In Österreich herrscht keine Normalität

Seit Februar 2000 ist in Österreich eine Koalitionsregierung der rechten FPÖ und der christdemokratischen ÖVP an der Macht. Seither werden gegen die Beteiligung der FPÖ an der Regierung jeden Donnerstag Demonstrationen und jeden Samstag vor dem Bundeskanzleramt Informations- und Tanzveranstaltungen abgehalten.
Eine Stellungnahme der Kulturpolitischen Kommission

English version

Version francaise

Seit Februar 2000 ist in Österreich eine Koalitionsregierung der rechten FPÖ und der christdemokratischen ÖVP an der Macht. Seither werden gegen die Beteiligung der FPÖ an der Regierung jeden Donnerstag Demonstrationen und jeden Samstag vor dem Bundeskanzleramt Informations- und Tanzveranstaltungen abgehalten.

Die von der Regierung gesetzten Maßnahmen haben janusköpfigen Charakter. Gegenüber dem Ausland und der weniger differenzierenden österreichischen Öffentlichkeit präsentiert man sich als schneller Reformator in von der bisherigen Koalitionsregierung der ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ vernachlässigten Bereichen. Mit einer Pensionsreform, Entschädigungen an ZwangsarbeiterInnen in der NS-Zeit und der Budgetkonsolidierung werden die kleinen feinen und langfristigen Verwüstungen in medial weniger beachteten Räumen zugedeckt.

Der innovative und zeitgenössische Kunst- und Kulturbereich in Österreich konnte seit den 70ern mit Hilfe staatlicher Subventionen und Investitionen eine beachtliche Struktur entwickeln. Über 400 Kulturinitiativen sorgen in den Städten und den nichturbanen Gebieten für die Vermittlung zeitgenössischen Kunstschaffens, für soziokulturelle Jugendarbeit und für kritische Auseinandersetzungen mit politischen Themen wie Nationalismus, Rassismus usw. Dieser kulturelle Non-Profit-Bereich stellt neben seiner wichtigen gesellschaftspolitischen Funktion eines der wenigen Segmente mit wachsenden Beschäftigungszahlen dar. Gerade die Auseinandersetzung mit demokratie- und gesellschaftspolitischen Fragen hat diesen Bereich frühzeitig vor der FPÖ und ihrer (Kultur-)Politik gewarnt. Schon 1980 schrieb der jetzige Kulturberater des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider: "Wissenschaftler und Künstler, die in ihrer Tätigkeit das deutsche Volk repräsentieren, müssten verstärkt gefördert werden. Im gesamten kulturellen und künstlerischen Bereich müssten eigenständige deutsche Bemühungen unterstützt werden, wobei nach und nach das Fremde, Aufgepfropfte, zwar nicht als schlecht, aber doch als nichtdeutsch erkennbar gemacht werden müsste." Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung von Jörg Haider zu verstehen, die Finanzierung des international renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises zu verweigern und stattdessen einen Förderpreis für Kärntner Schriftsteller zu schaffen.

Die Interventionen der amtierenden Regierung zielen auf die Aushöhlung der Kulturförderung für kritische Organisationen und Vereine und Zerschlagung von Strukturen. Die Strategie ist vielfältig: Kündigung von Mietverträgen in bundes-, landes- oder gemeindeeigenen Immobilien, Subventionsstreichungen, Erhöhung des Posttarifes für den Versand von Zeitungen, Spendenbriefen und Programmfoldern. Die Regierung behält sich vor, die Tarife einzelner Organisationen zu stützen, und will so, nach Aussage des ÖVP-Klubobmanns Andreas Khol, "die Böcke von den Schafen trennen".

Politische Neutralität gegenüber der amtierenden Regierung wird zum neuen Förderkriterium gemacht, staatliche Förderungen als politisch gewidmete Bestechungsgelder von jenen Parteien, die sich gerade der Regierung bemächtigt haben. Wo der Unterschied zwischen dem Staat oder Gemeinwesen auf der einen Seite und der jeweiligen Regierung auf der anderen nicht mehr gemacht wird, dort endet Demokratie.

Wenn man das, was FPÖ und ÖVP in der Kulturförderung derzeit betreiben, weiterzudenken wagt, wenn also die Regierung nur noch das fördert, was ihr wohlwollend gegenübersteht, warum dann überhaupt noch Parteienförderung für Oppositionsparteien? Dieser Logik zufolge befinden sich der Grüne Bundesparteivorsitzende Van der Bellen und der SPÖ-Bundesparteiobmann Gusenbauer schon am Rande der organisierten Kriminalität. Dazu gibt es den Vorschlag von Jörg Haider, die kritischen Stimmen in Österreich mit unnachgiebiger Härte strafrechtlich zu verfolgen. 55 Jahre nach der Niederschlagung des NS-Regimes und der Wiedererrichtung einer demokratischen Republik Österreich soll ganz offensichtlich das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eine massive Einschränkung erfahren. Einschüchterung, Bedrohung und Kriminalisierung von Andersdenkenden bilden seit jeher ganz wesentliche Elemente totalitärer und menschenverachtender Regierungen. Die österreichische Bundesregierung hat sich selbst mit der Präambel zum Regierungsprogramm auf die Einhaltung der demokratischen Grundrechte verpflichtet, die auch der Europäischen Union zugrunde liegen. Regierungschef und Bundeskanzler Schüssel hat es allerdings bis heute nicht für notwendig erachtet, Jörg Haider für diesen politischen Vorstoß in seine Schranken zu weisen und die Fundamente der internationalen Wertegemeinschaft vor dieser Gefahr zu schützen.

