„Das nächste Mal wähle ich euch“

Veränderung kommt nicht von Wahlen. Doch Wahlen sind eine Mehrheits-, eine Verfasstheitsfeststellung der Gesellschaft. 42% der Männer unter 30 haben Parolen wie „Österreich den Österreichern“ oder „Herr im eigenen Haus bleiben“ ihre Zustimmung erteilt.

Zum mitterechts-rechtsrechten (Wahl-)Ergebnis und der ersehnten Linkswende erlebe ich angeregte Diskussionen und teils widerstreitende Interpretationen und Rezepte. Eine Interpretation und ein Rezept möchte und kann ich nicht als „das wahre“ wählen. Wer vorgibt das zu können, schwindelt wohl ein bisschen.

Eindruck I. Das Wahlergebnis

Veränderung kommt nicht von Wahlen. Doch Wahlen sind eine Mehrheits-, eine Verfasstheitsfeststellung der Gesellschaft. 42% der Männer unter 30 haben Parolen wie „Österreich den Österreichern“ oder „Herr im eigenen Haus bleiben“ ihre Zustimmung erteilt. Zwei Parteien haben auf die eine oder andere Art mit der österreichischen Vergangenheit ein Problem. Besser gesagt: Viele Mitglieder und Funktionäre haben kein Problem, weder mit der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ noch mit den georderten „drei Bieren“. Politische und soziale Verhältnisse, die eigentlich nach einer deutlichen gesellschaftlichen Linkswende verlangen würden, stabilisieren sich in der Zusammensetzung des Parlaments auf einem unerträglichen Niveau. Ohne relevante politische Opposition ebendort.

Eindruck II. Die Mitte und die Medien

In der politischen Mitte wollen sich schwarz, rot und grün auf die Zehen treten. Alleine nach rechts werden Ausfallschritte gemacht. All jene, die ihr Gewissen gerne damit beruhigen, dass sie leidenschaftlich gegen FPÖ und BZÖ wettern, sich aber in und mit der „Mitte“ arrangiert haben, übersehen gerne das rechte Potenzial, das sich in ebendieser sammelt oder aus dieser kommt. In diesem Wahlkampf ist die Zurückhaltung gefallen, es wurde affichiert im ganzen Land: „Es reicht! Wer bei uns lebt, muss unsere Sprache lernen. (...) Keine Rechte ohne Pflichten.“ (ÖVP) Hier wurde – heimattreu und oberlehrerhaft – „gute alte“, nämlich rechte ÖVP-Tradition gelebt. Das sind nicht die Kalauer eines Strache oder die Halbstarken-Sprüche eines Westi. Das ist der Schuldirektoren-Ton, in seiner übelsten Form und übelsten Inhalts. So kann wohl das Wahlergebnis (wieder einmal) auch als Ergebnis der Politik der bisherigen Großparteien und des gepflegten autoritären und paternalistischen Politikverständnisses gelesen werden. Die Kontinuität des „ganz normalen“ institutionalisierten Rassismus hat die Hetze salonfähig gemacht. Salonfähig sind die extremen Rechten auch in den Medien. Im wichtigsten Massenmedium des Landes stehen ihnen ganz selbstverständlich 40% Prozent der für die wahlwerbenden Parlamentsparteien reservierten Redezeit zur Verfügung. Die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt hat demnach als effektivste Propagandaplattform der Rechtsextremen fungiert und gleichzeitig nicht „etablierte“ Parteien oder Bewegungen gegen rechts mit ein paar bis gar keinen Minuten abgefertigt. Wer den Ausstieg nach links versperrt, soll sich nicht wundern, wenn alles rechts hinausdrängt. Salonfähig konnten sich die extremen Rechten auch gebärden. Sie trennen fein zwischen dem Viktor-Adler-Markt und dem Küniglberg. Kreide fressen sie, wenn sie ins ORF-Fernsehstudio fahren und kein Mitbewerber, keine Moderatorin klopft sie so lange, bis sie sich an der Kreide verschlucken. Kein anderer „Elefant“ geht auf die Distanz, die ihre Politik verlangen würde, alle lächeln und schütteln einander die Hände. 40% Redezeit sind zwar nicht linear „schuld“ an 30% Wahlerfolg. Aber massive mediale Präsenz hat wohl Einfluss auf das politische Klima. Darum sei die doppelte Redezeit für die gedoppelten Rechtsextremen als Beispiel verstanden für die folgenschwere Selbstverständlichkeit, mit der derzeit hierzulande rechtsextreme Propaganda in die hegemoniale politische Kultur eingepasst wird.

