer Konzept?
circulART: Nach jeder Ausstellung, Produktion, jedem Event wird viel zu viel noch gebrauchsfähiges und funktionstaugliches, wertvolles Material in großen Mengen in Containern entsorgt. Das kostet viel Geld und schadet der Umwelt. Auf der anderen Seite gibt es oft Bedarf an genau diesem Material in kleineren Kultureinrichtungen, der freien Szene oder auch bei Schüler:innen, Student:innen etc.Wir wollen Material, das entsorgt werden würde, bei uns aufnehmen, aufbereiten und günstig weitervermitteln. Es ist erschreckend wie wenige der produzierten Materialien weltweit wiederverwendet werden. Die Kreislaufwirtschaft ist dahingehend ein unglaublich wichtiger Hebel, um zumindest einige der Umweltprobleme zu lösen. Mehr dazu kann man im Circularity Gap Report lesen.
In der Praxis sieht unsere Arbeit so aus: Eine Ausstellung wird abgebaut, aber es gibt zu wenig Zeit und Lagerplatz, um das Material wieder- bzw. weiterzuverwenden oder zu lagern. Wir sichten es, man bringt es zu uns oder wir holen es ab, bereiten es auf und vermitteln es günstig weiter. Alles kann gekauft oder gemietet werden.
IG Kultur Steiermark: Euer Standort ist in der Rösselmühle, in der ein Leerstand durch verschiedene Kulturvereine zwischengenutzt wird. Aktuell werden Teile des Areals abgerissen. Betrifft euch das?
circulART: Ja, die Abrisspläne betreffen auch uns, eigentlich von Anfang an. Wir hätten eine Halle in einem der beiden Türme bekommen, aber dann gab es einen Brand. die etwas kleinere Halle, in der wir die ersten Monate untergekommen sind, war eigentlich nur vorübergehend gedacht. Dann kam die Info, dass die Türme abgerissen werden und wir in der kleinen Halle bleiben können, aber bis April im Sperrgebiet der Baustelle stehen. Und jetzt vor ein paar Tagen erhielten wir die Nachricht, dass nun auch diese Halle abgerissen werden soll. Und das schon Ende Februar! Es gibt nun aber die Möglichkeit für uns im Gelände zu bleiben und einen Bereich im historischen Trakt der Mühle herzurichten. Das ist von der Bausubstanz sehr spannend, aber es stellt uns auch vor große Herausforderungen. Da muss jetzt natürlich schnell viel gemacht werden und dann haben wir ja auch schon einiges zu übersiedeln. Wir freuen uns aber sehr über diese Möglichkeit, da wir uns in diesem kreativen Kollektiv, das dort in kurzer Zeit mit den anderen Zwischennutzer:innen entstanden ist, sehr wohl fühlen. Wir sind froh, diese Möglichkeit zu haben.
IG Kultur Steiermark: Haben euch Materialhallen in anderen Städten wie etwa jene in München inspiriert und seid ihr im Austausch mit ihnen?
circulART: SEHR! Als wir angefangen haben, zu überlegen wie unsere Initiative aussehen oder strukturiert werden könnte, haben wir sehr viel im Netz und auf Social Media recherchiert und schnell ein paar großartige Vorbilder wie Trash Galore aus Leipzig, die Hanseatische Materialverwaltung aus Hamburg oder treibgut.lager München gefunden. Im September war Max dann auch beim Netzwerktreffen der IfM Initiativen für Materialkreisläufe im deutschsprachigen Raum in Basel dabei und durfte alle persönlich kennenlernen. Wir sind in stetem Austausch. Gemeinsam wird daran gearbeitet einen Dachverband zu gründen und es gibt Arbeitsgruppen um Nachhaltigkeitsberichte erstellen zu können. Der Austausch ist jedenfalls sehr inspirierend und motivierend für uns.
IG Kultur Steiermark: Wie ist die Zusammenarbeit mit und was sind die Rückmeldungen der steirischen Kulturszene bisher?
circulART: Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv. Es haben sich bereits erste Kooperationen mit dem GrazMuseum, dem Joanneum, dem Grazer Kunstverein, dem Forum Stadtpark, dem Haus Styriarte, der Postgarage und Aporon21 ergeben, nur um ein paar zu nennen. Wir haben auch schon eine Anfrage von der Secession in Wien erhalten.
