Idiot-Werden

Zu Hans-Christian Danys kleiner Geschichte von Kybernetik und Kontrollgesellschaft.

Mein einziger Lehrer hat mich gelehrt, dass das Subjekt und seine Entscheidungen niemals einzeln und allein sind. Sein bevorzugtes, einigermaßen paradoxes Beispiel, das apodiktische Shakespeare-Diktum „beschloss ich, ein Bösewicht zu werden“, im englischen Original von „Richard III“: „I am determined to prove a villain“, schlich sich in meine Erinnerung, als ich den Umschlag öffnete und Hans-Christian Danys neues Buch „Morgen werde ich Idiot“ auf meinem Schreibtisch lag. In beiden Fällen trifft in ironischer Weise Determinismus auf ein radikalindividualistisches Ich, das gerne mehr sein wollte als ein Einzelner.

Der Idiot ist in dieser Konzeption eine schillernde Figur des Gegenverhaltens, die von der Gesellschaft der obligatorischen „Verbindung“ abzufallen, aus dem kybernetischen Kapitalismus zu verschwinden sucht, Gegenfigur zum lächerlich gewordenen oder immer schon der Lächerlichkeit preisgegebenen „öffentlichen Intellektuellen“. Dany schreibt: „Was das Öffentliche sein könnte, hat sich längst in apathische Bedeutungslosigkeit zurückgezogen, dorthin, wo jede Bewegung, jede Geste aus einem Katalog kommt, der sich auf nichts mehr bezieht.“

Einzeln oder einzig, Individuum oder Singularität?

Beschwingt durch den für den Hamburger Künstler/Autor typischen Ich-Stil, in dem es unerheblich wird, ob ich mich gerade durch biografische Details oder Träume bewege, durch erzählerischen Rausch oder die Gefilde des Fiktiven, lasse ich mich durch die Geschichten der Kybernetik im 20. Jahrhundert treiben: von Norbert Wiener über Ross Ashbys Homöostaten und Heinz von Foersters Einfluss auf die neoliberale Managementtheorie bis zum Deleuze'schen „Postskriptum zur Kontrollgesellschaft“ und zu „Kybernetik und Revolte“, der postsituationistischen Eloge auf Rauschen und Panik aus der Feder des französischen AutorInnen- und AktivistInnen-Gefüges Tiqqun. Die ganzen Grauslichkeiten des kybernetischen Kapitalismus, von denen diese beiden letzteren Mini-Analysen der Gegenwart theoretisch künden – Deleuze‘ Postskriptum stammt aus dem Jahr 1990, ist also weniger Nachwort als so etwas wie eine Vorahnung von dem Schlamassel, das damals noch eher nobel Kontrollgesellschaft genannt wurde, Tiqqun reflektieren mit „L’hypothèse cybernétique“ im 2001 erschienenen zweiten Band ihrer Zeitschrift auch schon etwas ausführlicher über Widerstandsmöglichkeiten in diesem komplizierten Setting –, werden in Danys Erzählstrom anschaulich. Dieser nach allen Richtungen überfließende Strom häuft die Zumutungen maschinischer Indienstnahme an, denen wir ausgesetzt sind und uns aussetzen: die Pseudo-Selbstorganisation und Teilhabe-Illusion in neoliberalen Mikro-Ökonomien, die schlecht versteckte Totalitarität und die Kommunikationssimulation von Open Spaces und NLP, die allgegenwärtige Partizipationsanrufung, die Auto-Aggression im Start-Up-Gründerphantasma, das „Spiegelkabinett der Ängste“ in prekären Arbeits- und Existenzweisen, die Müdigkeit und die Psychopathologien in den durchgeknallten Zeitökonomien, die doppelte Funktion der Schuld/en in der Kybernetik als Selbst/Steuerung.

