Awareness und Inklusion im Veranstaltungskontext
In diesem Beitrag beschreibt Sarah Kampitsch von awaGraz, wie Awareness- und Inklusionsarbeit im Kulturbereich verankert werden können – von den grundlegenden Werten bis zu konkreten Maßnahmen für Veranstaltende. Awareness bedeutet schließlich, Verantwortung zu übernehmen, Grenzen zu respektieren sowie Vielfalt zu repräsentieren und zu leben.
Awareness bedeutet wörtlich „Bewusstsein“ oder „Achtsamkeit“. Awareness-Arbeit ist eine Haltung und Praxis, die darauf abzielt, diskriminierende, übergriffige oder grenzüberschreitende Handlungen wahrzunehmen, zu verhindern und Betroffene solidarisch zu unterstützen. Sie beruht auf dem Verständnis, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse – etwa aufgrund von sozialem Status, Geschlecht oder Herkunft – in allen sozialen Räumen wirksam sind, auch in Veranstaltungssettings.
In Zeiten, in denen uns weltweit Tendenzen zur gesellschaftlichen Spaltung, eine zunehmende Rückbesinnung auf traditionelle Werte, sowie vermehrt autoritäre politische Strömungen begegnen, gewinnt Awareness besondere Bedeutung. In faschistischen Systemen sind es oft soziale Sicherungs- und Schutzstrukturen, die zuerst zerfallen. Awareness-Arbeit steht dem gegenüber: Sie verteidigt Werte von Solidarität, Gleichberechtigung und gegenseitiger Fürsorge. Awareness im Veranstaltungskontext schafft Räume, in denen Betroffene von Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt nicht allein gelassen werden. Ihre Perspektive steht im Zentrum – nicht jene der Täter:innen oder das Image der Veranstaltung.
Prinzipien von Awareness-Arbeit
Von Grenzüberschreitungen oder Diskriminierungen betroffene Personen werden darin unterstützt, ihre Handlungsmacht zurückzugewinnen und gestärkt aus der Situation herauszutreten. Awareness-Teams handeln im Sinne der betroffenen Person, machen keine Schuldzuweisungen und urteilen nicht.
Awareness-Arbeit baut dabei auf drei zentralen Konzepten auf: Parteilichkeit, Konsens und Definitionsmacht. Parteilichkeit bedeutet, die Perspektive der Betroffenen ernst zu nehmen und sie nicht infrage zu stellen. Konsens heißt, dass jegliche Handlungen und Interaktionen nur dann stattfinden, wenn alle Beteiligten diesen zustimmen. Mit Definitionsmacht ist gemeint, dass ausschließlich die betroffene Person selbst bestimmt, was sie als übergriffig oder diskriminierend definiert.
Awareness-Arbeit kann sowohl reaktiv als auch präventiv wirken: Zum einen fühlen sich Menschen, die häufiger von Übergriffen und Diskriminierung betroffen sind, auf Veranstaltungen wohler, bei denen eine Awareness-Struktur präsent ist. Zum anderen werden gleichzeitig potentiell Gewalt ausübende Personen abgeschreckt, weil bereits im Vorhinein klar kommuniziert wird, dass entsprechendes Verhalten in diesem Raum nicht geduldet wird.
Braver Spaces und Safer Spaces
Ziel jeder Awareness-Arbeit ist die Schaffung von Safer Spaces und Braver Spaces. In Safer Spaces werden Strukturen geschaffen, die ein respektvolles, konsensuelles Miteinander ermöglichen. Hierbei können verschiedene Maßnahmen (wie z.B. der Einsatz eines Awareness-Teams oder das Aufsetzen eines Codes of Conduct) Diskriminierung aktiv entgegenwirken und Betroffenen Schutz bieten. In Braver Spaces ergeben sich Awareness-Strukturen organisch, indem alle das gemeinschaftliche Bewusstsein teilen, dass Grenzüberschreitungen überall und jederzeit stattfinden können, aber nicht toleriert werden. Es sind Räume, in denen Beteiligte selbstermächtigt Grenzen aussprechen und Verantwortung für sich und ihre Umgebung übernehmen. Braver Spaces leben von Selbstwahrnehmung, -reflexion und Zivilcourage. Zu erwähnen ist auch, dass die gängige Bezeichnung Safe Space nicht tragfähig ist, weil kein sozialer Raum absolut sicher sein kann.
