Rassifizierte kreative Arbeit im kognitiven Kapitalismus

Seit der Neueröffnung des Kunst- und Kulturzentrums Ballhaus Naunynstraße 2008 hat sich in der Kulturlandschaft Berlins vieles geändert. Das neue Programm des Ballhauses spiegelt nicht nur den Zeitgeist des heutigen kosmopolitischen Berlins wider, sondern revidiert und erzählt das kulturelle Erbe der Migration neu, das die Arbeitsmigration ihrer Elterngeneration, die so genannten „GastarbeiterInnen“, vor fast einem halben Jahrhundert nach Deutschland gebracht hat.

Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße Nr. 27: ein altes Gebäude, das „Ballhaus“, oberhalb Wohnungen, die Wände im Erdgeschoss voller Poster und Graffitis. Seit der Neueröffnung des Kunst- und Kulturzentrums Ballhaus Naunynstraße 2008 hat sich in der Kulturlandschaft Berlins vieles geändert. Das neue Programm des Ballhauses spiegelt nicht nur den Zeitgeist des heutigen kosmopolitischen Berlins wider, sondern revidiert und erzählt das kulturelle Erbe der Migration neu, das die Arbeitsmigration ihrer Elterngeneration, die so genannten „GastarbeiterInnen“, vor fast einem halben Jahrhundert nach Deutschland gebracht hat. Nicht zufällig befindet sich diese Institution zeitgenössischer transnationaler und türkisch-deutscher Kunst und Kultur in der Naunynstraße, einer Straße, der einer der ersten zeitgenössischen, türkisch-deutschen AutorInnen, Aras Ören, 1973 sein Buch Was macht Niyazi in der Naunynstraße widmete. Örens Poem gilt als das erste literarische Werk der so genannten „Gastarbeitergeneration“ in Deutschland, und eine Zeile daraus steht an diesem kalten Novembertag in großen Lettern über der Tür des Ballhauses: „Die Naunynstraße füllt sich mit Thymianduft, mit Sehnsucht und Hoffnung, aber auch mit Hass.“

Was hat sich geändert, und welche Themen bleiben von der Vergangenheit, wenn wir die Bedingungen betrachten, unter denen türkisch-deutsche KünstlerInnen heute in Berlin arbeiten? Was zeichnet die Arbeitsbedingungen dieser neuen Welle türkisch-deutscher KünstlerInnen in Berlin aus, und welche Rolle kommt einem Ort wie dem Ballhaus Naunynstraße in Berlins öffentlich geförderter Kulturszene zu? Wie lassen sich diese neuen Kooperationen von KünstlerInnen of colour im Ballhaus Naunynstraße innerhalb der Kulturförderungslandschaft Berlins verorten? Befinden sie sich an deren Rändern, oder bewegen sie sich in einer Stadt, die sich selbst als kreativ und kulturell vielfältig beschreibt, ins Zentrum der Aufmerksamkeit? Im Folgenden sollen auf diese offenen Fragen einige kritische Anmerkungen und Diskussionspunkte insbesondere im Kontext kulturpolitischer Debatten um „kulturelle Vielfalt“ in der „kreativen Stadt“ skizziert werden.

Über „Cultural Diversity“ sprechen
Die Auseinandersetzung mit dem Konzept der „kulturellen Vielfalt“ in der jüngeren Literatur zu Creative Cities hat in den Bereichen der Stadtsoziologie, -geographie und -planung beträchtliche Aufmerksamkeit erlangt. Autoren wie Richard Florida, Charles Landry und Alan Scott, die nicht nur durch ihre Publikationen bekannt wurden, sondern auch aufgrund ihrer Beratertätigkeit und ihrer Zusammenarbeit mit politischen EntscheidungsträgerInnen, beschreiben Kultur und Kreativität in der Creative City als Werkzeugsatz für eine neoliberale Politik, in der die Kreativindustrien als Modell und „Motor für Vielfalt, Wachstum und Jobs in Europa dienen“ (Wiesand & Söndermann 2005). Ihre Forschung dient somit hauptsächlich der Entwicklung und Bewerbung der so genannten Creative World Cities als Orte ökonomischer Aktivität und des Wettbewerbs innerhalb eines globalen Netzwerks wissensbasierter Ökonomien, die mit Hilfe einer gut ausgebildeten Elite nationaler und internationaler KünstlerInnen, DesignerInnen und WissenschafterInnen „Exzellenzzentren“ in Kultur und Wissenschaft generieren. Parallel zum rebranding von Städten wie Berlin als eine vielfältige Weltmetropole mit internationaler Kulturszene lassen sich die Auswirkungen dieser auf Kreativität und Vielfalt ausgerichteten Politiken feststellen: Die städtischen Gentrifizierungsprozesse in armen und „rassifizierten“ Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder in letzter Zeit Neukölln, die als hippe, multikulturelle Bezirke der Stadt beworben werden, führten in den letzten Jahren durch Privatisierungen und den Verkauf günstiger Sozialwohnungen an Mitglieder der so genannten internationalen „kreativen Klasse“ zu einer verstärkten Marginalisierung der Bevölkerung aus der migrantischen ArbeiterInnenklasse. Kulturelle Vielfalt wird in diesem Prozess nützlich und zur Rechtfertigung städtischer Erneuerungsprogramme. Dies schließt die Einrichtung und Förderung von interkulturellen Kulturinstitutionen wie dem Ballhaus Naunynstraße ein, da sie gewollt oder ungewollt zum diversity-Profil der Stadt beitragen.

