4xHerbst 

Berichte um Flüchtlingslager und Transporte in der Steiermark, Oktober 2015. 

Grenze Flüchtlingslager

„9 Uhr 15 Abfahrt nach Braunau“, stand auf dem Zettel, der da am Boden lag. Der erste Bus aus der Schwarzl-Halle ging nach Braunau in ein Auffanglager für Transitflüchtlinge auf ihrem beschwerlichen Weg nach Deutschland. Die meisten der Flüchtlinge wussten nicht, wo Braunau lag ... nichts über den historischen Hintergrund der Stadt. Warum gerade nach Braunau?, fragte ich mich, ließ den Gedanken aber für sich stehen. Man will ja keine Panik unter Syrern, Afghanen u.a. verbreiten, sondern verhält sich als dokumentarischer Beobachter ruhig, sieht sich mit dem Kameraauge den Ablauf um den Abtransport von Menschen einfach an. Zuerst wurden alle aufgefordert, die große Veranstaltungshalle zu räumen und in einer langen Reihe Aufstellung zu nehmen. Ein Bus nach dem anderen startete vom Parkplatz aus in Intervallen von ca. 20 Minuten. Diese Flüchtlinge sind für mich Namenlose, die gar nicht wissen, wo sie sich gerade befinden und wohin die Reise geht. Es geht nach „Germany”, habe man ihnen gesagt. Zu viel Information um Transportwege würde wahrscheinlich ihre Nachfrage oder sogar ihren Unwillen erzeugen. Somit war es offensichtlich, dass Informationen nicht weitergegeben werden konnten. Ebenso wurde die Information zurückgehalten, dass es den Flüchtlingen freisteht, auch hierzulande einen Asylantrag zu stellen. Bald sind sechs Busse nach Braunau am Inn abgefahren. Ich stand da unter vielen Helfern mit einer Weste des Arbeitersamariterbundes. Eines war mir dabei klar und deutlich: Ich werde keinen dieser namenlosen Transitflüchtlinge je wiedersehen. Tags darauf zeigt mir ein Grazer Künstler einen „Falter“-Artikel, woraus ersichtlich wurde, dass sich der Betreiber der Halle über Veranstaltungen und Bordelle finanziert. Ich zweifle den guten Ansatz des Helfens nicht an und finde jede Form von Unterstützung lobenswert, insbesondere die gratis Raumnutzung der Halle. Aber kurze Zeit darauf wird die Transithalle zu einem Asylerstaufnahmezentrum umfunktioniert? Ob in diesem Zeitrahmen die Grundversorgung der Flüchtlinge, die nun namentlich erfasst werden, auch entsprechend abgerechnet wird, kann ich nur vermuten; zu hinterfragen gilt ein Geschäft und deren Vergabe allemal. Vielleicht stelle ich einfach zu viele Fragen, nicht wie die Sanitäterin, die sich nur auf die notwendigste Hilfestellung konzentriert, nur den kranken verwundeten Menschen sieht. Kein Kosten-Nutzen-Kalkül, keine Logistik, keine objektivierbare Vergangenheit oder Zukunft. Nur dieser eine Mensch in diesem Augenblick der Berührung. Aber wie ich später höre, sind die Busse bis heute nicht abgerechnet. Wieder bloß ein Gerücht? 

Um 3 Uhr morgens blitzten die Taschenlampen auf. Arabische und persische Stimmen weckten mich. Ich hatte mich von der Liege aufgerichtet. Ich lag in der Praktika-Halle in Graz-Webling unter einer Vielzahl an Flüchtlingen. Eine Taschenlampe fuhr mir direkt ins Gesicht. Erst nach längeren hin und her konnte ich mich als Mitarbeiter zu erkennen geben. Die Rot-Kreuz-Jacke hängt daneben. Die Busse kommen bald, wurde mir schon abends zuvor erklärt. Niemand wusste, wann die Busse kommen würden. So ging man auch vor Mitternacht schlafen. Die Überraschung war dann offensichtlich. Unruhe und Stress. Die Menschen wurden nach den Nummern ihrer Armbänder aufgefordert, rasch ihr Gebäck zu ordnen und nach draußen auf den Parkplatz zu kommen. Schlaftrunken beeilten sie sich, so gut sie eben konnten. In Decken gehüllt schlurften sie ins Flutlicht. Es war empfindlich kalt draußen. Dort mussten sie hinter einer Tafel mit der entsprechenden Armband-Nummer Aufstellung nehmen. Männer, Frauen und Kinder, die in der allgemeinen Hektik vielerlei liegen ließen, offensichtlich nur das Nötigste mit sich nahmen. Der Rest blieb verstreut in der vormaligen Einkaufshalle liegen. Wir brachten vermehrt Decken nach draußen und stellten Bänke auf, um den Menschen das Warten zu erleichtern. Ein Syrer gab sich „confused”. Niemand konnte sagen, wohin die Busse fuhren. Manche munkelten, dass sie zum Grazer Hauptbahnhof fahren würden. Andere glaubten, dass der Weg über Wien nach Salzburg gehen würde. Die Reiseroute blieb fraglich – angeblich ging die Reise nach Deutschland. Davor an die Grenze in ein Auffanglager. Die Menschen, Flüchtlinge wie Teams, wurden völlig ahnungslos über die Abfahrzeiten und Routenplanung gehalten. Manche wussten zwischenzeitig, dass sie auch in Österreich einen Asylantrag stellen könnten; diese Personen bekamen im Gegensatz zu den Weiterreisenden ein graues Band, ebenso eine Nummer. Ich ersparte mir diesmal die Frage um die Farbsymbolik. Sie wurden gezählt, damit alles seine Ordnung hatte. Auch sie würden weggebracht werden. Niemand konnte oder wollte ihnen sagen wohin. Die Halle war nun völlig leer. Kleider, Schuhe, Schlafsäcke, Zelte usw. wurden aus hygienischen Maßnahmen zum Müll geworfen. Ich wollte noch einige fast neuwertigen Anoraks retten. Das wurde aber von der Kleidersammelstelle untersagt. Nun wurden die Hallen desinfiziert und wieder für die nächsten Ankommenden vorbereitet. Und wieder konnte niemand sagen, wann die Busse kommen würden. Dosenweise stand das Transitgulasch für sie wieder bereit. 

