Terra Secura

Vorherrschende Sicherheitsdiskurse bedeuten für MigrantInnen und AsylwerberInnen systematische Unsicherheit. Diese wird normalisiert, gesellschaftlich verankert und zugleich unsichtbar gemacht.

Im Projekt Terra Secura ist maiz, das autonome Zentrum von und für Migrantinnen in Kooperation mit Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser), der Frage der Sicherheit von MigrantInnen und AsylwerberInnen in Österreich nachgegangen.[1] Vorherrschende Sicherheitsdiskurse bedeuten für MigrantInnen und AsylwerberInnen systematische Unsicherheit. Diese wird normalisiert, gesellschaftlich verankert und zugleich unsichtbar gemacht. Die Projektgruppe ist gemeinsam mit MigrantInnen und AsylwerberInnen aus der Region und aus dem Umfeld von maiz den Auswirkungen der sogenannten Sicherheitsmaßnahmen auf diese Gruppen nachgegangen. Bilder für deren oft prekäre Sicherheitslage bzw. „Verunsicherungslage“ wurden gesucht und Textbotschaften bzw. visuelle Darstellungen erarbeitet, die im öffentlichen Raum präsentiert wurden und zum Ziel hatten, die Definitionsmacht der vorherrschenden Sicherheitsdiskurse in Frage zu stellen.

Ausgangslage

Die Entscheidung für das Thema Sicherheit beruhte auf der Feststellung der Notwendigkeit, ausgehend von den Erfahrungen, Reflexionen und Perspektiven einer Selbstorganisation von Migrantinnen, eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema herbeizuführen. In maiz sind wir tagtäglich mit Herausforderungen und Problemen konfrontiert, die großteils auf zwei Entwicklungen zurückzuführen sind: Einerseits ist im Kontext des Neoliberalismus ein Prozess der Verlagerung der Sicherheitsansprüche auf den Bereich der privaten und individuellen Selbstverantwortung und eine daraus resultierende Privatisierung von Sozialleistungen zu beobachten: Soziale Sicherung und Vorsorge werden zu Angeboten auf dem Markt. Ein Großteil dieser, geforderten aber auch individuell gewünschten Autonomie und Selbstversorgung, ist nur möglich, weil Migrantinnen ihre Arbeitskraft käuflich machen. Das bietet ihnen Chancen: Arbeitsplätze im Pflegebereich, halblegale Beschäftigungen in der häuslichen Pflege oder Kinderbetreuung, Saisonanstellungen, Sexarbeit. Anders formuliert:„Der wirksame Ausschluss von MigrantInnen aus der legalen Beschäftigung stabilisiert die Wirtschaft, sie dienen als Beschäftigungs-Puffer und stille Reservearmee. Das ist für Migrantinnen der einzige Vorsprung im Wettbewerb: Der Zugang zu unterqualifizierten und prekären Jobs, da sie aufgrund ihrer prekären Aufenthaltslage flexibler ausbeutbar sind.“[2] In diesen Bereichen steigt der Bedarf an Arbeitskräften kontinuierlich, hausarbeitsnahe Dienstleistungen sowie Pflegeberufe bleiben weiterhin Frauensache. „Migrantinnen funktionieren gewissermaßen als Katalysator für die Emanzipation und berufliche Besserstellung mehrheitsösterreichischer Frauen.“(vgl. Varela/Clayton 2003:17)

Die zweite Entwicklung resultiert aus der Verbreitung und Etablierung eines vorherrschenden Sicherheitsdiskurses, der eine ausgrenzende Interpretation des Sicherheitsanspruchs im Sinne „Innerer Sicherheit“ konstituiert, vermittelt und begründet. Die Gefährdung der Sicherheit wird vor allem den diskursiv als „Eindringlingen“ konstruierten Subjekten zugeordnet: AsylwerberInnen (oft unter der pejorativen Bezeichnung „Asylanten“ genannt), MigrantInnen, MuslimInnen, Schwarze, die im Zuge kriminalisierender Diskurse als Drogendealer, Kriminelle, Terroristen usw. identifiziert und folglich kontrolliert, verfolgt, misshandelt und verbannt werden. Dementsprechend werden Gesetze verabschiedet, die ausgehend von dieser diskursiv erstellten Wirklichkeit sogenannte Sicherheitsmaßnahmen vorsehen, welche die Beschränkung, bis hin zur Verunmöglichung der Bewegungsfreiheit, das Inhaftieren von Personen in Schubhaftgefängnissen – ohne, dass jene eine Straftat verübt haben – die Untersagung des legalen Zugangs zum Arbeitsmarkt, den Ausschluss aus den für die BürgerInnen der jeweiligen Gesellschaften garantierten politischen und sozialen Rechte, Überwachung, Kontrolle und Eingriffe in die private Sphäre und eine Reihe von anderen diskriminierenden Praxen ermöglichen. Neben den Maßnahmen, die an jene Menschen adressiert sind, die sich bereits im EU-Territorium befinden, gilt es hier die Relevanz der Maßnahmen zur Sicherung der EU-Grenzen gegen die als illegal bezeichnete Einwanderung zu betonen. Unter der Berufung auf das Ziel, „einen ‚Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts’ zu schaffen, in dem Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, an den Binnengrenzen der Europäischen Union nicht kontrolliert werden“ und auf die Begründung, dass „effizientere Kontrollen an den Außengrenzen der Union [...] zur Bekämpfung von Terrorismus, Schleuserkriminalität und Menschenhandel beitragen“[3], wird eine im wahrsten Sinne des Wortes ausgrenzende, diskriminierende, menschenrechtsverletzende und mörderische Sicherheitspolitik umgesetzt.