Warum es Awareness braucht
Wie bedeutend diese Haltung ist, zeigt beispielsweise die 2023 veröffentlichte Studie der Vienna Club Commission über Sicherheit im Wiener Nachtleben, an der sich 2.233 Personen beteiligten. Aus der Studie geht deutlich hervor, dass Geschlecht, sexuelle Orientierung und Hautfarbe wichtige Faktoren für Sicherheitsgefühl und Diskriminierungserfahrungen sind.
Jede Dritte cis-Frau und 38% der queeren Personen unter den Proband:innen fühlen sich im Wiener Nachtleben allgemein nicht sicher. 42,5% der queeren Personen geben an, häufig oder gelegentlich Diskriminierung zu erfahren. Das betrifft 34,5% der cis-Frauen und nur 9,1% der cis-Männer. Über 40% der POC-Personen haben Diskriminierungserfahrungen gemacht, im Vergleich zu 25% der sich als weiß identifizierenden Teilnehmer:innen. Mehr als die Hälfte aller Personen hat im Wiener Nachtleben mindestens einmal sexuelle Belästigung erfahren.
Viele der Personen, die angeben, Diskriminierung oder Übergriffe erfahren zu haben, erzählen, dass sie keine angemessene Unterstützung erhielten. Oft melden sich Betroffene gar nicht bei Veranstaltenden oder Security, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Verantwortlichkeit für Sicherheitsstrategien ganz klar den Betreiber:innen der Eventlocations (85%) und den Veranstaltenden (77%) zugeschrieben wird. Sie müssen festlegen, wie ihr Event mit Diskriminierung und Grenzüberschreitung umgeht und entsprechende Maßnahmen setzen. Das zeigen auch jene Umfrageergebnisse, aus denen u.a. der Wunsch nach geschultem Personal, Hausregeln und strikter Türpolitik hervorgeht. Fehlt ein Hausrecht, wird das Personal nicht geschult oder hat das Awareness-Team keine Handlungsmacht, kann ein ordentliches Sicherheitskonzept nicht aufgestellt oder aufrechterhalten werden.
“Awareness-Washing”: Awareness als Marketing-Strategie
Viele Veranstaltungen werben damit, ein Awareness-Team vor Ort zu haben, setzen aber die zugrunde liegenden Werte nicht um. Ein “Safer Space” verlangt vorgegebene Unterstützungsstrukturen, an denen sich sowohl Mitarbeitende als auch Gäst:innen orientieren können. Wichtig ist auch, dass Awareness-Arbeit keine VIPs kennt: An Verhaltensregeln, Respekt und Konsens müssen sich ausnahmslos alle halten – auch Künstler:innen und Veranstalter:innen.
Verantwortungsbewusste Awareness-Arbeit orientiert sich an einheitlichen Standards, die 2024 von Awareness-Kollektiven aus Österreich und Deutschland kooperativ aufgestellt wurden. Voraussetzungen, unter denen sich ein Awareness-Team als solches bezeichnen kann, sind u.a. geschulte Awareness-Personen, die gendersensibel, antidiskriminierend, selbstreflektiert und konsensuell agieren. Sie arbeiten betroffenenzentriert, im Sinne von Definitionsmacht und Parteilichkeit, nüchtern, nie allein, werden bezahlt und übernehmen am Event keine anderen Aufgaben (z.B. Barbetrieb, Einlass). Werden derartige Standards nicht eingehalten, sprechen wir von “Awareness-Washing”.
Awareness-Konzepte integrieren
Ein durchdachtes Awareness-Konzept ist für jede Veranstaltung und jede Organisation sinnvoll – unabhängig davon, ob es ein dezidiertes Awareness-Team gibt oder nicht.
Der “Code of Conduct” ist ein öffentlich einsehbarer Verhaltenskodex und das Herzstück eines Awareness-Konzepts. Er legt offen, welche Werte gelten, welche Verhaltensweisen erwünscht sowie welche nicht toleriert werden und welche Konsequenzen Grenzüberschreitungen haben. Ein Konzept sollte außerdem festlegen, wie und wo Vorfälle gemeldet werden können, wer entscheidet, welche präventiven Maßnahmen umgesetzt werden und wie mit allen Beteiligten respektvoll umgegangen wird. Ein transparenter Ablaufplan schafft Sicherheit – sowohl für Betroffene als auch für das Team.
Inklusives Veranstalten – Vielfalt von Beginn an mitdenken
Awareness beginnt nicht erst beim Einlass, sondern ist schon bei der Planung und Gestaltung einer Veranstaltung leitgebend. Diversitätssensible Events stellen sicher, dass alle Menschen gleichberechtigt teilnehmen können, unabhängig von Sprache, Behinderung, Alter, Geschlecht, sozialem Hintergrund oder aktueller Lebenssituation. Das bedeutet beispielsweise, weniger privilegierte “unsichtbare” Personengruppen schon bei der Wahl von Location, Wochentag und Uhrzeit mitzudenken.
