Jubiläumsjahr 2005: Vorsorgen, nicht stramm stehen!

<p>Österreich im Februar 2004: Anlässlich des 70-jährigen Gedenkens an die gewaltvolle Zerschlagung der Ersten Republik notierte der Leiter des Wiener Instituts für Zeitgeschichte in einem Zeitungskommentar, dass der Diktator Engelbert Dollfuß "durchaus Empathie" verdiene (Der Standard, 18.2.2004). Kurz zuvor war schon der bekannte Revisionist Gottfried Karl Kindermann in Wien zu Gast, um auf Einladung Andreas Khols in den Festsälen des Nationalrats über die angebliche

Österreich im Februar 2004: Anlässlich des 70-jährigen Gedenkens an die gewaltvolle Zerschlagung der Ersten Republik notierte der Leiter des Wiener Instituts für Zeitgeschichte in einem Zeitungskommentar, dass der Diktator Engelbert Dollfuß "durchaus Empathie" verdiene (Der Standard, 18.2.2004). Kurz zuvor war schon der bekannte Revisionist Gottfried Karl Kindermann in Wien zu Gast, um auf Einladung Andreas Khols in den Festsälen des Nationalrats über die angebliche Schwindsucht des Parlamentarismus zu referieren. Und auch der Salzburger Landeshauptmann stimmte in diesen Tagen in den Chor mit ein und gab in einem Interview deutlich zu verstehen, dass im Zweifel jeder Patriotismus deutlich mehr wiege als ein Festhalten an den Prinzipien der liberalen Demokratie (profil, 2.2.2004). Der miefige Nebel einer national-chauvinistischen Erinnerungskultur legte sich wochenlang über Politik, Medien und Gesellschaft. Nach einer tiefgründigen Debatte über den Austrofaschismus und seine Kontinuitäten bis in die Gegenwart suchte man jedenfalls vergeblich.

Fast zeitgleich gab die österreichische Bundesregierung bekannt, dass dem Jahr 2005 ein noch viel umfangreicheres Jubiläum gewidmet werden soll. 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft, 50 Jahre Wiedereröffnung von Staatsoper und Burgtheater sollen das Land in einen Festtaumel versetzen. Das Jubeljahr solle, so Kunststaatssekretär Franz Morak, "das Bewusstsein für entscheidende Zukunftsfragen schärfen und als Trampolin für die Zukunft dienen". Die in diesem Zusammenhang herumgereichte Ikonographie (Raab, Figl, Stephansdom und Alois Mock) ließ allerdings sehr früh unschwer erkennen, dass mit dem geplanten nationalen Ertüchtigungsprogramm erneut ein kräftiger Schub an Geschichtsverzerrung, Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen seinen Auftakt genommen hatte. Gewiss ist, dass darin nachhaltige Effekte zweier Perioden der Bundesregierung von ÖVP und FPÖ zum Ausdruck kommen, die seit dem Jahr 2000 neoliberalen und autoritär-nationalistischen Tendenzen weitgehend verschränken.

Um einer weiteren Verankerung dieser Hegemonialpolitik nicht tatenlos gegenüber zu stehen, wurde im Spätsommer 2004 eine Plattform gebildet, der sich bereits zahlreiche Personen, Projektgruppen und Organisationen aus den Bereichen Kunst, Kultur und Wissenschaft angeschlossen haben. Mit einem Vorsorge-Paket gegen ein Jahr Heimat-Feiern soll sichergestellt werden, dass in der Produktion von Geschichtsauffassung emanzipatorische und bisweilen unterdrückte Perspektiven nicht gänzlich unter die Räder der massenmedial geölten Jubelmaschinerie geraten. Das Ziel ist daher eine breite Palette von politischen und kulturellen Veranstaltungen, Medienprojekten, Publikationen und künstlerischen Interventionen, die sich zentralen Fragen widmen wollen: Wer wurde 1945 befreit? Etwa die Nazis von sich selbst? Welche Ausblendungen produziert das Bild der "Vier im Jeep"? Was sind die rassistischen Implikationen von Konzepten nationaler und supranationaler Identitätsbildung? Welche Kontinuitäten durchziehen die Diskurse vom "Vaterlandsverrat" bis zur "Festung Europa"? Was ist gegen die radikale Verlotterung des Umgangs mit der Vergangenheit zu unternehmen?

Es ist kein großes Geheimnis, dass sich die rechts-nationale Verbindung aus ÖVP und FPÖ reichlich viel Indoktrinations- und Repräsentationsflächen von diesem Jubeljahr erwartet. Mit üblen Nebenwirkungen in ORF, Kronen Zeitung und den Medienprodukten aus dem Hause Fellner ist zu rechnen. Das mit präventiver Absicht gebildete Netzwerk versteht sich demgegenüber nicht als zentrale Koordinationseinrichtung, sondern möchte als Impulsgeberin und Anknüpfungsmöglichkeit für eine hoffentlich große Anzahl von Counter Activities fungieren. In diesem Sinne auch der Aufruf: Sorgen wir vor gegen jene, die wollen, dass wir stramm stehen!

Downloads
profil_291104.jpg124.13 KB

Ähnliche Artikel

Die Freiheit der Kunst und Kultur, der Meinungen und Medien sind unverzichtbare demokratische Werte und nicht verhandelbar! Wir appellieren daher: Keine Regierungsbeteiligung einer Partei, die angetreten ist, um das demokratische Wertefundament auszuhöhlen und zu zerstören. Jetzt den Aufruf unterstützen.
Der Kulturrat Österreich erneuert seine Forderungen zur Nationalratswahl 2024. Aber auch jetzt vor der Wahl sind noch wichtige Entscheidungen möglich und notwendig. Wir beharren auf unserer Forderung: KSVF-Zuschuss erhöhen! Jetzt. Mit einer entsprechenden Verordnung durch den Kulturminister ist das noch heute machbar.
Welche Vorstellungen die Parteien von Kunst- und Kulturpolitik haben, lässt sich in den Wahlprogrammen deutlich ablesen. Dabei manifestieren sich große Unterschiede in den politischen Lagern in der Ausrichtung ihrer Kulturpolitik. Eine Analyse der Kernpunkte der Parteien zu Kunst und Kultur für die Nationalratswahl 2024.