Ins Soziale investieren

Dieses neue Sozialmodell, das „das eigenverantwortliche Engagement der Bevölkerung zu erzwingen sucht“ (Kocyba 2004: 20), bildet den Referenzrahmen arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Restrukturierung, vor deren Hintergrund sich auch verstärktes politisches – und wissenschaftliches – Interesse an Freiwilligenarbeit artikuliert.

Neoliberale Transformationsprozesse zielen auf eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Steuerung mit individuellem Selbst-Management verknüpft. Dieses neue Sozialmodell, das „das eigenverantwortliche Engagement der Bevölkerung zu erzwingen sucht“ (Kocyba 2004: 20), bildet den Referenzrahmen arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Restrukturierung, vor deren Hintergrund sich auch verstärktes politisches – und wissenschaftliches – Interesse an Freiwilligenarbeit artikuliert, wie es sich etwa am Bericht der Enquete-Kommission des deutschen Bundestags 2002, am ersten österreichischen Bericht zu Freiwilligenarbeit 2009 oder an der Erklärung des Jahres 2011 zum „Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit“ manifestiert. Schließlich ermöglicht mehr Wissen verbesserte Anleitung und Lenkung von Freiwilligenarbeit und eröffnet damit weitere Optionen auf Entstaatlichung und Entpolitisierung durch Verlagerung vorrangig sozial-, gesundheits-, bildungs- oder auch kulturpolitischer Aufgaben in den zivilgesellschaftlichen Bereich. Aber auch zunehmende Legitimations- und Akzeptanzprobleme des politischen und ökonomischen Systems sollen durch Freiwilligenarbeit entschärft werden.

Ehrenamt, Staat und Ökonomie

Denn die Aufwertung von Freiwilligenarbeit zielt auf die Entwicklung einer auf Vertrauen basierenden „grundlegenden Kooperationskultur“ als „wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität, politisch-gesellschaftliche Stabilität und Lebensqualität“ (Deutscher Bundestag 2002: 57). Freiwillige Arbeit soll fördern, was von Konkurrenz und Wettbewerb bestimmte, zunehmend flexible und projektförmige, auf kurzfristige Bindungen ausgerichtete Erwerbsarbeit nicht (mehr) leistet: gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, „eine Atmosphäre der Solidarität, der Zugehörigkeit und des gegenseitigen Vertrauens“ zu schaffen und „die Verbundenheit und das Verständnis zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft, die Verlässlichkeit gemeinsam geteilter Regeln, Normen und Werte“ (Deutscher Bundestag 2002: 57) zu stärken.

Die Förderung solcherart charakterisierten „sozialen Kapitals“ richtet sich dabei – grundlegende gesellschaftliche Widersprüche und Ausschlussmechanismen ausblendend – vorrangig auf ökonomische Verwertungsinteressen, gelten „auf gemeinsamem Engagement beruhende gesellschaftliche Netzwerke zwischenmenschlicher Vertrauensbeziehungen“ doch als „Garanten wirtschaftlicher Prosperität und Motoren der Entwicklungsfähigkeit einer Region“ (Deutscher Bundestag 2002: 57), als Stimuli von Investitionstätigkeit und Wirtschaftswachstum sowie als Stabilisierungsfaktoren der Durchsetzbarkeit von Verträgen und Eigentumsrechten. Folglich sollen auch Unternehmen „stärker und bewusster als Akteure bürgerschaftlichen Engagements auftreten“ (Deutscher Bundestag 2002: 28). Aber auch durch ehrenamtliche Arbeit zu erwerbende Fähigkeiten und Kompetenzen werden im Hinblick auf verbesserte Arbeitsmarktchancen – gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise – propagiert (BMASK 2009: Vorwort).

