Zu offen, zu zu. Das Mediencamp als Wunsch-Container

Das Mediencamp stand zwischen dem 27. Juni und dem 27. Oktober 2003 am Wiener Karlsplatz, neben dem project space der Kunsthalle Wien. MALMOE, Public Netbase, IG Kultur Wien, Radio Orange 94.0 und PUBLIC VOICE Lab hatten in einem "symbolpolitischen Akt zivilen Ungehorsams" eine Brache neben der Kunsthalle geentert.

"Der Aktivismus der Straße ist reduziert auf die Medienfrage. Wie stelle ich mich dar, und erreichen die Zeichen, die ich aussende, das Bewusstsein der Zuschauer? Die Autonomie ist sich selbst nicht genug, sondern sie muss produziert und, mit einer medialen Aura versehen, in einen kodierbaren Diskurs plus zugehöriger Identität gestellt werden. Was radikal fremd erscheint, ist per definitionem suspekt, anstatt jauchzend entdeckt zu werden."

Agentur Bilwet, Vorwort zu Temporäre Autonome Zonen T.A.Z. von Hakim Bey


Das Mediencamp stand zwischen dem 27. Juni und dem 27. Oktober 2003 am Wiener Karlsplatz, neben dem project space der Kunsthalle Wien. MALMOE, Public Netbase, IG Kultur Wien, Radio Orange 94.0 und PUBLIC VOICE Lab hatten in einem "symbolpolitischen Akt zivilen Ungehorsams" eine Brache neben der Kunsthalle geentert. Drei Container, obenauf die zehn Monitore der Installation "MIR", das bereits am Gelände des Museums Quartier zum besetzenden Einsatz im öffentlichen Raum gekommene Military-Zelt der Public Netbase und eine Piratenflagge kündeten von der Landnahme. Und Menschen, die bei sommerlichen Diskussionsveranstaltungen rauchen und in Gartenliegen lümmeln konnten oder tanzen oder essen oder zusehen. All das zumindest auf den ersten Blick im Dienste von fünf Forderungen (politische Unabhängigkeit und Selbstorganisation der freien Medien, Subventionen für Infrastruktur und Basisbetrieb, Schaffung entsprechender Bundes- und Landesmediengesetze, eigenes Förderungsmodell zur Finanzierung partizipativer Medienarbeit, Einbindung in medienpolitische Entscheidungsprozesse), die unter dem ebenfalls bereits öffentlichkeitserprobten Slogan "Freie Meinung braucht freie Medien" auf politische Grundlagen der Absicherung des dritten Mediensektors drängten. Auslöser des schnellen Zusammenschlusses war die sich negativ verschärfende Situation bei Orange 94.0 sowie das blockierende Vorgehen der Stadt Wien in Bezug auf eine Umsetzung des Offenen Kanals.

"Die breite Trägerschaft von Initiativen und Organisationen versteht dieses Vorgehen als kultur- und medienpolitische Landnahme. Das Mediencamp will als lebendige Plattform einer unabhängigen kulturellen und medialen Praxis den Karlsplatz in den Mittelpunkt einer neuen Protestbewegung rücken", schrieben die BesetzerInnen auf der Homepage.

Breite Trägerschaft, Landnahme, lebendige Plattform, Protestbewegung - weil das eben gerade nicht radikal fremd schien, wurde das Mediencamp zunächst jauchzend entdeckt. Vielleicht nicht als Temporäre Autonome Zone, in der allerlei möglich ist, was Spaß macht, vor allem aber in Bewegung ist, aber doch - über die Wiederkehr von Referenzbildern und -begriffen zum flirrenden, ideenreichen Widerstand gegen die schwarzblaue Regierung im Frühjahr 2000 - als Ort der Kritik und des Zusammentreffens.

Heterogene Kritik am Mediencamp

Sich an einer Gegenbewegung beteiligen zu wollen, heißt: Interessen mit anderen zu teilen und diese gemeinsam durchsetzen zu wollen. Bilder von Gegenbewegungen können somit vielleicht mitunter revolutionsromantisch verklärt sein, mögen andererseits erschreckend anstrengend wirken, zeichnen sich jedenfalls aber durch den Platz aus, den sie bieten, sich selbst in dieses Bild einzufügen, bzw. der gefordert wird, einzunehmen. Verschlossene Türen sind dem einladenden Charakter eines Bildes freilich abträglich. Ein Veranstaltungsprogramm, das in erster Linie zur Konsumation einlädt, ebenso.