Dieser fortlaufende rebranding-Prozess von Berlin als kosmopolitischer, kreativer Hauptstadt wird von UNESCO und EU-Programmen ebenso unterstützt wie in der letzten Zeit von Regierungsstellen wie der Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten, die im November 2008 ein Symposium mit dem Titel „be Berlin – be diverse. Was machen wir mit unserer kulturellen Vielfalt?” veranstaltete. Was sich jedoch in Gesprächen mit ausschließlich mehrheitsangehörigen deutschen KulturpolitikerInnen und Verwaltungsangestellten in Berlin herauskristallisiert, ist, dass deren Verständnis von „kultureller Vielfalt“ vornehmlich auf einer Politik des „guten Willens“ sowie auf einem US-amerikanischen „Diversity Management“-Begriff der späten 1970er Jahre basiert, in deren Rahmen die anstehenden Aufgaben und die Versäumnisse der Politik nicht als wesentlicher Teil des Problems verhandelt, sondern postmigrantische KulturproduzentInnen als „Betroffene“ markiert werden.

Wie sich die Neuaufladung des Begriffs der „kulturellen Vielfalt“ mit der Bedeutung eines Motors für die Kulturwirtschaft Berlins entwickelte, zeigt sich bei der Betrachtung offizieller Dokumente der Stadtregierung wie dem Bericht Kulturwirtschaft in Berlin 2005. In dem Bericht erscheinen die kulturellen Produktionen von KünstlerInnen of colour im Kontext von Veranstaltungen wie dem „Karneval der Kulturen“, der als best-practice-Beispiel für die kulturelle Produktion von „ausländischen“ KünstlerInnen in der Stadt genannt wird (ebd.: 13). Die Botschaft, „maskiere dich, und du wirst integriert“, veranschaulicht, wie im Kontext der neuen Bedeutungsaufladung kultureller Vielfalt in Berlins Kreativwirtschaft weiterhin rassifizierte Diskurse bestehen können, ohne zu reflektieren, dass beinahe 50 Jahre Arbeitsmigration Deutschlands kulturelle und körperliche Landschaft verändern haben. Die Konstruktion rassifizierter und prekarisierter Körper von KünstlerInnen of colour findet innerhalb eines Diskurses statt, in dem das Sprechen über „Vielfalt“ und „Hybridität“ Teil eines Prozesses der Kommodifizierung und neuer Formen der (Selbst-)Ausbeutung wird. Die urbane Darstellung kultureller Vielfalt innerhalb dieses Szenarios macht hier nicht selten, wie bell hooks sagen würde „die langweilige Kost pikant, nämlich die weiße Kultur des mainstream“ (hooks 1994: 33).

Kulturelle Vielfalt und die kreative Stadt
Diese Verbindung des Konzepts der kulturellen Vielfalt mit dem von Richard Florida und anderen verbreiteten Vokabular der Creative City, ist jedoch in einigen Punkten äußerst fragwürdig und macht eine weitere Auseinandersetzung mit den tatsächlichen kulturpolitischen Implikationen, die aus ihnen für KünstlerInnen of colour in Berlin entstehen, notwendig. In Floridas Darstellung hängt das wirtschaftliche Potenzial von Städten zu einem hohen Grad von der Kreativität und dem Talent seiner BewohnerInnen ab. Ihm zufolge sind die „kreativen Klassen“ mobiler und transnational agierender Beschäftigter in den städtischen Kreativindustrien die treibende Kraft für wirtschaftlichen Wohlstand. Ähnlich wie Florida argumentieren Charles Landry und Phil Wood, dass ethnische Vielfalt für Städte von ökonomischem und sozialem Wert sei. Statt sich auf die „negativen Auswirkungen von Vielfalt“ zu konzentrieren, sollten PolitikerInnen sich damit befassen, „wie eine ‚Vielfalts-Dividende‘ oder erhöhte Innovationsleistung erzielt werden könnten“ (ebd.).