Besonders deutlich zeigen sich die aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich in der Situation der Medien. 1998 wurde das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol in Österreich gebrochen: Erstmals gingen "Freie Radios" auf Sendung. Es bedurfte einer jahrelangen und konfliktreichen Auseinandersetzung mit der Politik, die Grundlagen für freie, kulturell motivierte und nicht-kommerzielle Medienprojekte zu schaffen. Diese Institutionen wurden, sofern sie öffentlichen Förderungen unterlagen, unmittelbar nach Regierungsantritt mit Kürzungen und Streichungen konfrontiert, die erste Maßnahme zur Disziplinierung regierungskritischer Berichterstattung. Kurz darauf wurden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio kritische JournalistInnen und RedakteurInnen ihrer Tätigkeit enthoben oder in weniger "gefährliche" Ressorts versetzt.

Die österreichischen Printmedien zeigen zunehmend Konformität. Zudem verfügt die Haider-freundliche und EU-kritische österreichische Tageszeitung "Neue Kronen Zeitung" mit einer Reichweite von 42,5% über die Deutungsmacht der "österreichischen Realität". Die von der EU verhängten Sanktionen werden dadurch als reines Medienspektakel wahrgenommen mit einerseits der Verweigerung von Fotos mit österreichischen PolitikerInnen, andererseits der problemlos vonstatten gegangene Wahl des Innsbrucker Bürgermeisters Herwig van Staa zum Präsidenten der Europaratskammer der Gemeinden und Regionen Europas. Dieser übernahm übrigens einige Tage zuvor als einziger Politiker den Ehrenschutz für eine Festveranstaltung rechtsextremer Akademikerverbindungen.

Wenn der österreichische Bundeskanzler und die Außenministerin einer Überprüfung der Regierungsarbeit durch eine EU-Delegation gelassen entgegensehen, dann wohl weil diese kaum in die Niederungen der hier beschriebenen Bereiche Einblick nehmen können wird. Von den traditionellen Medien unbeachtet und von der Regierung ihrer Strukturen beraubt, wird sich ein Österreich der "Normalität" ohne die hier beschriebene Entwicklung präsentieren und damit dem Rechtspopulismus und der Demokratiefeindlichkeit europaweit breitester Raum gegeben.

Wir erwarten uns daher einen über einzelne formelle Distanzierungsakte von der Österreichsichen Bundesregierung hinausgehenden qualifizierten Beitrag aus den Ländern der Europäischen Union, der zur Beobachtung und Gegensteuerung aller – ebenso in Österreich wie in anderen EU-Ländern – auftretenden antidemokratischen Entwicklungen geeignet ist. Diese Verbesserung der Aufmerksamkeit gegenüber antidemokartischen Entwicklungen muß zuallererst Österreich gelten, da sich die österreichische Regierungsbeteiligung der FPÖ als Modellfall für zahlreiche weitere EU-Staaten erweisen könnte, wo es nicht nur um die innerstaatliche Infragestellung von demokratischen Grundsätzen geht, sondern, wodurch schließlich auch der europäische Integrationsprozeß zu Fall gebracht werden würde.

Gabriele Gerbasits und Gerhard Ruiss

für die Kulturpolitische Kommission (Ständige gemeinsame Vertretung österreichischer Berufs- und Interessenvertretungen der Kunst und Kultur)

Ähnliche Artikel

Informationsnachmittag Kulturstrategie 2030 in der Simon Mühle Wie geht es mit der Kulturstrategie 2030 weiter? Welche Neuigkeiten bringt die Strategie und wann? Um diese Fragen zu beantworten, laden die Abteilung 9 Kultur, Europa, Sport des Landes Steiermark und die IG Kultur Steiermark am Montag, 18. November 2024 um 13 Uhr zur Informationsveranstaltung „Kulturstrategie 2030" in der Simon Mühle ein.
Wie ist es um die Kultur in Europa bestellt? Welchen Stellenwert hat sie und welche Herausforderungen stehen an? Der europäische Dachverband der Kunst- und Kulturvertretungen, Culture Action Europe, hat eine schonungslose Bestandsaufnahme zur Lage der Kultur vorgenommen. Sein Fazit: Der Kultursektor muss sein Handeln grundlegend überdenken, wenn die Politik Kultur als eigenständiges Politikfeld und zentralen Faktor für gesellschaftliche Entwicklungen wieder ernst nehmen soll. Eine provokante Lektüre, inklusive Einladung zum Dialog.
Wie schaut es um Themenschwerpunkte, Visionen und auch Versäumnisse im Ressort Kunst und Kultur in den Wahlprogrammen der kandidierenden Parteien zur Vorarlberger Landtagswahl am 13. Oktober 2024 aus? Wir haben uns eingelesen, mit kulturpolitischen und kulturstrategischen Schritten der vergangenen Jahre verglichen und im Sinne einer fairen, rechtlich und sozial abgesicherten Kulturarbeit analysiert. In etlichen Punkten bspw. beim Thema Fair Pay, Raumangebot und kultureller Teilhabe für alle Bevölkerungsschichten und Einkommensgrößen sind sich die Parteien einig. Interessant ist, dass vor allem die Kleinparteien Wesen und Bedeutung von Kunst und Kultur knackig auf den Punkt bringen, während Landtagsparteien viel Worte um wenig Umgesetztes und Umsetzbares machen.