Frage I. 1999 revisited?

Wird sich der Februar 2000 wiederholen? Und würde er auch heute von einer breiten Widerstandsbewegung wie 2000 begleitet? Willkommen in der Normalität 99. Das ist jener staatspolitische Zustand, in welchem die vormaligen Staats- und Regierungsparteien mit Müh´ und Not eine Mehrheit bilden können, aber es nicht müssen. Weil es auch anders geht. Wer von den beiden es das nächste Mal wieder probiert, ist egal. Seit 2003 wissen wir, dass wir uns daran gewöhnt haben. Das ist die Normalität 99. Wie kann aus dieser heraus linke Gegenmacht entwickelt werden?

Erfahrung I. Die KPÖ

Erfreulich und ernüchternd waren die Erfahrungen der Wahl 08. Erfreulich war der Wahlkampf. Viele engagierte AktivistInnen, parteifreie KandidatInnen, Kooperation, Aktionsplanung. Erfreulich einzelne Ergebnisse. Dass die KPÖ den Trend der letzten Jahre, bei allen Wahlen zuzulegen nicht fortsetzen konnte, ist ernüchternd, dass sie bundesweit mit weniger als einem 1% wieder unter „Andere Parteien“ läuft, ebenfalls. Die Entscheidung der KPÖ, eigenständig zu kandidieren war eine politische, eine der mangelnden Alternativen, eine der Organisationslogik (Organisationen sind stets selbstbewusst), aber auch eine der Markenpflege. Jede/r halbwegs politisch Versierte weiß, dass es die KPÖ gibt, zählt sie der Linken zu und verbindet mit ihr Bilder wie Arbeiter (selten ArbeiterInnen), Verstaatlichung, soziale Politik. Seltenere Assoziationen sind vermutlich offene Grenzen, Grundeinkommen oder Drogenfreigabe. Verbreitet sind wiederum Bilder von Zaun und Diktatur. Doch auch ein Rebranding – um im Jargon zu bleiben – ist über weite Teile gelungen: Dass die KPÖ mit dem Stalinismus gebrochen hat, dass sie eine Partei der konkreten Freiheit – der Freiheit zu migrieren, der Freiheit von Existenzangst, der Freiheit von Überwachung durch den Staat – ist, wissen viele im Umfeld und darüber hinaus. Doch auch diese Marke hat ein Ablaufdatum. Dann nämlich, wenn es dasselbe „Produkt“, nämlich linke Politik samt der organisierten Menschen, die sie machen, besser und günstiger gibt. Erfreulich ist, dass die KPÖ in der Lage ist, eigenständig zu kandidieren, gleichzeitig aber jederzeit eine breite Basis für eine andere Form der Kandidatur gemeinsam mit anderen Linken zu gewinnen ist. Ernüchternd ist, dass nicht nur vor dieser Wahl sondern auch danach (noch) keine Zeichen dafür zu erkennen sind. Viele haben die KPÖ nicht wieder gewählt und viele haben sie erstmals gewählt. Es scheint der KPÖ nicht gelingen zu wollen, alle potenziellen WählerInnen gleichzeitig zu mobilisieren. Wahlerfolg – sei es für die KPÖ, ein Bündnis, eine neue LINKE – verlangt nach der Gleichzeitigkeit des Wahlverhaltens. Die Vorbereitung des Wahlerfolgs ist die Verständigung über die Gleichzeitigkeit.

Frage II. Was ist links?

