Diagonalen 04 - Reclaim the Trademarks. Von Aneignungsstrategien zwischen Filmkunst und Filmgunst

Die Geschichte der Diagonale ist eine Chronologie von Brüchen und Interventionen. Unbestritten ist, dass es den IntendantInnen Christine Dollhofer und Constantin Wulff mit viel Empathie und Verve gelungen war, während ihrer sechsjährigen Tätigkeit eine Veranstaltung in Graz zu etablieren, deren Akzeptanz nicht zuletzt durch ihre Kontinuität ermöglicht wurde.

Die Chronologie eines Auflösungsprozesses findet in "Deanimated - The Invisible Ghost" ihr Ende im leeren Raum. Als ein langsames aber stetes Verlöschen beschreibt der Filmemacher Martin Arnold die Handlung seiner Charaktere, während diese - ganz so, als bemerkten sie ihre eigenen fade outs nicht - ungerührt weiterspielen. Eine Textzeile zum Film spricht prägnant von einem "Protokoll des kommunikativen Zusammenbruchs." Diese filmische Projektion der vergangenen Diagonale hätte nunmehr ihre realpolitische Entsprechung in der Morakonale finden können. Phantomisiert sich ein Gesprächspartner, fällt dem Gegenüber der Dialog naturgemäß schwer. Polemiken ersetzen den runden Tisch, und künstlerische Ansätze mutieren zu Machtfragen. Die Geheimverhandlung und die Spaltungstendenz (Zitat: Ruth Beckermann über Kunststaatssekretär Franz Morak) kann als Teil staatspolitischen Handelns verstanden, das kleine, feine Festival des österreichischen Films derart zur Nagelprobe heimischer Kulturpolitik werden. Verliert die Gegenstrategie jedoch ihr Gegenüber, wie es im Fall der Diagonale scheint, besteht die Chance, eigene Positionen zentral zu setzen. Seltsam ist es daher, dass durch das polemische Ankämpfen gegen das Phantom Morak diesem weiterhin Wirkungsmacht zugesprochen wird.

Teamgeist vs. Diversität

Die Geschichte der Diagonale ist eine Chronologie von Brüchen und Interventionen. Unbestritten ist, dass es den IntendantInnen Christine Dollhofer und Constantin Wulff mit viel Empathie und Verve gelungen war, während ihrer sechsjährigen Tätigkeit eine Veranstaltung in Graz zu etablieren, deren Akzeptanz nicht zuletzt durch ihre Kontinuität ermöglicht wurde. Sie haben die persönlichen und politischen Klüfte einer kleinen Filmlandschaft, die sich vielleicht deshalb gleich zwei Regieverbände leistet, zusammengefasst - zu einem Pool für heterogene filmische Gattungen und non/politische Anliegen. Die Art der Abberufung Dollhofers, die Transformation des Filmfestes in einen kommerziell verwertbaren Akt und die Ersetzung seines organischen Kommunikationswertes durch einen professionalisierten musste in der Filmszene als willentlicher Zerstörungsakt empfunden werden. Vereinzelten Boykottankündigungen folgten Gespräche, Mitte Oktober hatte sich eine kritische Mehrheit zur Durchführung einer "Gegen-Diagonale" formiert.

Seit Mitte November steht fest, dass die Filmschaffenden ihre eigene Diagonale abhalten werden. Vom 3. bis 7. März wird Graz also zumindest ein Filmfestival erleben. Offenbart die Genese des Festival-Aufstandes nun mehr als den Widerstand gegen das "merkantile" Kulturverständnis eines Staatssekretärs? Oder entwickelt sich gar ein Konsens unter den Filmschaffenden, der auch auf Entscheidungen jenseits der Diagonale Wirkung haben kann? Entspräche aber ein "konsensuales Modell" nicht jenem nivellierenden Geist Moraks, der absichtsvoll und polemisch die "Zerstrittenheit der Filmszene" ins Spiel bringt?

