Zurück in die Zukunft. Von der Notwendigkeit mediale Utopien zu entwerfen

Das Konzept von NetzNetz sah dabei ursprünglich einen softwaregestützten Vergabemodus vor, der eine gegenseitige Bewertung der SpielteilnehmerInnen ermöglichen sollte. Doch wenn FördergeberInnen zugleich auch FordernehmerInnen sind, ist der Streit zumeist schon vorprogrammiert.

Im Rahmen der diesjährigen Ars Electronica wurden erstmals Zwischenergebnisse des Forschungsprojekts „Netzpioniere.at“ vorgestellt, welches vom Ludwig Boltzmann Institut Medien.Kunst.Forschung. bis Ende 2009 anberaumt ist. Die kunst- und medienwissenschaftliche Aufarbeitung österreichischer Netzprojekte seit den frühen 1990er Jahren reicht dabei von der exemplarischen Wiederveröffentlichung der Website von THE THING Vienna (1993-2004) bis hin zu juristischen und technischen Machbarkeitsstudien zur Repräsentation und Kontextualisierung von Public Netbase (1994-2006) und Etoy (1994-heute). Angesichts der schrumpfenden Budgets für die aktuelle Netzwerkkunst ergibt sich daraus eine paradox anmutende Situation: Zwar scheint die Musealisierung von netzbasierter Kunst durchaus förderungswürdig, die Produktion derselbigen aber nicht. Im Folgenden sollen Werdegang und aktuelle Schwierigkeiten der österreichischen Netzkunst betrachtet werden, um somit einen Blick in deren Zukunft zu werfen.

Musealisierung

Schon zu Beginn der künstlerischen Medienarbeit standen utopische Ziele, die in einer Reihe von Manifesten und Entwürfen der 1920er Jahre zum Ausdruck kamen (Bertolt Brecht, Dziga Vertov, László Mohol-Nagy, u.a.). Diese nahmen auf theoretischer Ebene vorweg, was dann im Laufe der 1960er Jahre unter dem Namen Medienkunst Einzug in die künstlerische Praxis hielt. Für Dieter Daniels, den Leiter des LBI Medien.Kunst.Forschung., ergab sich daraus eine Verbindung von technischer und künstlerischer Innovation, die zum Leitmotiv der internationalen Kunstszene wurde. Die Etablierung der Medienkunst als eigenständige Kunstform erfolgte dann im Laufe der 1980er Jahre, wobei dieser Prozess aus Mangel an geeigneten Präsentationsmöglichkeiten von einer ersten Institutionalisierungsphase begleitet wurde. Abseits der traditionellen Kulturmetropolen entstanden so neben dem Ars Electronica Festival in Linz (1979), unter anderen die Videonale in Bonn (1984) oder die Artec in Nagoya (1989).

Die digitalen Technologien führten dann in den 1990er Jahren zu einer radikalen Entspezialisierung der Medienkunst, was eine künstlerische wie ideologische Konvergenz zur Folge hatte. Nach der Radioutopie der 1920er Jahre und der Videoutopie der 1960er Jahre, brach nunmehr eine allgemeine Interneteuphorie aus, die wie ihre Vorgänger eine Demokratisierung der Medien versprach. Die Netzkunst entwickelte sich damit abseits der bereits etablierten und institutionalisierten Medienkunst und führte vor allem in Österreich zu einer Bündelung erster Pionierprojekte. Im Spannungsverhältnis von Kunst, Technologie und Gesellschaft schufen diese offene Plattformen, welche zur Bewusstseinsbildung gegenüber den neuen Kulturtechnologien beitragen sollten. Neben der Artikulation einzelner künstlerischer Positionen ging es dabei stets um die Forderung nach „public access“, also die Möglichkeit einer partizipativen Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Aufgrund der radikalen Kritik an den Produktions- und Rezeptionsstrukturen der bisherigen Medienkunst erschien die Netzkunst in den Augen von Politik, Verwaltung und Museen lange Zeit als anarchischer Bereich, den es zu disziplinieren gelte.

