Staatskulturnationalismus

Die Empörung über die „sinnlose Gewalt“ in den französischen Banlieus erreichte 2005 ihren Höhepunkt, als nicht nur Autos und Uniformierte ramponiert wurden, sondern gleichzeitig eine Vorschule und eine Bibliothek in Flammen standen. Anstatt diese Institutionen als Ressourcen der Selbstvervollkommnung und gesellschaftlichen Teilhabe zu schonen, erkannten die Jugendlichen sie als ideologische Staatsapparate und Stützpunkte der nichtpolizeilichen Macht.

Die Empörung über die „sinnlose Gewalt“ in den französischen Banlieus erreichte 2005 ihren Höhepunkt, als nicht nur Autos und Uniformierte ramponiert wurden, sondern gleichzeitig eine Vorschule und eine Bibliothek in Flammen standen. Anstatt diese Institutionen als Ressourcen der Selbstvervollkommnung und gesellschaftlichen Teilhabe zu schonen, erkannten die Jugendlichen sie als ideologische Staatsapparate und Stützpunkte der nichtpolizeilichen Macht. Gegenüber naiven Partizipationsideologien bewiesen diese „bildungsfernen Schichten“ dialektisches Gespür, indem sie die Gewalt von Konkurrenz und Staatsraison in die abgespaltenen kulturellen Waffenstillstandszonen zurücktrugen.

Ende April fand in Berlin das Symposium Wiedervorlage: Nationalkultur statt, veranstaltet vom Goethe Institut und den Staatlichen Museen zu Berlin. Unter diesem bemühten Titel und dem Plakatmotiv einer eingelagerten Schillerstatue suchte man ironische Distanz zur autoritären Leitkulturdebatte der Jahre 2000ff – nicht aber zu deren Ordnungsanspruch. In einem Vorabinterview erklärte es Christoph Bartmann vom Goethe-Institut als „Fehler der damaligen Debatte (…), dass sie weitgehend ohne die Bevölkerungsgruppen geführt wurde, um die es ging.“

Durch gezieltes Casting insbesondere „deutschtürkischer“ Integrationsvorbilder wurde allerdings demonstriert, wie der kulturelle Beitrag allochtoner Mitbürger/innen auszusehen hat. Deren zahmer Ruf nach proportionaler Teilhabe überblendete für die gesamte Dauer der Konferenz die Zwecke staatlicher Einwanderungs- und Asylpolitik. Auch deshalb blieb die Konferenz eine „all in white“-Veranstaltung, wie der Soziologe Ulrich Bielefeld resümierte. Mitteleuropäische AkademikerInnen diskutierten in den kolonnadenumschlossenen Häusern der Museumsinsel über Postsouveränität, postnationale Geschichtsbilder, regionale Integration und die vorgeblich „postsouveräne Situation“ unserer Tage. Dabei offenbarten sie neue Mischungsverhältnisse des ideologischen Kitts, der künftig im Humboldt-Forum des neu zu errichtenden barocken Stadtschlosses ausgeteilt wird.

Wie man sich öffentlich den Kopf der Herrschaft zerbricht, führte ein Kulturabteilungsleiter des Außenamts vor, der „Culture“ als „that special glue“ anrief, „that holds together what is fuzzing out“; oder Ex-Bundestagspräsident Thierse als ideeller Gesamtsozialarbeiter, der das „Bedürfnis der Menschen nach kultureller Beheimatung“ jenseits trockener Verfassungsgrundsätze diagnostizierte, und auch gleich eine strukturelle antisemitische Deutung sozialer Konflikte aufblitzen ließ: Mit „Ängsten vor kultureller Entwurzelung“ reagierten die Menschen auf den „globalen Kapitalismus, der alle Kultur niedermacht“. Damit wir uns nicht missverstehen: „Feridun Zaimoglu und Fatih Akin sind Teil unserer Nationalkultur!“

Das „Land, in dem Buchenwald und Weimar Nachbarorte sind“, hat den Holocaust inzwischen so sicher in sein nationales Narrativ eingeflochten, dass Außenminister Steinmeier das Thema in drei Zeilen seiner Eröffnungsrede als Katharsis des Staates erledigen konnte. Wie die deutsche Sprache, so musste wohl auch die Staatsidee „hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten“, wie er mit Paul Celan suggeriert. Die Selbstverständlichkeit dieser geschichtspolitischen Figur dementierte ganz entschieden Heinz Budes Urteil, den „deutschen Generationen“ fehle im Unterschied zu anderen Nationen eine „orientierende Meistererzählung“, wie sie England mit seiner Klassengeschichte besitze. Die Auferstehung Deutschlands aus den Ruinen des Nationalsozialismus sei die deutsche Meistererzählung, und ihre legitimatorische Produktivität erkläre, warum „diese Wunde (…) für immer Teil unserer Nationalkultur“ bleiben soll.

Verbleibende Spannungen ließ man sich in geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung von den „neuen deutschen Frauen“ ausmassieren. Ekin Deligöz, Bundestagsabgeordnete der Grünen, erklärte sich für „prädestiniert“, die entlastende Schuldanerkennung Deutschlands in Sachen Nationalsozialismus „in die Welt hinauszutragen“. Mely Kiyak, Journalistin und Mitglied der „Deutschen Islamkonferenz“, nutzte ihre vielgelobte Eröffnungsrede zur Denunziation aller verbleibenden „Bedenkenträger“: Im Gegensatz zu den „deutschstämmigen Deutschen“ habe sie „keine Angst vor Worten wie Nation, Kultur, deutsch“. Anders als Martin Walser konnte sie das staatsbürgerliche Bedürfnis nach Identität und Opferstilisierung ohne direkten Revisionismusverdacht bedienen: Deutsche, „emanzipiert euch, und holt euch eure Worte zurück! Habt keine Angst vor Verallgemeinerungen, wenn ihr von der Nation redet!“ Das entmündigende „Wir“ war damit für den gesamten Konferenzverlauf freigegeben. Zugleich vermieden Referent/innen wie Deligöz oder Kiyak jeden systematischen Gedanken über den Zusammenhang von Staatlichkeit und rassistischer Ausgrenzung. Ihre Forderung nach proportionaler Teilhabe am nationalen Selbstgespräch blieb servil („Einen kleinen Platz müsst ihr mir schon einräumen“, so Kiyak). Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sorgte sich, „wie […] Kultur Solidaritätsakte begründen“ kann, nicht warum dies immer wieder nötig ist und zugleich immer wieder scheitert: Weil die kulturelle Sonderzone die privateigentümliche Konkurrenz der Menschen nicht aufhebt, sondern moderiert und ausschmückt. Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel gab indes die kritische Erkenntnis zu Protokoll, bei der „Konstitution eines Habitus“ komme es weniger auf Nationalkultur an als auf das alltagskulturelle „Nahfeld“ aus Sport und Generationenverhältnis, Parmaschinken und Konfitüre.
Warum auch über kulturelle Hegemonie oder gesellschaftliche Herrschaft sprechen!

Wiedervorlage: Nationalkultur
24.-26. April 2008

Felix Fiedler lebt in Berlin/Kalkutta.
Sophie Goltz lebt in Berlin. 

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