IG Kultur Steiermark: In Wien scheint es mit dem Recycling-Kosmos eine Materialbörse zu geben. Kennt ihr noch weitere Beispiele in Österreich?
circulART: Material- und Recycling Initiativen in anderen Bereichen gibt es schon, also das Baukarussell oder die Materialnomaden in Wien oder die Caritas in Graz und auch zweckwei, die sich auf Restposten von Firmen spezialisiert haben. Soweit wir wissen gibt es in ganz Österreich aber noch nichts Vergleichbares im Kulturbereich. Wir haben da vor einem Jahr viel recherchiert und haben nur Initiativen in Deutschland und der Schweiz gefunden.
IG Kultur Steiermark: Habt ihr Tipps für jene, die in einer Stadt oder Region in zu großer Entfernung zu einer Materialhalle leben und gebrauchtes Material abgeben oder beziehen wollen?
circulART: Für jene, die weiter weg sind, organisieren wir derzeit gerne den Transport, also mit Wien oder Klagenfurt könnten wir uns das von der Entfernung her gut vorstellen. Natürlich können wir auch Hilfestellung bieten und unser Netzwerk nutzen, um Materialien direkt weiterzuvermitteln. Uns ist es wichtig, dass so viel Material wie möglich wiederverwendet wird und dadurch unsere Ressourcen gespart und bestmöglich eingesetzt werden.
IG Kultur Steiermark: Seid ihr mit eurer Organisationsform zufrieden oder könntet ihr mit einer größeren Struktur oder Kooperationen mehr erreichen?
circulART: Für den Anfang sind wir als kleiner Verein zufrieden, aber natürlich wollen wir wachsen und werden noch sehen, wie es sich entwickelt. Wir arbeiten gerade daran, ein VSE (Verified Social Enterprise) zu werden: Das ist ein Label für Unternehmen oder Organisationen, die einen gesellschaftlichen, sozialen oder ökologischen Beitrag leisten.
IG Kultur Steiermark: Es birgt eine gewisse Ironie, dass wir hier von Wachstum sprechen, obwohl Kreislaufwirtschaft ja ein zentraler Punkt im Postwachstums- bzw. Degrowth-Diskurs ist. Der sogenannte freie Markt bedingt ja die Wegwerfgesellschaft und produziert immer Überschüsse, die es in dieser Menge nicht geben müsste, wenn Suffizienz (der möglichst sparsame Umgang mit Ressourcen) eine relevante Rolle spielen würde. Euer Ansatz ist vermutlich ein pragmatischer Schritt, die Marktlogik zu hinterfragen.
circulART: Das lineare Wirtschaftssystem ist eine Sackgasse. Man muss nicht einmal groß systemanalytisch denken, um die Vorteile des Wiederverwendens zu sehen: Denn für viele der großen Materialgeber:innen ist es billiger, uns das Material zu geben, als viel Geld für die Entsorgung dafür zu bezahlen. Und da wir das Material auch wirklich günstig weitergeben wollen, ist es ja auch ein finanzieller Vorteil für jene, die Materialien bei uns beziehen. Es soll eine win-win-win-Situation entstehen. Für die Materialgeber:innen, die Materialnehmer:innen und die Umwelt.
IG Kultur Steiermark: Wie finanziert ihr euch?
circulART: Aktuell passiert das Meiste bei uns auf ehrenamtlicher Basis und wir stecken viel unserer Zeit in das Projekt. In Zukunft soll sich circulART aber auch durch Einnahmen, die wir aus Materialübernahmen (in weiterer Folge auch Nachhaltigkeitsberichte für die Materialgeber:innen) sowie Verkauf und Vermietung erzielen, finanzieren, aber kurz- wie mittelfristig sind Förderungen für uns wichtig. Wir haben eine kleine Förderung von der Stadt (Umweltamt und Kulturamt) bekommen und von der Umweltabteilung des Landes. Damit konnten wir im letzten Jahr unsere Betriebskosten decken und haben anfangen, die Halle zu renovieren, die jetzt aber leider wieder abgerissen wird. Große Förderungen haben wir leider keine erhalten. Die Begründungen reichten von „wenig wirtschaftlich“ bis „zu wenig Abfallvermeidung“ und „zu wenig Relevanz für Kunst und Kultur“. Im Frühjahr werden wir wahrscheinlich eine Crowdfunding-Kampagne starten, um unsere Startphase zu finanzieren (Umbau, Renovierung, Ausstattung der Halle, Website). Und natürlich ist auch ein Eröffnungsfest geplant.
Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Leonhard Rabensteiner.