Doch die Verhältnisse, die sind nicht so

„Wir wären gerne gut anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“ Diesem bekannten Brecht-Diktum folgt derzeit die Kulturpolitik in vielen europäischen Staaten.

„Wir wären gerne gut anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“ Diesem bekannten Brecht-Diktum folgt derzeit die Kulturpolitik in vielen europäischen Staaten. Öffentliche Subventionen werden gekürzt, Stellen gestrichen, ehemalige Flaggschiffe nationalen Stolzes ausgehungert. Allerdings wird diese bittere Pille dann gleich auf spätkapitalistische Art versüßt: Zwar wird es weniger staatliches Geld geben, dafür aber mehr Anreize für privates Engagement, insbesondere Steuererleichterungen wie in den USA. So wird es zumindest angekündigt.

Das ist keine speziell neue Argumentation. Seit Jahrzehnten bekommen auch hierzulande Sponsoring- BeraterInnen einen träumerischen Blick, wenn sie von den Verhältnissen in den USA sprechen. Dabei übersehen diese ApologetInnen privater Philanthropie allerdings zumeist, dass auch diese mit öffentlichen Kosten verbunden sind. Denn Steuererleichterungen sind Finanzen, die dem Staat entgehen und damit indirekte Subventionen. Diese sind zwar finanziell günstiger als direkte Subventionen, da sich Wohltätigkeit nicht zu 100% von der Steuer absetzen lässt, verursachen aber zugleich erhebliche demokratie- und kulturpolitische Kosten. Denn staatliche Steuerungsmechanismen sind deutlich geringer, wenn es privatem Geschmack überlassen bleibt, welche kulturellen Institutionen und Aktivitäten gefördert werden sollen. Bis zu einem gewissen Grad kann der Staat zwar private Willkür verhindern, indem er festlegt, welche Institutionen steuerlich absetzbare Zuwendungen erhalten können – doch gibt es hier einen Abtausch verschiedener Nutzen: je mehr staatliche Einschränkungen, desto geringer die Spendenfreudigkeit der PhilanthropInnen und SponsorInnen. Je geringer hingegen die staatlichen Auflagen, desto größer die Gefahr, dass große Konzerne bestimmen, welche Kunst und Kultur der Öffentlichkeit zu präsentieren sind. Gegen diese grundlegende Übernahme (teils öffentlich finanzierter) Kulturpolitik erscheint es fast nebensächlich, dass PhilanthropInnen sich ihr Engagement auch durch öffentliche Repräsentationsflächen abkaufen lassen. Was in den USA allerdings durchwegs noch als Sponsoring im eigentlichen Sinne durchgeht, ist in Europa lediglich der Verkauf von Werbeflächen zu Dumpingpreisen. Unter dem Deckmantel des Sponsorings zahlen heimische Unternehmen für Werbeflächen oder auch Dienstleistungen sogar unter dem Marktpreis und haben damit auch noch zusätzlich die Chance, den Maecenas zu gewinnen. Bei den Kunstinteressierten hinterlässt dieses Treiben jedoch einen schalen Nachgeschmack.

Gerade die Bedeutung von Selbstrepräsentation gefährdet allerdings gerade das US-amerikanische Modell: Zunehmend gelangen große Firmen in Streubesitz, werden also von KleinstaktionärInnen gehalten, sind in Fonds verpackt, die dann wiederum Lebensversicherungen bilden. Doch wenn sich die EigentümerInnen nicht mit den Firmen identifizieren bzw. oft nicht einmal eine Ahnung haben, welche Anteile von welchen Firmen gerade in ihren Portfolio sind, dann ist auch ihr Interesse an öffentlichkeitswirksamer Präsentation dieser Firmen gering. Aktienwerte sollen steigen, und Kosten für Kunst und Kultur sind diesem Ziel abträglich.

Sodass auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die Verhältnisse nicht so sind, wie sie einmal waren und eine Binsenweisheit sich wieder einmal bewahrheitet: Kunst und Kultur muss eine Gesellschaft sich leisten wollen – und die Verhältnisse sind nie so, dass das billig kommt.

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