Neues aus der Kleingartensiedlung: Ist Kulturarbeit politisch?

Ein solcher Mensch, der sich gerne von mir versorgen lässt, und auch schon so manche laue Sommernacht mit mir auf meiner Gartenhüttenveranda verbracht hat, ist Peter. Mittelschullehrer (Geschichte und Deutsch), nach eigenen Angaben naturverbunden und engagiert – in meinen Augen aber ein fauler Kerl. Noch nie in unserer nun schon Jahrzehnte währenden Freundschaft habe ich es geschafft, dass er mir bei meinen Herbstarbeiten hilft.

Zurzeit herrscht in allen Kleingärten Hochbetrieb. Früchte müssen geerntet und eingelagert werden. Es werden Leimringe gegen die Frostspannerweibchen angelegt, Nistkästen kontrolliert und mit heißem Wasser gereinigt sowie Bäume und Stauden gesetzt. Diese Liste an Tätigkeiten ließe sich noch lange fortsetzen, und jedeR KleingärtnerIn ist froh über ein paar zusätzliche hilfreiche Hände. Da ist es natürlich gut, wenn man ein paar Leute zu seinen FreundInnen zählen kann, die selbst keinen Garten zu betreuen haben, aber gerne die Früchte eines solchen genießen. Menschen, die man das Jahr über mit Salat, Himbeeren, Kräutern oder Knoblauch versorgt hat (weil man diese Menge ohnehin selbst nicht essen könnte), kann man jetzt ein wenig moralisch unter Druck setzen, damit sie da und dort hilfreich Hand anlegen.

Ein solcher Mensch, der sich gerne von mir versorgen lässt, und auch schon so manche laue Sommernacht mit mir auf meiner Gartenhüttenveranda verbracht hat, ist Peter. Mittelschullehrer (Geschichte und Deutsch), nach eigenen Angaben naturverbunden und engagiert – in meinen Augen aber ein fauler Kerl. Noch nie in unserer nun schon Jahrzehnte währenden Freundschaft habe ich es geschafft, dass er mir bei meinen Herbstarbeiten hilft. Einmal ist so viel in der Schule zu tun, ein andermal muss er für den Kulturverein, bei dem er Obmann ist, etwas erledigen, und wieder ein anderes Mal muss er sich um seine Burn-Out-Prävention kümmern. Peter meint dann gerne, dass ehrenamtliche Arbeit eben bezahlt werden müsste, dann könnte er seine Lehrverpflichtung reduzieren und hätte neben Schule und ehrenamtlicher Arbeit auch noch Zeit, um mir zur Hand zu gehen. Vor allem die Kulturarbeit, so seine immer wieder erhobene Forderung, sollte der Gesellschaft so viel wert sein, dass sie dafür auch etwas springen ließe. Denn Kulturarbeit ist nach Peters Meinung ein zutiefst politischer und demokratiefördernder Beitrag zur Gesellschaft. Sie haben ja keine Ahnung, was ich mir da von Peter schon alles anhören habe müssen: Kunst und Kultur als Seismographen gesellschaftlicher Veränderungen, Kulturvereine als „Schule der Demokratie“ bis hin zur „Basiskultur als Keimzelle der Zivilgesellschaft“.

Bei mir ist er da aber mit seiner Phrasendrescherei an den Falschen geraten. Denn als er kürzlich wieder einmal in meinem Garten gestanden ist und – anstatt mir beim Umgraben zu helfen – eine Volksrede zur Wichtigkeit seiner (leider noch immer unbezahlten) Kulturarbeit gehalten hat, bin ich ihm ins Wort gefallen und habe ihn ein bisschen auf Argumentations-Glatteis geführt. Ich habe mir von ihm nochmals erklären lassen, wie politisch Kulturarbeit denn nun wirklich sei, und ob sie denn einen Beitrag zur Kontrolle der Macht und zur Demokratie leiste. Selten habe ich seine Augen so funkeln gesehen, wie bei der Beantwortung dieser Fragen. Als er endlich fertig war mit seinen Ausführungen, habe ich ihn aber gefragt, ob es denn nicht das Wesen der Demokratie sei, dass sich BürgerInnen politisch betätigen. Ja, ob man nicht von durchschnittlich begabten und einigermaßen gerade gewachsenen Personen verlangen könne, sich politisch zu betätigen. Weil Politik in einer Demokratie einfach eine res publica, eine öffentliche Sache sei. Und somit seine Kulturarbeit einfach ein Beitrag sei, den eine Demokratie ganz selbstverständlich von ihm verlangen könne. Und zwar unbezahlt, da man ja nicht alle BürgerInnen dafür bezahlen könne, dass sie an der Demokratie teilnehmen.

Da hat er dann gestutzt, der Peter, und ist auch bald nach Hause gegangen. Wahrscheinlich weil er bei seinem Kulturdachverband nachfragen muss, was er jetzt denken soll. Umgraben habe ich trotzdem alleine müssen. Aber beim Gedanken an Peters verdutztes Gesicht, ist mir die Arbeit leicht von der Hand gegangen. 

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