Krise, Arbeit und Macht

Dabei dürften im Zuge der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zunehmende Arbeitslosigkeit, soziale Polarisierung und gesellschaftlicher Ausschluss den bestehenden Trend zu vermehrt projektbezogener, kurzfristiger und organisationsunabhängiger Freiwilligenarbeit ebenso verstärken wie den für Österreich konstatierten Rückgang freiwilligen Engagements seit dem Jahr 2000 (BMASK 2009: 52). Denn Einbindung in mit Erwerbsarbeit verbundene soziale Strukturen und persönliche Netzwerke, Bildungsgrad und nicht zuletzt finanzielle Ressourcen – über 17 % der nicht ehrenamtlich Tätigen nennen etwa „zu hohe Kosten“ als Hindernis (BMASK 2009: 54) – bestimmen Zugangschancen zu formeller Freiwilligenarbeit entscheidend. Folglich manifestieren – und reproduzieren – sich auch im Bereich ehrenamtlicher Arbeit bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse, wie sie sich in sozialer Ungleichheit und Exklusion artikulieren. So leisten Männer etwa zwei Drittel formeller, Frauen etwa zwei Drittel informeller – gesellschaftlich weitgehend unsichtbarer nachbarschaftsbezogener – Freiwilligenarbeit. Aber auch der Bereich formeller Freiwilligenarbeit erweist sich bezüglich Tätigkeitsfeldern und Positionen als nach Geschlecht ebenso wie nach Migrationshintergrund hochgradig segregiert (BMASK 2009: 90ff., 137ff.).

Insgesamt leisten knapp 44 % der österreichischen Bevölkerung über 15 Jahre Freiwilligenarbeit, die von ihnen geleistete wöchentliche Arbeitszeit entspricht der von 416.223 Erwerbstätigen (Statistik Austria 2008: 4). 28 % der österreichischen Bevölkerung engagieren sich im – über Vereine oder Verbände organisierten – formellen Bereich, wobei 17,1 % der ehrenamtlich Engagierten im Kulturbereich, 7,5 % im Sozial- und Gesundheitsbereich und 5,8 % im Bildungs- bereich tätig sind (Statistik Austria 2008: 49).

Auf diese Segmente beziehen sich die im Folgenden umrissenen Politiken, die auf Angleichung gesellschaftlicher Teilhabechancen zielen und diese vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise mit der Intention ökonomischer Stabilisierung verknüpfen. Die skizzierten Politikvorschläge richten sich gleichermaßen darauf, im Zuge der Krise zunehmender sozialer Polarisierung entgegenzuwirken und Optionen für emanzipatorische Veränderungen im Krisenkontext aufzuzeigen. Die dabei zu Grunde liegende ökonomische Perspektive orientiert sich einerseits an der kurzfristig Konjunktur stützenden Schaffung von Arbeitsplätzen, andererseits langfristig am sozialen Beziehungsgeflecht, das nicht nur als Ziel, sondern auch als Fundament von Wirtschaften, folglich als mittel- und langfristige Basis wirtschaftlicher Prosperität und damit als das „Investitionsobjekt“ schlechthin verstanden wird (Esping-Andersen 2000, Bock-Schappelwein/ Eppel/Mühlberger 2009).

Abbau gesellschaftlicher Exklusion durch integrative Politiken erhöht demnach das in der Bevölkerung zu verortende ökonomische Potenzial einer Volkswirtschaft, das im Kontext bestehender Konjunkturprogramme jedoch unterbelichtet bleibt.

Krisenpolitische Alternativen: Professionalisierung

Dem beträchtlichen Bedarf an Pflege- und Betreuungsleistungen etwa durch entsprechende Ausweitung professioneller Angebote zu begegnen, schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, der geschlechtsspezifischen Zuweisung dieser Berufsfelder gezielt entgegenzuwirken, den gerade im Pflege- und Betreuungssektor ausgedehnten informellen Arbeitsmarkt einzuschränken und nicht zuletzt den steigenden Druck auf die Versorgungsökonomie zu reduzieren. Denn in Krisenzeiten kommt der nach wie vor primär Frauen zugewiesenen unbezahlten Arbeit im privaten Bereich eine besondere Pufferwirkung zu, soll sie doch mangelnde Kaufkraft durch mehr Eigenleistungen ausgleichen. Mehr unbezahlte Arbeit aber verringert in weiterer Folge Partizipationschancen vorrangig von Frauen am Arbeitsmarkt und stabilisiert so die hierarchische geschlechtliche Arbeitsteilung. Dabei sind insbesondere Betreuungsleistungen für Kleinkinder auch als Investition in soziales Kapital und damit längerfristig in das ökonomische Potenzial einer Volkswirtschaft zu verstehen. Darauf zielen auch Bildungsinvestitionen, die sich nicht auf die Sanierung von Schulgebäuden beschränken, sondern auf die Qualität von Bildung fokussieren. Dabei wäre vor allem auch gesellschaftlicher Produktion und Verankerung von Stereotypen und in weiterer Folge entsprechenden Segregationstendenzen im Bildungsverhalten entgegenzuwirken.