Im Sinne eines natürlichen Antipoden zum bestehenden Museumsformat sahen sich die Initiativen als offene Kunsträume, die mittels Mailinglisten, schwarzen Brettern, kooperativen Websites und Kunstservern eigene Netzwerkcommunities bildeten. Um den Wettlauf mit der Zukunft nicht zu verlieren und damit den Entwicklungen im freien Kunstbereich nachkommen zu können, wurden schließlich staatlich subventionierte „Museen“ für netzwerkbasierte Kunstformen gegründet: das Ars Electronica Center in Linz (1996), das Intercommunication Center in Tokio (1997) oder das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (1998). Diese zweite Phase der Institutionalisierung ermöglichte es der Kulturpolitik nunmehr verstärkt, ihre Hand nach einer bis dahin weitgehend autonom agierende Szene auszustrecken. Dabei wurde die museale Präsentation zumeist von der Einrichtung marktorientierter „Zukunftslabors“ begleitet, welche die neuen künstlerischen Praxen für ökonomische Anwendungen fruchtbar machen sollten. Mit Hinweis auf die kommerziell erfolgreiche Inszenierung, verloren die widerständigen Plattformen damit sukzessive an Subventionsboden.

Förderpolitik

Die Tendenz hegemonialer Vereinnahmung fand in Österreich 2005 ihren vorläufigen Höhepunkt, als im Auftrag der Wiener Kulturabteilung (MA7) ein partizipatives Fördermodell zur Finanzierung der Netzkultur ausgearbeitet wurde. Das Konzept von NetzNetz sah dabei ursprünglich einen softwaregestützten Vergabemodus vor, der eine gegenseitige Bewertung der SpielteilnehmerInnen ermöglichen sollte. Doch wenn FördergeberInnen zugleich auch FordernehmerInnen sind, ist der Streit zumeist schon vorprogrammiert. Mittlerweile ist das „Mana-Community-Game“ als Onlinetool Geschichte, der Koordinator untergetaucht, die Diskussionsliste kurz vor der Stilllegung und die KritikerInnen vor Gericht. Von der früheren Drohung des Wiener Kulturstadtrates Mailath-Pokorny (SPÖ), das kulturpolitische Experiment auf andere Förderbereiche auszudehnen, ist heute nichts mehr zu hören.

Wer es überhaupt noch auf sich nimmt, bei dem Vergabeprozedere mitzumachen, sieht sich bald einer Vielzahl an Schwierigkeiten ausgesetzt. Zunächst scheint es für Außenstehende beinahe unmöglich, die relevanten Informationen in der digitalen Flut von NetzNetz zu finden. Hat man/frau sich schließlich durch alte wie neue Websites und Mailinglisten gequält, sind die Mühen noch lange nicht vorbei. So wurden bei der letzten Projektförderung im März dieses Jahres die Spielregeln mitten im Anmeldeprozess geändert, sodass Einreichende nicht einmal mehr die Möglichkeit hatten, ihr Recht auf die angeblich zentrale Mitbestimmung auszuüben. Wer Teil der Community sein soll und somit überhaupt erst in die Nähe von Fördertöpfen gelangen darf, entscheidet letztlich die Community selbst. Was früher in Abgrenzung zu den kulturpolitischen EntscheidungsträgerInnen geschah, führt heute zu internen Verteilungskämpfen um die ohnehin schon knappen Ressourcen.

Dass das vermeintlich egalitäre System von NetzNetz dabei schnell zu Ausschließungstendenzen beiträgt, zeigt die Vergabe der diesjährigen „Annual Convention“. So erhielten Judith Fegerl und Markus Hafner (Faktum Flakturm) gemeinsam mit Günther Friesinger (monochrom) Anfang 2007 durch Beschluss des Community-Plenums den Zuschlag von 100.000 Euro, um damit das „Festival der Wiener Netzkultur“ auszutragen. Die Kooperationsveranstaltung sollte im „un-space“ des seit Jahren leer stehenden Flakleitturms Arenbergpark stattfinden, welcher bereits im Vorjahr für zwei große Ausstellungen geöffnet werden konnte. Nachdem dem Verein Faktum Flakturm dann Ende Februar von Seiten der Stadt Wien die Nutzung des Turms untersagt wurde, war es auch mit der Solidarität bei NetzNetz vorbei. Anstatt das couragierte Projekt zur Öffnung dieses Wiener Unorts zu unterstützen, übernahm Friesinger kurzerhand das gemeinsame Konzept für sein „paraflows“-Festival und ging damit zum Gefechtsturm direkt nebenan. Dort liegt nämlich das Gegenwartskunstdepot des Österreichischen Museums für angewandte Kunst (MAK), dessen Direktor, Peter Noever, schon mehrmals versuchte, seinem etwas behäbig auftretenden Haus mithilfe von Netzkunst einen jungen Anstrich zu verleihen.