Ist der Veranstaltungsort barrierefrei? Wie divers ist das Line-up? Wie reagieren, wenn sich Redner:innen diskriminierend ausdrücken oder Bands einen sexistischen Song performen? Gibt es Übersetzungen und Texte in leichter Sprache? Gibt es Rückzugsräume im Fall von Reizüberflutung oder Überforderung? Sind die Ticketpreise fair und für alle leistbar? Braucht es Kinderbetreuungsangebote? Und vor allem: Wie divers ist das eigene Team aufgestellt? Wer trifft die Entscheidungen und wie werden diese getroffen?
Von der ersten Idee bis zur Nachbesprechung muss ein ständiger Prozess von Reflexion, Feedback und Anpassung stattfinden. Es reicht nicht, “no racism” auf ein Plakat zu schreiben, um einen Safer Space für People of Colour zu kreieren. Nur wer die Bedürfnisse verschiedener Menschen von Anfang an mitdenkt, kann Veranstaltungen gestalten, die wirklich offen für alle sind.
Haltung und Verantwortungsübernahme
Awareness ist letztlich eine Haltung – ein Bekenntnis dazu, Verantwortung für das eigene Handeln und das soziale Miteinander zu übernehmen. Sie verlangt Selbstreflexion: Wo profitiere ich von Privilegien? Wo reproduziere ich unbewusst Machtstrukturen? Wenn Veranstaltende sich der Verantwortung annehmen und klare Awareness-Strukturen schaffen, werden Vorfälle sichtbarer. Grenzüberschreitungen passieren immer und überall – es kann aber ein Raum geschaffen werden, der Betroffenen das Vertrauen gibt, gehört und nicht alleine gelassen zu werden.
Gemeinsam Ungleichheiten beseitigen
Awareness- und Inklusionsarbeit im Veranstaltungskontext sind zentraler Bestandteil verantwortungsvoller Kulturarbeit. Sie stärken Individuen, fördern Gemeinschaft und schützen demokratische Werte. Sie fordern dazu auf, Macht kritisch zu reflektieren, Empathie zu praktizieren und Sicherheit als gemeinschaftliche Aufgabe zu begreifen.
Veranstaltende, Vereine und Kollektive, die Awareness ernst nehmen, schaffen nicht nur Safer Spaces auf Events. Sie tragen dazu bei, dass gesellschaftliche Räume insgesamt solidarischer, gerechter und diverser werden. Wo Menschen achtsam miteinander umgehen und einander respektvoll begegnen, wo Zivilcourage keine Ausnahme, sondern die Regel ist, wo wir für unsere eigenen und die Grenzen anderer einstehen, bleibt niemand allein und kann Vielfalt wachsen.
Weiterführende Infos zur Awareness-Arbeit sowie deren Ansprüche findet ihr auf der Website der Awareness Standards. Solltet ihr an einer Veranstaltungsbetreuung interessiert sein oder würdet gerne an einem Awareness-Workshop teilnehmen, könnt ihr euch unter anderem an folgende Initiativen wenden: AwA* (Wien), awaGraz (Graz), AwA Salz (Salzburg), Arche Awareness (Innsbruck)*
Quellenverzeichnis
Awareness Kollektiv Deutschland & Österreich (2024): *Awareness-Standards – Gemeinsame Standards für Awareness-Arbeit im deutschsprachigen Raum.* Online unter: https://awareness-standards.info/awareness-standards
Awareness Institut (2023): *Safe the Dance – Handbuch Awareness. Für sichere, respektvolle und diskriminierungsfreie Clubkultur.* Wien.
Clubcommission Berlin e. V. (2021): *Awareness Leitfaden für Clubs und Festivals.* Online unter: https://clubcommission.de/awareness
Queer Relief (2022): *Parteilichkeit und Definitionsmacht – Grundprinzipien in der Awareness-Arbeit.* Online unter: https://www.queerrelief.de/awareness
Vienna Club Commission (2023): *Sicherheit im Wiener Nachtleben – Ergebnisbericht zur Umfrage 2023.* Online unter: https://www.viennaclubcommission.at/sicherheit-im-wiener-nachtleben-erg…
Awareness Akademie (2022): *Awareness im Kulturbetrieb – Leitfaden für Veranstaltende.* Online unter: https://www.awareness-akademie.de/leitfaden