Ungeachtet dieser Entwicklungen und Praxen gilt vielen ein Leben in Sicherheit als selbstverständlich. Doch wird Sicherheit in EUropa nur selten als ein Privileg von wenigen Menschen erkannt. Dabei ist gerade die Konstruktion von Sicherheit als vermeintlich grundlegender demokratischer Wert, massiv von geschaffenen gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig. Diese Grundvoraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Sicherheit werden manchen Gruppen zur Verfügung gestellt und anderen wiederum vorenthalten.

Die Umsetzung des Projektes

Ausgehend von Diskussionen innerhalb der Projektgruppe und von Workshops mit Frauen und Jugendlichen (Migrantinnen und AsylwerberInnen aus der Region und aus dem Umfeld von maiz) wurde im Rahmen des Projektes die Allgemeine Erklärung der Ent-Sicherung verfasst. Neben der Erklärung entstanden weiters eine Postkartenserie und die Beschriftung auf dem Dach des Stiftes Schlierbach. Abschließend wurde eine öffentliche Diskussion veranstaltet.

Workshops

Im Workshop Wie unsicher ist Sicherheit? (vom Projektteam geleitet und in Schlierbach durchgeführt) setzte sich eine Gruppe von Migrantinnen mit den zentralen Fragen des Projektes auseinander: Was bedeutet Sicherheit? Welche Auswirkungen haben Sicherheitsmaßnahmen auf Migrantinnen? Bewirkt Sicherheit für die Mehrheit, Unsicherheit für die „Anderen“? Wer sichert Sicherheit für wen? Wie? Als Folgeaktivität dieses Workshops gab es ein von den Teilnehmerinnen selbst organisiertes Treffen, bei dem sie zu den Fragestellungen des Workshops verschiedene Erzählungen und Situationen mit Playmobilfiguren nachstellten und fotografierten. Aus diesen Fotos wurde eines für die Produktion einer Postkarte (siehe Beschreibung unten) gewählt. Unten der Leitung von Dominic Mariochukwu Gilbert fand, ebenfalls in Schlierbach, der Workshop Rap/HipHop music as a tool of empowerment and selfdefinition! statt. TeilnehmerInnen des Workshops waren jugendliche Asyl- werberInnen, die in der Region leben.

Allgemeine Erklärung der Ent-Sicherung

Die im Rahmen des Projektes entwickelte Allgemeine Erklärung der Ent-Sicherung stellt vorherrschende Sicherheitskonzepte auf den Kopf und fordert etwa: „Alle genießen die gleichen Rechte auf Un/Sicherheit“ „Niemand darf auf Kosten Anderer Sicherheit genießen“ und „Die Interessen der MigrantInnen und der AsylwerberInnen gehören ab jetzt zu den allgemeinen und öffentlichen Interessen“
Die Erklärung beinhaltet Adaptionen von Artikeln aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO, Artikeln, die von der Projektgruppe verfasst wurden und ein Zitat von Hannah Arendt, die an der Stelle des Artikel 0 die Grundaussage des Dokuments festlegt: Alle haben das Recht, Rechte zu haben. Die Erklärung wurde als Plakat im öffentlichen Raum gezeigt und an alle Haushalte in der Region versandt.[4]

Postkarten

Auf einer der Postkarten ist eine Fotografie zu sehen, die von den Teilnehmerinnen des Workshops Wie unsicher ist Sicherheit? gemacht wurde. Eine weitere Postkarte zeigt die Montage und anschließend fertig gestellte Beschriftung auf dem Dach des Stiftes Schlierbach, im Stil touristischer Postkarten. Eine dritte Postkarte dokumentiert die Allgemeine Erklärung der Ent-Sicherung.