Regierungstechniken

Während die Frage der Selbstverwaltung für die frühen Netzpioniere noch zentraler Bestandteil ihrer Arbeit war, haben wir es heute zunehmend mit Scheinautonomien zu tun. Besonders im so genannten Kreativbereich genügt oftmals der Hinweis auf flexibilisierte Arbeitsweisen, um damit die Herrschaft im weitgehenden Einverständnis mit den ProduzentInnen durchzusetzen. Durch neue Formen der Selbstregierung sollen so die Grenzen zwischen Staatsapparaten und Zivilgesellschaft aufgelöst und die demokratiepolitische Verantwortung auf scheinbar frei agierende Individuen und Institutionen übertragen werden. Konnte man bei „paraflows“ des Vorjahres noch einen Workshop unter dem etwas bieder klingenden Titel „Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung“ besuchen, wird das diesjährige Symposium „Grenzflächen des Meeres“ ganz im Zeichen dieser neuen Regierungstechniken stehen: „Was das Meer metaphorisch für das Verhältnis von Mensch und Technik leistet, leistet das Schwimmen für die Frage nach der Internalisierung von Ordnung.“

Die Selbstdisziplinierung wird damit zur Überlebensstrategie von Kunst- und Kulturschaffenden, sofern sie die Vergabe von Fördergeldern nicht bloß als Spiel, sondern als notwendiges Übel ihrer Arbeit ansehen. Damit einher geht eine schleichende Entpolitisierung der Kunstproduktion, welche die utopischen Vorstellungen einer partizipativen, weil Öffentlichkeit schaffenden Medienpraxis auszusparen droht. An der Schnittstelle von Wirtschaft und Kultur entsteht so eine Kreativindustrie, die der freien Szene mit Verweis auf die alles bestimmende Standortpolitik zusätzlich Konkurrenz um die Förderungen macht. Dem allgemeinen Kommerzialisierungstrend folgend, wurden so vergangenen Juni auf Initiative der Telekom Austria zwei Innovationslabors für Netzkultur im Wiener Museumsquartier (MQ) und Bertolini Haus in Dornbirn eröffnet. Die „net.culture.labs“ werden mit ca. 90.000 Euro gesponsert und sollen vor allem junge, kreative Leute für den Telekomkonzern zugänglich machen. Dass dieser nunmehr direkt neben der ebenfalls im MQ ansässigen Datenschutzorganisation Quintessenz Platz genommen hat, schien den NetzNetzlern aber nur ein müdes Posting wert.

Am Wiener Standort wird es neben dem Lab zudem noch einen eigenen „Space“ für die Ars Electronica geben, deren künstlerischer Leiter, Gerfried Stocker, damit seine eigene Spielwiese in Österreichs größtem Kulturareal erhält. Dort, wo ursprünglich neue Praxen zeitgenössischer Kunst entstehen hätten sollen, werden nun marktgerechte Applikationen für das „Zukunftsoffice“ entwickelt. Die Arbeit der Pionierprojekte löst sich also zunehmend im medialen Alltag auf, während ihre kritischen Inhalte im Museum verschwinden. Damit die Vergangenheit der Netzkunst allerdings nicht ihre eigene Zukunft frisst, die Budgets zu ihrer Musealisierung und Kommerzialisierung also nicht der aktuellen Produktion entzogen werden, braucht es praxisorientierte Archive statt bloßer Werkschauen und -stätten. Erst wenn es gelingt, eine Vielfalt an kulturellen Praxen lebendig zu halten und damit die Effekte einer Instrumentalisierung künstlerischer Arbeit zu unterlaufen, lassen sich auf Grundlage der alten Utopien vielleicht auch wieder neue schaffen.

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Ludwig Boltzmann Institut

Clemes Apprich studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Wien und ist derzeit freier Mitarbeiter am LBI Medien.Kunst.Forschung. 

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