Auf einer Pressekonferenz Mitte November, auf der die Gegen-Diagonale kämpferisch in "Originale Diagonale" umbenannt wurde, übte man sich am Podium jedenfalls in Einigkeit, wenn es um die Ablehnung Moraks ging. Ruth Beckermann forderte zum Rücktritt auf, Diagonale-Sprecher Alexander Ivanceanu dankte Moraks Filmkurator Wolfgang Ainberger dafür, dass er in einem kurz zuvor veröffentlichten Brief die Intendanten der "Morakonale" - also seine eigenen Chefs - zum Rücktritt aufgefordert hatte. Wie politisch der Widerstand nun aber tatsächlich verstanden werden soll, darüber war man sich, den Zwischentönen zufolge, freilich nicht einig. Dieter Berner vom Verband der österreichischen Filmregisseure ortete im Produzentenverband einen Wechsel der Mentalitäten. Berner: "Im Verband herrscht bei einigen Dinosauriern die Meinung, wenn ihr ein bisserl freundlich zum Staatssekretär seid, dann gibt er euch auch was." Berner schloss jedoch Freundlichkeit als "Basis, um Politik zu machen" aus. Ganz anders empfand das Franz Leopold Schmelzer von der "austrian directors' association". Auch er forderte Moraks Ablöse, die "jeden Wirtschaftsminister ereilte, würde er nicht mit der Wirtschaft kooperieren." Allerdings stellte Schmelzer klar: "Wir wollen Filme und keine Politik machen." Strategisch gesehen erleben wir also ein kluges Networking, das sich an einem konkreten Interesse konstituiert.

Ein symptomatisches politisches Verständnis anderer Art offenbarte auch eine junge Frau, die auf besagter Pressekonferenz mutig das Wort ergriff. Sie "outete" sich als Mitarbeiterin der "Morakonale" und gratulierte zum Teamgeist (!), den sie auf dem Podium offenbar sehr attraktiv fand. Allerdings, so fügte sie hinzu, würde eben auch sie "bis zum Schluss" in ihrem Team weiterarbeiten, ganz egal wie die Entwicklung der beiden Diagonalen verlaufe. Die Wortmeldung legte eine betonte Naivität offen, eine persönliche Arbeitseinstellung, und sie machte deutlich, in welchen subjektiv empfundenen (quantitativen) Machtverhältnissen sich diese Auseinandersetzung abspielt - fast eine gesamte Branche gegen eine kleine, "eingeschworene" Gruppe, deren leeres Großraumbüro - wie bizarr und wie bezeichnend, denkt man an Moraks erwünschte Junktime zwischen Wirtschaft und Kunst im Sinne der britischen cultural industries - in einer Postzentrale durch einen Lastenaufzug erreichbar ist. Wirft man einen Blick auf die Webseite von Moraks Diagonale, findet sich die heiter-naiv zur Schau gestellte Verschworenheit auf feinsinnige Weise auch in Sätzen wie diesen wieder: "Am 13. Oktober fand eine "House-Warming Party" zur Eröffnung des neuen Diagonale Büros statt. Zu den Gästen zählten u.a. Staatssekretär Franz Morak, Mag. Dr. Johannes Hörhan, Andreas Kamm und Herwig Ursin, die in gemütlichem Rahmen mit Bockbier und Rotkäppchensekt auf den Erfolg der Diagonale 04 anstießen." Das Verständnis von Kultur/Politik zeigt sich hier wie dort an den Präsentationen des Selbst ebenso wie an der gewählten Form der Kommunikation.

Repräsentation vs. Reproduktion

Die Pressekonferenz, auf der die Gegen-Diagonale als "Originale Diagonale" re-definiert wurde, markierte zweifellos jene Wende, an der die Protesthaltung nach monatelanger reaktiver Polemik und angebotener Brückenschläge ("Willkommen an Bord!", Ruth Beckermann an Hans Hurch) einer Praxis eigenbestimmter Handlung wich. Die Aneignung des Labels "Originale Diagonale" wurde dabei als wichtiger Erfolg, als Wesenselement, präsentiert - das gegebenenfalls sogar durch eine Klage verteidigt werden soll. Dieser Begriffsstreit ist eine Form der Auseinandersetzung, die an das Jahr 2000 erinnert - als gegen die systempolitische Wende unterschiedlichste (sub)kulturelle Milieus Widerstandspraktiken probten. Damals beanspruchte eine Gruppierung aus der "civil society" den Begriff des wahren Österreichs für sich. Die "Demokratische Offensive" präsentierte sich nicht nur als das alternative, sondern auch als das eigentliche Österreich. Die darin enthaltene staatstragende Haltung sollte im Ausland eine Korrektur des angeschlagenen Images bewirken. Unangenehm war aber, dass diese Protesthaltung durch die Betonung des Nationalen zugleich den Charakter einer Verteidigungsstrategie annahm.