Wer genießt Sicherheit

Die Beschriftung des Daches mit der Botschaft Wer genießt Sicherheit übernahm die Funktion einer Überschrift für das gesamte Projekt in Schlierbach. Das Stift als zentraler Platz des Ortes verwies auf das gesamte Projekt. Von der Überschrift ausgehend wurden die einzelnen Aktionen erst verstehbar. Bei der Suche nach Flächen im öffentlichen Raum kam die Projektgruppe zur Überzeugung, dass das Dach des Stiftes Schlierbach die interessanteste und wirksamste Möglichkeit der Sichtbarmachung der Projektbotschaft bieten kann. Einerseits ist es die „mächtigste“ Projektionsfläche in der Region, andererseits steht es im engen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Thema des Projektes: Das Dach als Metapher für Sicherheit. Das Thema Gastfreundschaft, das innerhalb der katholischen Lehre eine wichtige Rolle spielt, fungierte hier als weitere verbindende Assoziation. Durch die notwendigen Verhandlungen mit den Priestern des Stiftes, die sich über einen Zeitraum von etwa drei Monaten erstreckten, wurde von der Projektgruppe ein wichtiges Bündnis in der Region konsolidiert, sowohl als Unterstützung auf der Infrastrukturebene (hinsichtlich der Durchführung der Projektaktivitäten) als auch auf der Ebene der Multiplikation, der durch das Projekt erzielten Auseinandersetzung.

Beim Themenabend Migration in Kirchdorf/Krems wurde im Rahmen eines inszenierten Ent-Sicherungsempfangs die Allgemeine Erklärung der Ent- Sicherung und die Postkarten präsentiert. Anschließend fand eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Ästhetisierung der Migration statt: Welche Rolle/n spielt visuelle Produktion in der antirassistischen queer-feministischen Arbeit? Wo fungiert künstlerische Praxis normalisierend und entpolitisierend? (Wie) kann sie hingegen strukturellegesellschaftliche Veränderungen unterstützen? Und was sind die Möglichkeiten von Kulturinstitutionen, wie dem Festival der Regionen, antirassistische queer-feministische Arbeit zu multiplizieren?

Mit dem Publikum diskutierten Petja Dimitrova (Künstlerin, Wien), Anil Jain (Sozialwissenschaftler, München), Rubia Salgado (maiz, Linz) und Jo Schmeiser (Klub Zwei, Wien).

1 Projektteam: Tania Araujo, Rubia Salgado (maiz), Simone Bader, Jo Schmeiser (Klub Zwei), Araba Evelyn Johnston-Arthur und Vlatka Frketić

2 Stefanie Duttweiler, unveröffentlichte Vortragsunterlagen für den Lehrgang EMPICA in maiz.

3 Zitate aus einem Leitfaden zum Thema Grenzschutz an den Außengrenzen, erstellt vom Europäischen Parlament. Siehe Link

4 Das Poster steht zum Download unter Poster@maiz und Poster.pdf bereit. Die Postkarten sind unter maiz zu bestellen.

LITERATUR

MARIA DO MAR CASTRO VARELA, DIMITRIA CLAYTON, (Hg.): Migration, Gender und Arbeitsmarkt, Neue Beiträge zu Frauen und Globalisierung. Königstein, Taunus Ulrike Helmer Verlag (2003)

maiz das autonome Zentrum von und für Migrantinnen maiz

Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser) Klub Zwei

Ähnliche Artikel

Datenschutz Sicherheit im Internet Die immer stärkere Einbindung digitaler Kommunikation in unseren Alltag, in Freizeit sowie Berufsleben, erfordert nicht nur neue Kompetenzen in der Bedienung der Geräte. Die Frage nach Datenschutz und Sicherheit im Netz verunsichert viele Menschen. Dieser Gastbeitrag von Epicenter.works schafft einen Überblick, über die wichtigsten Themen mit praktischen Hinweisen zu Tools und zur sicheren Anwendung.
Regierungsprogramm, Kunst Kultur, Menschenrechte, Sozialpolitik, Frauenpolitik, Medienpolitik Das Regierungsprogramm hat 324 Seiten. Daraus ist für den Kulturbereich nicht nur das Kapitel Kunst und Kultur relevant, weil viele Entscheidungen aus anderen Ressorts in die Entwicklung des Sektors hineinspielt: Arbeits- und Sozialpolitik, Asyl- und Migrationspolitik, Menschenrechte, Frauenpolitik, Meinungs- und Pressefreiheit, die Entwicklung der Zivilgesellschaft und vieles mehr. Wir haben uns umgehört, wie verschiedene Bereiche, nämlich Kunst und Kultur, Soziales, Frauenpolitik, Migration und Asyl und freie Medien das Regierungsprogramm beurteilen und was sie erwarten. 
Stadtentwicklung, Kulturpolitik Was sind die Herausforderungen von Kulturentwicklung in urbanen Regionen? Hat die städtische Kulturpolitik überhaupt einen Plan oder reagiert sie nur und verwaltet. Gibt es eine Strategie? Gibt es Ziele? Wie soll das implementiert werden? Wie partizipativ sieht das ganze aus in der Kulturplanung? Und zu guter letzt, inwiefern spielt das Thema Migration und und das neue politische Klima dazu eine Rolle?</p <hr / Wir haben Player aus der Kulturpolitik, der