Offener Brief zur aktuellen kulturpolitischen Debatte

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Mag. Franz Voves,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl,
sehr geehrter Herr Landesrat Dr. Christian Buchmann,
sehr geehrte Frau Stadträtin Lisa Rücker,

mit großem Befremden haben die unterzeichnenden LeiterInnen Grazer Institutionen im Bereich zeitgenössischer Kunst die durch die Medien kolportierte kulturpolitische Debatte wahrgenommen, in deren Zentrum die Rolle und Funktion des Kunsthaus Graz steht, die jedoch weit darüber hinaus zu gehen scheint.

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Mag. Franz Voves,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl,
sehr geehrter Herr Landesrat Dr. Christian Buchmann,
sehr geehrte Frau Stadträtin Lisa Rücker,

mit großem Befremden haben die unterzeichnenden LeiterInnen Grazer Institutionen im Bereich zeitgenössischer Kunst die durch die Medien kolportierte kulturpolitische Debatte wahrgenommen, in deren Zentrum die Rolle und Funktion des Kunsthaus Graz steht, die jedoch weit darüber hinaus zu gehen scheint.

Aus diesem Grund sehen wir uns zur folgenden Stellungnahme gezwungen.
Wir ersuchen Sie höflich, aber dringend, die bemerkenswerten kulturellen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nicht durch vorschnelle Beschlüsse über die weitere Zukunft einer kulturellen Leitinstitution in Graz in Frage zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Braun, Camera Austria
Sandro Droschl, Künstlerhaus KM–
Krist Gruijthuijsen, Grazer Kunstverein
Reni Hofmüller, ESC medien kunst labor
IG Kultur Steiermark
Veronica Kaup-Hasler, steirischer herbst
Astrid Kury, Akademie Graz
Margarethe Makovec, Anton Lederer, <rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst
Barbara Pichler, Diagonale
Heidrun Primas, Forum Stadtpark
Johannes Rauchenberger, Kulturzentrum bei den Minoriten
Eva Ursprung, Schaumbad Graz

Stellungnahme zur aktuellen kulturpolitischen Debatte

Vor etwas mehr als 10 Jahren hat sich die Politik der Stadt Graz für ihren Mut und ihre Entschlossenheit gefeiert, ein ungewöhnliches Gebäude für zeitgenössische Kunst realisiert zu haben, das dezidiert kein Museum werden sollte, sondern eine Art Kunsthalle, die sich der Kunst ab den 1960er Jahren widmen soll. Das Kunsthaus Graz war ein fehlender Baustein, das Flaggschiff für die reichhaltigen Aktivitäten im Bereich zeitgenössischer Kunst in Graz: mit Institutionen und Festivals wie dem Forum Stadtpark, dem Grazer Kunstverein, dem Künstlerhaus, < rotor >, dem Kulturzentrum bei den Minoriten, Camera Austria, der Diagonale, elevate Festival, steirischer herbst und eben dem Kunsthaus Graz, um nur die bekanntesten zu nennen, verfügt die Stadt angesichts ihrer Größe über eine nahezu weltweit einmalige Vielfalt an Orten, die sich der zeitgenössischen Kunst widmen. Auch städteplanerisch hat sich der gewünschte Effekt eingestellt, dass sich im Umfeld des Gebäudes ein Mikrokosmos an zeitgenössischem, urbanem Lebensgefühl entwickelt hat.

Nun hat die Kulturpolitik der Stadt dieses Potenzial in den letzten 10 Jahren weitgehend verspielt. Anstatt, um Helmut Strobl zu zitieren, dort zu investieren, wo die Stadt stark ist und um die — auch touristische — Vermittlung dieses Potenzials im internationalen Städtewettbewerb zu nützen werden Budgets knapper, Leitprojekte wie der steirische herbst wurden immer wieder in Frage gestellt und sind — trotz aktueller Erhöhungen — kaufkraftbereinigt auf dem Stand der 1990er Jahre. Derzeit verfügen 8 der wichtigsten Institutionen der Stadt nicht einmal über gesicherte Budgets für 2015, ganz zu schweigen von angemessenen mehrjährigen Förderverträgen für die Jahre danach. Dennoch ist offensichtlich Geld vorhanden, um den Betrieb des Kunsthauses zu übernehmen und aus dem Verbund des Universalmuseums zu lösen.
Der Wunsch, mehr Publikum dazu zu bewegen, das Kunsthaus zu besuchen, es „wachzuküssen“ wird mit stereotypen Ideen vorgetragen: mit Worthülsen wie „Impuls" und „Innovation“ wird kaschiert, dass es um das Abgesicherte, Populäre gehen soll, um „große Namen", die die Öffentlichkeit kennt und die dieses Schon-Kennen bestätigt sehen will. Abgesehen davon, dass Öffentlichkeit und Publikum immer wieder unterschätzt werden — die „neue Dynamik“ soll sich rückwärts richten, nett anzusehen sein: Kunst als Entertainment. In der selben Weise, in der sich die Politik von den Konflikten der Gegenwart überfordert sieht — Migration, kulturelle Diversität, zunehmende soziale Ungerechtigkeit, etc. etc. — sollen diese auch keinen Platz mehr in den Ausstellungshäusern der Stadt finden. Ob die künstlerische Arbeit eines Roy Lichtenstein — ein Name, der gefallen ist — die entsprechende Form ist, in der sich unsere Gegenwart über ihren Zustand befragt, sei jedenfalls bezweifelt — ohne damit dessen Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts schmälern zu wollen. Allerdings befinden wir uns bereits im 21. Jahrhundert.
Zuguterletzt werden BesucherInnenmengen, die Kunst konsumieren, mit „Aktivität“ und „Dynamik“ verwechselt.
Doch ist dies alles auf Vermutungen aufgebaut: Wie meistens, erfahren die KulturproduzentInnen selbst aus der Zeitung über die „politische“ Debatte — ihre Expertise wird kaum jemals zu Rate gezogen. Fragen der Kultur und der Kunst der Gegenwart werden im Habitus der Obrigkeit besprochen, die AkteurInnen bestenfalls mit den Konsequenzen konfrontiert.
Richard Kriesche hat ein Symposion zum Thema gefordert. Sicherlich ist es eine gute Idee, diese Fragen öffentlich zu besprechen. Doch handelt es sich dabei um eine Thematik, für die in Graz ohnehin kaum überschätzbares Know-How vorhanden ist. Bloß blieben und bleiben die vielen Argumente für die Wichtigkeit zeitgenössischer Kunst für das gesellschaftliche Klima, das kulturelle Milieu und die kulturelle Identität einer Stadt, so sie nicht ständig aus der Vergangenheit heraufbeschworen wird, schon bisher unberücksichtigt.
Vor mehr als drei Jahren hat sich eine Gruppe von AkteurInnen zusammengeschlossen, um ein kritisches Statement „Zur Lage der bildenden Kunst in Graz“ abzugeben. Einzig das Land Steiermark hat seitdem einen kontinuierlichen Dialog mit diesen KulturproduzentInnen geführt. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Stadt Graz diesem Gespräch anschließt.

Diverse Artikel / Kommentare zum Thema:

http://derstandard.at/1397522419766/Auch-blaue-Blasen-platzen
http://diepresse.com/home/kultur/kunst/1600748/Heftige-Debatte-uber-das-Kunsthaus-Graz?from=suche.intern.portal
http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/4152821/Politische-Debatte_Stadt-Graz-wird-Kunsthaus-nicht-uebernehmen

 

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