All das ist irgendwie und irgendwo schon beschrieben worden, aber das macht nichts. Das Buch liest sich in keiner Weise als Aufguss oder simple Theorie-Popularisierung. Sicherlich haben wir es mit einer zugänglich und locker geschriebenen Einführung in die Geschichte von Kybernetik und Kontrolle zu tun, diesmal übrigens mit ein bisschen weniger sub- und gegenkulturellen Zutaten als in seinem Vorgänger „Speed“, es sei denn, man begriffe die proto-kybernetischen Gründer-Figuren um die Macy-Konferenzen als spezifische Subkultur. Der besondere Sog des Textes entsteht jedoch daraus, dass Dany nicht einfach als schreibendes Subjekt in die Rolle des Idioten schlüpft, sondern von Anfang an konsequent auch im Schreiben Idiot wird. Das heißt zunächst, die Vereinzelung in der postfordistischen Produktion auch auf der Ebene der Schreibweise zu affirmieren. Wir können in dieser Schreibweise nicht vorkommen, sondern nur Ich. Die zentrale theoretische Frage an dieses Ich ist, ob es ein Einzelnes sein will oder ein Einziges, ein ganzheitliches und zugleich vereinzeltes Individuum oder eine Singularität. Auf letzteres lässt schließen, dass das Morgen von Danys Idiot genauso wie der Beschluss des späteren Richard III., Bösewicht zu werden, ereignishaft und über die Schließung eines selbstgewissen Subjekts hinauszuschießen scheint.

Widerstand – aus dem Inneren der Maschine

Was jedoch vielleicht zu kurz kommt in Danys Beschreibungen eines kybernetischen Systems der Steuerung und Selbststeuerung, für das mir die Bezeichnung maschinischer Kapitalismus geeigneter erscheint, ist unser, also mein Begehren, an den Maschinen anzuhängen. Ich bin nicht nur einfach angehängt und abhängig von einer mir äußerlichen „Maschine“, die mich überwacht und unterwirft, ich möchte auch Teil der Maschine werden. Gerade das kybernetische Amalgam aus Selbst- und Fremdsteuerung könnte auch Lücken, Auswege, Breschen ermöglichen. Aus der ambivalenten und verqueren Art der maschinischen Wunschproduktion ließen sich Figuren des Widerstands entwickeln, immanente Figuren, die sich nicht auf ein Außen beziehen, und sei es ein im Innen abgekapseltes Außen. Kein Zweifel, diese immanenten Formen des Widerstands können vereinnahmt werden, aber sie können das Immanenzfeld auch massiv in alle möglichen Richtungen verändern.

Dany neigt eher dazu, die „Maschine“ als parasitäre Erweiterung der Technik auf einen Zwangsmechanismus zu reduzieren und, als Effekt dieser Externalisierung der Maschine, in Sachen Widerstand und Aufstand ins Transzendente zu kippen. Die das Buch durchziehenden Widerstandsvorstellungen der Verkapselung, des Loslösens, der Autarkie entsprechen zwar keinesfalls der elitaristischen Idiotie eines Botho Strauss, aber ab und an scheint durch Danys Tiqqun-Lektüre hindurch zu viel Debord, manchmal vielleicht sogar Adorno. An den weniger gelungenen Stellen setzt uns dies auf die vielbefahrenen Gleise von Kritizismus, Kulturpessimismus und Autonomieromantik.

An den interessanteren Passagen erscheint das „Werden“ im Titel des Buchs nicht als Verweis auf einen ganz anderen Ort und das „Morgen“ nicht getrennt vom Heute. Werden – und das klingt etwa an in Danys kurzer Lektüre von Donna Haraways Cyborg-Theorie oder in der Interpretation der Aufstände in Paris und London als Ja-Nein – ist auch Maschine-Werden, Faltung der Maschine in einem monströsen Sinn des Exzesses im Hier und Jetzt, Fluchtlinie in und aus der Immanenz des maschinischen Kapitalismus – an einem Ort, wo Disjunktion auf Konjunktion, Abfallen auf Neuzusammensetzen, das Verschwinden des „verbundenen“ Menschen auf die Produktion von Rauschen, Nebel, Unwahrnehmbarkeit trifft.