14 Uhr 21. Das Protestcamp befand sich direkt vor der Landespolizeidirektion Graz-Paulustor. Dort saßen an die 30 Personen, die über die Lage der Asylverfahren protestierten. Syrer, Irakis, Afghanen u.a. Sie erzählten in gutem Englisch über die Lage in ihren Ländern, über das mörderische Treiben der IS und der Taliban. Dass sämtliche Bombardements die Zivilbevölkerung treffen würden. Über die Angst, dass ihren Frauen und Kindern etwas zustoßen könnte, über die tödlichen Risiken, die überall lauerten. Die unnötigen Bombardements der Russen und Amerikaner. Und über die Ungleichbehandung von Asylverfahren und Entscheidungen hier in Österreich. Manche Verfahren in Wien wurden innerhalb weniger Wochen entschieden. Hier wartete man schon nahezu ein Jahr oder auch länger? Über diese Ungleichbehandlung wolle man hier informieren. Ebenso wolle man unverzüglich arbeiten und sich der Gesellschaft in Österreich als nützlich erweisen. Viele hier sprachen ein bemühtes Deutsch auf A2-Niveau. Sie fragten, welche Rechtsfolgen ein Hungerstreik mit sich bringen würde. Die Stimmung wirkte aufgeheizt, zumal keine Lösung um die Beschleunigung der Verfahren in Sicht war. Das Warten und die Unwissenheit um die Situation zermürben die Menschen. Die Zeit des Wartens macht sie apathisch und willenlos. Sie schätzen Österreich und seine Sicherheit, gleichzeitig wollen sie hier ein normales menschlich gleichwertiges Leben mit ihren Familien führen dürfen. Vielen der Männer hier geht es um den Nachzug ihrer Frauen und Kinder. Auch an diesem Tag wurden sie weiter vertröstet – auf ein Morgen, das keiner kennt. Inzwischen wurde im Innenministerium ein Asyl auf Zeit verhandelt und das Nachzugsrecht für subsidiär Schutzberechtigte auf drei Jahre ausgedehnt. Die Blätter färbten sich am Platz der Versöhnung ein ... eines fiel golden-schwarz umrandet zu Boden. 

14 Uhr 30. Spielfeld. Überall war Armee und Polizei zu sehen. Sie hatten die Straße zur Grenze abgeriegelt. Ein Mann mit Sonnenbrille fotografierte die vorüberfahrenden Taxifahrer. Es gab für Neugierige kein Weiterkommen. Auf den Landstraßen um Spielfeld hatten wir vereinzelte Flüchtlinge gesehen, Verbände von fünf bis zehn Personen, die sich zu Fuß aufgemacht hatten. Hier am Parkplatz vor dem Café standen auffallend viele ungarische PKWs und Taxis. Die Männer warteten. Eine Fahrt nach Salzburg würde 800 Euro kosten, eine Fahrt nach Wien 500 Euro. Pauschal versteht sich, weil der Tarif, wie ich später nachrechnete, bedeutend billiger war. Ein Taxi-Bus aus Zell am See fuhr ein. Da lief also ein betrügerisches Geschäft mit den Flüchtlingen ab. Eine NGO-Mitarbeiterin klärte mich über Mafioten auf, darüber, dass Schlepper die Menschen einfach für ein paar Hundert Euro am nächstbesten Bahnhof aussetzten. Immer würden Menschen auf der Flucht verloren gehen. Auf den Bustransporten getrennt, auf den Bahnhöfen, auf den Märschen, in den Transitlagern und eben in einem fremden Wagen. Im Internet kursieren Listen mit Fotos von Vermissten. Die Gruppe von Afghanen, die auf dem Weg nach Leibnitz zu Fuß unterwegs waren, scherte die Schlepper oder Taxifahrer wenig. Sie wollten nur rasch zum nächsten intakten Bahnhof. Erstmals erfuhren wir, dass die Bahnstrecke Spielfeld – Leibnitz gesperrt war. Wegen der Flüchtlinge. Der junge Afghane lächelte, als ihm mein Freund Geld geben wollte. Nicht aus Stolz, vielmehr aus Haltung. „Er habe genug für seine Reise”, sagte er in klarem Englisch. Eine Städtereise nach Istanbul hin und retour kostet zurzeit 149 Euro. Ich konnte nur erahnen, was die Menschen ausgegeben haben, um hierher zu kommen. Bei aller Sicherheit, nach der die Flüchtlinge streben, wird gerade von technischen Barrieren und Zäunen gesprochen. Gleichzeitig tauchen am Bahnhof in Graz Plakate mit Krankheitswarnungen aus arabischen und afrikanischen Ländern auf. 


 

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