Dass das Mediencamp von außen kritisiert und zum Teil auch von ProtagonistInnen letztlich als "gescheitert" bezeichnet worden ist, hat verschiedene Gründe. Diese liegen vor allem in der Vielfalt der auf das Mediencamp projizierten Anliegen und den entsprechenden möglichen, einander ausschließenden Organisationsformen begründet. Denjenigen, die das Mediencamp als möglichen Ort eines zivilgesellschaftlichen Zusammenkommens betrachteten, war der Ort zu wenig offen, bzw. auch die Fürsorge für den Transport von Inhalten und das Aufrechterhalten von Diskursen jenseits des medienpolitischen Themenfelds zu wenig vorhanden: Die Scheuen vermuteten Sektiererei, die Vorsichtigen Vereinnahmung in einem l’art pour l’art-Reigen, die ganz Vorsichtigen grübelten über einen von Public Netbase und deren Karlsplatzfokus gesteuerten Hype Aktionismus.

Für andere hatte das Camp in der bestehenden Form zu wenig Durchschlagkraft, war zu wenig Rebellion - wobei auch hier die Kritikansätze nicht deckungsgleich sind, und zum einen auf ein zu Wenig an unberechenbarer Variabilität, zum anderen auf ein zu Wenig an besetzerischem Gestus abzielen.

Die drei Container stießen aber in der Tat erst spät im Herbst auf nennenswerte Reaktionen von seiten der städtischen Ordnungsmacht (in Form der Vorbereitung einer Räumung), sie wurden geduldet, die Kunsthalle Wien adoptierte das Camp - quasi als Crossover-Projekt - auf seiner Homepage. Gemeinsame Überlegungen wider die "Beschaulichkeit" (Monika Mokre in MALMOE Nr. 15 zu Depot und Mediencamp) und hin zu einer Verschärfung des Tons, zu einer spürbaren Sichtbarkeit durch Radikalisierung von Aktionsformen schienen im Konsens aller Beteiligten kaum möglich, und diejenigen, die sich mehr Reibung wünschten, mussten sich mit dem "Tribunal der freien Medien" am 29. August begnügen: Das "öffentliche Schauverfahren wegen schwerer Verstöße gegen die Medienfreiheit der Freien Medien" gegen Christoph Chorherr, Andreas Mailath-Pokorny, Franz Burda und Franz Morak brach trotz des performativen Charakters als Irritation aus der symbolpolitischen Ebene aus und ließ die Wiener Grünen grollen.

Symbolpolitischer Akt, kultur- und medienpolitische Landnahme - das Mediencamp am Karlsplatz als Verortung von Protest, als erneuter Treffpunkt der "nonkonformen Masse" (Gerald Raunig in Kulturrisse 00/00 über die DonnerstagsdemonstrantInnen) hat sich im schnellen Wollen und Machen dahingehend verheddert, dass vor allem die AnsprechpartnerInnen in den eigenen Reihen sich im eigentlich brisanten Gefüge zwischen spezifischem Forderungskatalog, Testgelände für kollektive widerständische Aktion, Reclaiming the Streets-Ambition und selbstverwaltetem Openair-Depot nicht zurechtfanden.

Pressure Group und Afterhour

Auf der Habenseite stehen aber dennoch 100 Veranstaltungen in vier Monaten und als Ergebnis in medienpolitischer Hinsicht das Fakt, dass dem Wiener Grünen-Klubobmann Chorherr während einer Diskussion am 25. August das Datum für eine go-nogo-Entscheidung zum Offenen Kanal entlockt werden konnte. So gesehen hat das Mediencamp als Pressure Group zwar keine seiner fünf Forderungen durchsetzen können, wohl aber zumindest die in Wien für freie Medien verantwortlichen PolitikerInnen (außer Andreas Mailath-Pokorny, der seine Zuständigkeit bezweifelt hat) in die Gänge gebracht. In Festen, Konzerten vormittäglichen Afterhour-Raves fand sich dann auch noch die T.A.Z. wieder im Sinne der "Dancefloor-Resistance" (Rupert Weinzierl zu volkstanz.net in Kulturrisse 01/01).

Vom Mediencamp bleibt zunächst ein Video, das ab Mitte Dezember auf der Mediencamp-Homepage zu sehen ist. In der ästhetischen Bildfindung spielen Bilder der Geschwindigkeit und Schnitte sowie Überblendungen zwischen den Ebenen des Symbol-, Kultur- und Medienpolitischen eine Rolle (Feste und Diskussionen, Arbeitshandlungen, Botschaften, Erfolge). Neben dem Standort Karlsplatz wird der Auftritt im Web - auch hier eine Analogie zu Organisationsformen der Widerstandsbewegung 2000 - gefeatured. Und der Container als Bild für die Möglichkeit, überall schnell vor Ort zu sein.