Auch im Zuge der Auseinandersetzung um die Diagonale wurde mehrfach ein Imageschaden der "im Ausland anerkannten Institution" Diagonale beklagt, wird um das eigentliche Label gerangelt. Bei allem Verständnis für den erfolgten Aufbau und identitäre Fortschreibung, aber ist es tatsächlich so essentiell, diese am Phantomlabel des "österreichischen Films" und eben in diesem Kontext fragwürdigen Junktim "Diagonale" festzumachen? Die Diagonale müsse das Festival des österreichischen Filmes bleiben, konterten Gegner der an sich guten Idee, die nationalen Grenzen des Filmfestes zu sprengen, um es - zur bevorstehenden EU-Osterweiterung - in einer regionalen Dimension zu verankern. (Das war ja unter der bisherigen Intendanz in Ansätzen bereits passiert). Vielleicht ist aber das dilettantische Konzept von Moraks Filmtüftlern (fehlplatzierte Projektbörse, überdimensionierte Preisgelder, konzeptlose regionale Verankerung, Aufwertung zum A-Festival, Finanzierung durch Referenzgelder) eine vertane Chance, weil letztlich als konkreter Handlungsversuch ein kulturpolitisch motivierter Anschlag auf eine nationale Institution übrig blieb. Der Grazer Schau täten externe Impulse durchaus gut. So wurde das Filmfestival zum Symbol eines Definitionsstreits um die heimische Kultur- bzw. Filmpolitik. Bedenkt man die Bedeutung der Diagonale und die wenigen Highlights des letztjährigen Festivals, dann ist es verwunderlich, dass nicht schon längst eine mindestens ebenso heftige Debatte über die anstehende Verabschiedung eines Filmförderungsgesetzes ausgebrochen ist, das u.a. durch ein Steuermodell eine vitale Basis für die Zukunft des heimischen Filmschaffens leisten soll. Diese Reform steckt tatsächlich die Möglichkeiten und den (internationalen) Stellenwert filmischer Kreativarbeit ab.

Kaufkraft vs. Kreativität

Denkt man an "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" (jene affektorientierten Kurz-Dokus, denen keine analytische Reflexion über herrschende Umbrüche gefolgt ist), so mögen sie Franz Morak in der Nase gejuckt haben. Vielleicht hat er ja auch deshalb so laut geniest, aber jenseits unterstellter revanchistischer Gefühle scheint der Mann vielmehr dem Phänomen des "österreichischen Filmwunders" aufgesessen zu sein, das nach Festivalerfolgen im Jahr 2001 (als Hype) ausgerufen worden war. Moraks Diagonale-Pläne entsprechen Verheißungen eines kommerziell verwertbaren Filmschaffens, führen bis zum "Film-Basar" (welch gelungene Idee für den Balkan!) und zur Antel'schen Ver-Bockerisierung. Der kleinste gemeinsame Nenner, der die Filmschaffenden und viele Produzenten eint, ist Moraks instrumentelle Vernunft: Ausrichtung am deutschen Markt, Produkte statt Projekte, Käuferschicht statt Publikum, kommerzieller Fernsehfilm, "Fördereffizienz". Die Gräben, die anhand der Diagonale-Diskussion nunmehr auch im Produzentenverband sichtbar werden, zeigen, dass über den Streit hinaus Ordnungsmuster aufgebrochen werden. Insofern ist dem im "Krieg" zwischen zwei Fronten verhafteten "Morakonale"-Intendanten Miroljub Vuckovic nur bedingt Recht zu geben, wenn er meint: "Den heutigen Stand der Dinge kann man jetzt als große Niederlage oder als großen Sieg betrachten, nach einiger Zeit aber bloß als Fakt."

Natürlich wird in zehn Jahren niemand zustimmend mit dem Kopf über die Wehrhaftigkeit gegen einen Staatssekretär nicken. Denn die Allianzen, die retrospektiv von Interesse sein werden, werden die kreativen sein und jener Output, den sie gezeitigt haben. Bemächtigt man sich der Weichen, sollte man den Geisterzug ohne weitere Energieverschwendung getrost aufs Abstellgleis rollen lassen. Oder anders ausgedrückt: Warum nicht Morak fahren lassen, wohin er will (für’s Theater nach Oberzeiring, für Film nach Deutschland) und währenddessen Realitäten selbst definieren: im Dachverband eine konstruktive Gesprächsbasis herstellen und mit der Organisation des Filmfestivals ein Exempel erfolgreichen Networkings für die gesamte Kulturpolitik statuieren.


Gunnar Landsgesell arbeitet als außenpolitischer Redakteur und Filmjournalist.

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