Der Idiot kommt in Danys Buch nur an einer Stelle vor, auf den letzten Seiten. Titelgebend wird er, weil er für die theoretische Hauptfigur des Buchs steht, für das Unterbrechen der Kommunikationsflüsse durch den Einzelnen. In der wachsenden Unordnung meiner Assoziationen ruft dieses Bild nicht nur die dementsprechenden Deleuze-Anklänge auf, sondern auch die frühe individual-anarchistische Schrift Max Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“ fast 150 Jahre davor. Der „Einzige“ bleibt über weite Strecken allein, wehrt sich gegen alle erdenklichen Übergriffe und gesellschaftlichen Fesseln, wie auch Danys Ich-Idiot über weite Strecken jedwede Kommunikation verweigert, seine „Freiheit als Idiot genießen“ will. Das Idioten-Ego will sich „nicht mehr mit den Apparaten verbinden, mich von ihrem Zugriff verabschieden und auf ganzer Linie entkoppeln“. Als ob es eine fassbare Möglichkeit gäbe, als autonomes Subjekt zu beschließen, ab morgen Bösewicht zu sein …

Suche nach Produktivität im individuellen Rückzug

Doch wie Stirner seinen „Einzigen“ nicht unbedingt als Vereinzelten, sondern auch in seinem „Verkehr“ konzeptualisiert hatte, gegen das Volk, gegen den Staat, gegen die Gesellschaft, gegen das Gemeinwohl, schlicht gegen alles Allgemeine, aber immerhin auf der Grundlage einer Ahnung, dass „Selbstgenuss“ auch mit „Verkehr“ zu tun hat, erfindet Dany seinerseits gegen Ende seiner Nautilus-Flugschrift ein ekstatisches Szenario des Zusammenhangs und der Neuordnung: Gleich Tausende von Geheimzusammenhängen imaginiert der Idiot unter dem Motto „Wer sich als funktionale Möglichkeit auslöscht, lernt immer mehr andere Idioten kennen.“ Interessantes Detail am Rande des Schlusskapitels: Dany verortet diese potenziell aufständischen, geheimen Gefüge nicht irgendwo auf dem Land, in Friedrichshof oder Tarnac, sondern mitten in den Erfahrungsräumen der Großstadt.

Wo der Einzelne genau zum Einzigen wird, das Individuum zur Singularität, die nicht nur die negative Bewegung der Abkapselung vollzieht, sondern den individuellen Rückzug erstens in eine Produktivität jenseits kapitalistischer Flüsse verwandelt, und zweitens die Verkettung mit anderen Singularitäten so hinkriegt, dass diese Verkettung nicht zu dem wird, was bei Dany etwas geheimnisvoll die „Verbindung“ heißt, also die zur kapitalistischen Inwertsetzung allzeit bereite Kooperation – das alles kann der Autor nur im theoretischen Bruch, in trickreichen sprachlichen Wendungen und als Widerspruch formulieren. Wir wissen am Ende nicht besser, ob „sich das nachinnovative, von seiner eigenen Kontrolle besessene System selbst die Luft abschnürt“, ob es unserer Nachhilfe dabei bedarf, ob eine solche Nachhilfe in der individuellen Abkapselung bestünde, ob in oder nach der Nachhilfe ein asoziales Wir der Teil-Idioten entstanden sein wird.

Gegenüber allen RomantikerInnen des radikalindividualistischen Rückzugs hat Dany den Vorzug, dass er um die offenen Ausgänge dieser Fragen weiß und dies auch nicht versteckt. So lauten denn auch die letzten Sätze des Buchs: „Vor einer Reliquie beuge ich mich nieder und bitte um Vergebung, dass ich dem Rauschen in der Sprache heute so wenig Raum gegeben habe. Es schien mir notwendig, einen Zusammenhang und die Möglichkeit einer Bewegung aufzuzeigen, auch für den Preis, mich dabei in Widersprüche zu verfangen.“

Gerald Raunig lehrt Ästhetik und politische Philosophie an der Zürcher Hochschule der Künste.

Literatur:

Dany, Hans-Christian (2013): Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft. Hamburg.

 

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