Gerhard Kettler von Orange 94.0 ging in einem Interview, das ich mit ihm über die Bildproduktion geführt habe, näher auf die Verschiedenheit der Bilder vom Container ein, die im Lauf der letzten Jahre geprägt wurden:

Die Botschaft besorgter BürgerInnen hatte einen Container. Schlingensief hatte Container. Das Mediencamp hatte Container. Und nicht zuletzt stehen am ganzen Karlsplatz unzählige weitere Container herum. Allerdings geben sie alle nur ganz oberflächlich das gleiche Bild ab. Im Container der Botschaft besorgter BürgerInnen fand ab dem Februar 2000 eine unüberschaubare, ungesteuerte und unberechenbar vielfältige Menge an sich im Protest gegen die rechte bis rechtsextreme Regierungskoalition zusammengefundener Menschen einen Ort, sich zu treffen, zu koordinieren, auszutauschen. Mit den Containern des Mediencamps am Karlsplatz wurde der umgekehrte Weg beschritten. Es wurde der Ort besetzt, das vermeintliche Zentrum für irgend etwas noch nicht Definiertes eröffnet, und versucht, die Bewegung drum herum zu initiieren.

In Anbetracht der Möglichkeiten und der Notwendigkeit, auf etwas aufmerksam machen zu müssen, ist dieser Gedanke, dieser Versuch, das Experiment ja auch nicht unberechtigt oder abwegig. Dies hat jedoch umso weniger Erfolgsaussichten, je strenger der Fahrplan und die Grenzen der Partizipation vorgegeben sind. Wenn die "Bewegung" nicht nur statisch ist, sondern obendrein keinen Raum bietet, sich inhaltlich, physisch oder sonstwie einzubringen, gibt es halt einfach ein Problem. Aber nachher ist mensch leicht klüger.


Die Labels und Bewegungen des Jahres 2000 sind implodiert, zerfranst oder marginalisiert worden. Sollte das Mediencamp ein Label werden und weiter agieren? Wenn ja, wie lang?

Als Widerstands- oder Bewegungs-Label ist das Mediencamp meines Erachtens verbraucht. Um es wieder zu beleben, müsste erstmal definiert werden, ob es für eine Bewegung stehen soll, dann muss diese in die Unabhängigkeit entlassen werden und sich auf der Straße oder anderen öffentlichen Räumen neu bilden können. Oder für einen halböffentlichen Diskurs- oder Informationsraum, aus dem sich früher oder später vielleicht auch mal eine Bewegung heraus entwickeln kann, der aber nicht über einen Camp-Zaun gebrochen werden kann.

Das entmaterialisierte Mediencamp wird, sich auf seine medienpolitische Herkunft besinnend, weiter existieren. Zunächst soll das Versäumnis nachgeholt werden, Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny nicht nach seiner Verantwortung für die Belange einer auch als Kulturpolitik zu definierenden Medienpolitik befragt zu haben. Die Veranstaltung dazu wird Anfang 2004 stattfinden.


Patricia Köstring ist Geschäftsführerin der IG Kultur Wien.

Ähnliche Artikel

Rund um Raum brodelt es, wenn es um Kunst- und Kulturarbeit geht. Neben der Frage des Zugangs zu Ressourcen (inklusive Geld) und der Anerkennung geleisteter Arbeit, ist die Frage des Zugangs zu Raum genauso wichtig. Denn Raum bietet eine fundamentale Grundlage für viele (die meisten) Aspekte unseres Schaffens. Das Finden, Erhalten, Betreiben und Nutzen von Raum sind in der freien und autonomen Kulturarbeit Dauerthemen. 
<strong„Haben sie denn bei der versuchten Zwangsräumung von Can Vies und der Reaktion der Menschen darauf vor einigen Jahren nichts gelernt? Haben sie noch immer nicht verstanden, dass ein Angriff auf das autonome Gefüge eines Viertels in einer Stadt wie Barcelona zu einem Ausbruch der darunterliegenden sozialen, politischen und ökonomischen Gegensätze führt?“</strong</p Diese Fragen schossen mir sofort durch den Kopf, als am Montag die Nachrichten
Graffiti mit Vögel, Foto: ©Edith Zitz Sich unbeschwert im öffentlichen Raum bewegen zu können ist ein Grundrecht – möchte man meinen. De facto beeinflussen jedoch z.B. soziale Herkunft, Migrationsbiografie oder Geschlecht die Möglichkeiten, sich Raum zu nehmen, ganz massiv.