Vor allem für benachteiligte Gruppen wären Zugangschancen zu Bildung über adäquate soziale Voraussetzungen wie ein entsprechendes „bildungsfreundliches“ Umfeld, ein solidarisches gesellschaftliches Klima und soziale Durchlässigkeit – also Lebensbedingungen, die Lernen ermöglichen und dazu motivieren – zu fördern. Auf Überwindung gesellschaftlicher Ausgrenzung zielende Sozialinvestitionen etwa in Anti-Sexismus- und Anti-Rassismus-Projekte oder interkulturellen Dialog könnten dafür notwendige Grundlagen schaffen. Zivilgesellschaftliche Initiativen leisten in all den genannten Sektoren essentielle gesellschaftliche Beiträge, sind dabei aber immer wieder mit mangelnder, in den letzten Jahren oft gekürzter Finanzierung konfrontiert (Dawid/Heitzmann 2006: 14f.). Mit der – selbst vorübergehenden – Aufstockung von Fördermitteln könnten entsprechende zivilgesellschaftliche Angebote professionalisiert und damit rasch Arbeitsplätze generiert, gesellschaftliche Partizipationschancen und schließlich langfristig das ökonomische Potenzial erhöht werden. Konjunkturpolitische Interventionen und emanzipatorische Intentionen ließen sich so verknüpfen. Diese in ein umfassendes, auf gleiche gesellschaftliche Teilhabechancen aller zielendes Politikkonzept einzubinden, impliziert aber auch Erwerbsarbeit und Ressourcen umzuverteilen und die Marktökonomie im Hinblick auf die Abschwächung bestehender gesellschaftlicher Spaltungen zu regulieren. Generelle Arbeitszeitverkürzung und verstärkte Redistribution im Kontext von Steuer- und Sozialsystem stellen hierbei zentrale Ansatzpunkte dar – und könnten darüber hinaus nicht zuletzt die für Freiwilligenarbeit notwendigen Rahmenbedingungen nachhaltig verbessern (BMASK 2009: 54).

Zivilgesellschaftliches Engagement vermag Politik folglich nicht zu ersetzen, sondern bestenfalls zu ergänzen. Es bleibt öffentliche Aufgabe, soziale Rechte wie gesellschaftliche Teilhabechancen zu garantieren und damit – gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise und ihrer sozialen Implikationen – gefährdete Grundlagen von Demokratie zu sichern.

Literatur

BMASK (Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) (2009): Freiwilliges Engagement in Österreich. 1. Freiwilligenbericht. Wien.
Bock-Schappelwein, Julia / Rainer Eppel / Ulrike Mühlberger (2009): Sozialpolitik als Produktivkraft. Wien.
Dawid, Evelyn / Karin Heitzmann (2006): Leistungen der NROs in der Armutsbekämpfung. Studie zur Bestandsaufnahme der Leistungen sozialer Dienste in der Vermeidung und Bekämpfung von Armut in Österreich. Wien.
Deutscher Bundestag (2002): Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Berlin.
Esping-Andersen, Gøsta (2000): Social foundations of postindustrial economies. Oxford.
Kocyba, Hermann (2004): „Aktivierung“. In: Bröckling, Ulrich / Susanne Krasmann / Thomas Lemke (Hg.): Glossar der Gegenwart. Frankfurt/M., S. 17-22.
Statistik Austria (2008): Struktur und Volumen der Freiwilligenarbeit in Österreich. Wien.

Gabriele Michalitsch ist Politikwissenschafterin und Ökonomin, lehrt an der Universität Wien sowie an der WU Wien.

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