In sehr vereinfachter Weise vermitteln die Arbeiten dieser Autoren den Eindruck, dass mit der Anwendung ihres Ansatzes und dem Gebrauch ihrer „Inklusionsrhetorik“ ethnische Differenzen kein „Problem“ mehr darstellen, sondern wertvoll würden, da sie Veränderung und eine positive Haltung zu Migration und race signalisierten. Für viele KünstlerInnen of colour allerdings birgt dies die Gefahr, dass der Gebrauch dieser Rhetorik in den Förderungsanträgen notwendig wird, auch wenn sie nicht mit den Lebens- und Arbeitserfahrungen übereinstimmt. Mit dieser Realität muss sich die Forschung auseinandersetzen, wenn es darum geht zu verstehen, in welchem Zusammenhang die positive Neubewertung kultureller Vielfalt durch Stadtverwaltung, KünstlerInnen, WissenschafterInnen und JournalistInnen in Berlin zu neuen ökonomischen Entwicklungen steht, innerhalb derer die Arbeitsbedingungen der türkisch-deutschen KünstlerInnen im Ballhaus Naunynstraße verhandelt werden.

Folgende Punkte müssten daher bei der vorgeschlagenen Verknüpfung von Creative City und Cultural Diversity kritisch hinterfragt werden: (a) Das Creative City-Konzept betont ein fast ausschließlich ökonomisches Prinzip der kulturellen Vielfalt, (b) beide Konzepte beschäftigen sich nicht ausreichend mit den lokalen sozialökonomischen und kulturellen Bedingungen, (c) ebenso wenig beschäftigen sie sich mit sozialen Spannungen und der rassifizierten Arbeitsteilung innerhalb einer multiethnischen Stadt und ihrer Kreativindustrien, und (d) beide Konzepte unterstützen unzureichende „top-down“-Ansätze der Kulturpolitik, da sie nicht die gelebten Erfahrungen rassifizierter, vergeschlechtlichter, sexualisierter und klassisierter KreativarbeiterInnen in den urbanen Kulturindustrien untersuchen, auf deren Basis Cultural Diversity Politiken entwickelt werden sollten.

Für die Analyse des Verhältnisses zwischen „race“ und Kreativarbeit sollten daher noch weitere Ansätze herangezogen werden. Dieses Neudenken verlangt eine Sensibilität für die Veränderungen, die durch die Einführung des Begriffs der „Vielfalt“ in Politik, Institutionen und öffentliche Diskussionen stattgefunden haben. Mein Argument ist, dass kulturelle Vielfalt, wie sie heute verhandelt wird, wenig mit Antirassismus zu tun hat. In den letzten Jahren wurde der Antirassismus vielmehr umgewandelt in eine unternehmerische Aktivität, in der kulturelle Vielfalt mit business-Sprache verbrämt und in einem engen ökonomischen Sinn verstanden wird. Aktuelle Beispiele zeigen, dass politisches empowerment, das den Begriff der kulturellen Vielfalt einschließt, vornehmlich im Sinne individuellen Erfolgs wahrgenommen wird. Sich andere Formen von empowerment vorzustellen wird in diesem Kontext zunehmend unmöglich, was wiederum die Gefahr einer Marginalisierung anderer, kritischer oder oppositioneller Praktiken birgt. Wenn wir uns die Situation in Berlin ansehen, so verkörpern KünstlerInnen of colour wie die türkisch-deutschen KünstlerInnen des – vom Integrationsbeauftragten Berlins als „Leuchtturmprojekt“ bezeichneten – Ballhauses Naunynstraße, heute eine diversity- und Klassenpolitik, in der Vielfalt als Wert in die Körper dieser KünstlerInnen eingeschrieben wird und schon allein ihre Präsenz sozusagen den sichtbaren Erfolg der „kulturellen Vielfalt“ in der Creative City anzeigt, von der vor allem die Stadt Berlin als brand profitiert. Kritische Wissenschaft müsste allerdings hinter die Fassade dieser vorgeblichen Werte blicken und die Ursachen und Dynamiken für die Produktion eben jener Diskurse und Performativitäten analysieren.

Übersetzung aus dem Englischen: Therese Kaufmann

LITERATUR
Florida, Richard (2005):Cities and the Creative Class. Routledge.
bell hooks (1994): „Das Einverleiben des Anderen. Begehren und Widerstand“. In: Dies.: Black Looks. Popkultur – Medien – Rassismus, Orlanda Verlag, S. 33-56.
Kulturwirtschaft in Berlin (2005): Bericht zum Download.
Landry, Charles (2007): The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators. Earthscan.
Landry, Charles/Wood, Phil (2007): The Intercultural City: Planning for Diversity Advantage. Earthscan.
Ören, Aras (1973): Was will Niyazi in der Naunynstrasse? Rotbuch.
Scott, Alan (2006): Creative Cities: Conceptual Issues and Policy Questions. UC Los Angeles.
Wiesand, Andreas/Söndermann, Michael (2005): The „Creative Sector“ – And Engine for Diversity, Growth and Jobs in Europe. An overview of research findings and debates prepared for the European Cultural Foundation. Download.

Onur Suzan Kömürcü ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie promoviert und lehrt am Goldsmiths, University of London und ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Forschungsprojekten der University of the Arts London beteiligt. Zudem ist sie Stipendiatin der ZEIT-Stiftung Hamburg.

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