Mit Interesse blicken viele Linke auf Deutschland. DIE LINKE liegt in Umfragen solide an dritter Stelle. Sie wirkt. Der Diskurs um soziale Fragen hat sich in Deutschland messbar verschoben. Trotzdem gibt es viele, die die Partei, ihre ProponentInnen, ihre Positionen kritisieren, beziehungsweise in Abrede stellen, dass DIE LINKE links ist. Gleich, wo man sich hierbei verortet, gibt es keinen Grund und vor allem keine Grundlage für eine Kopie. Von Deutschland konnten wir lernen, dass es geht. Mit wem ein solches Projekt gelingen mag, ist aber auf Österreich nicht übertragbar. In Österreich gibt es keine neuen Bundesländer samt vormaliger Regierungspartei. Und auf die veritable Krise in der SPÖ und enttäuschte Grüne warten viele schon lange und wahrscheinlich vergebens. Wer sind also die Subjekte, die in jeder Diskussion über fehlende linke Alternative(n) angerufen werden? Wer an einer Verbreiterung einer linken Wahlbewegung oder gar an einer breiten Parteiorganisation arbeiten möchte, darf sich die Frage darüber, was genau links ist, was somit Teil der Linken sein darf und wer draußen bleibt, wohl nicht zu genau stellen. Breite und begriffliche oder gar inhaltliche Präzision schließen einander aus. Dies ist oft nicht nur ein Problem der Vernunft, sondern auch des Herzens. Gerade Linke spüren besser, was sie trennt, als dass sie es wissen. Umso geschwätziger können sie es aber anschließend erläutern. Am Beginn der Konsolidierung der KPÖ vor bald zehn Jahren stand die Entscheidung, jenen Teil der Partei auszugrenzen, den ich als fundamentalistisch bzw. stalinistisch bezeichnen möchte. Diese Entscheidung war richtig. Ausschluss und Einschluss sind Fragen des Inhalts und der Arbeitsfähigkeit. Beides müsste bearbeitet werden, will man in Sachen wirkungsmächtiger linker Wahlalternative weiterkommen. Und wie ist das mit dem Spannungsverhältnis Partizipation – Stellvertretung? Auch in der KPÖ gibt es Zugänge, die die Partei unter den gegebenen Zuständen als eine theoretisch-praktische „Partei der Kritik“ verstehen und „Politik für andere machen“ als Form von Herrschaft ablehnen. Doch wahrscheinlich müsste eine Linke sich der Herausforderung stellen und (sich) klarer machen, was eine Linke (wenn sie zu Wahlen antritt) nun will, ohne sich auf die eine oder andere Seite schlagen zu müssen. Geht das? Viele sagen: Ja, doch, wir brauchen auch eine linke Politik der Repräsentanz. Gerade wenn die „Formierung einer neuen Linken“ gegen den Rechtstrend am Programm steht. Oder?

Frage III. APO forever?

Parlamentarismus ist nicht der Weisheit letzter Schluss, schon gar nicht am Weg der Emanzipation und Veränderung. Schnell einmal eine neue Partei zu gründen, wäre jedenfalls nicht neu und ist nicht alternativ. Aber Mandate zu erlangen, um Themen zu positionieren, um dem Block „rechts“ einen Block „links“ entgegen zu stellen – dafür gibt es Bedarf, Bedürfnis. Ist die Antwort ist ein Wahlbündnis? Dieses müsste Kräfte und Personen „ver-bündeln“. Wären etwa Vertretungen in Gemeinden und Kommunen ein Ansatz? Ließen sich dort Wege der direkteren Demokratie besser erproben? Oder muss Zivilgesellschaft und „Bewegung“ von StellvertreterInnenpolitik fernbleiben? Also nicht kandidieren? Dann bleibt wieder die Frage, wen wählen? Und wen für das Ergebnis, das sich allein am Ankreuzen bemisst, verantwortlich machen?

Frage IV. Berechtigte Zögerlichkeiten?

Viele ZivilgesellschafterInnen, Citoyen(ne)s, Linke, Engagierte oder zumindest Nicht-Gleichgültige haben es sich innerhalb des angebotenen Parteienspektrums (zumindest was das Wählen betrifft) gemütlich gemacht. Sie pendeln zwischen „das nächste Mal nicht“ oder „diesmal schon“ und so ähnlich. „Zugpferde“, laute Männer, (deutsche) Populisten stehen bei Linken hierzulande nicht hoch im Kurs, und das ist gut so. Dass aber eine breite Linke für einen beachteten Wahlerfolg viel(e) mitnehmen müsste, wer unterschreibt das ohne Zögern? Kompromisse machen für einen beachteten Wahlerfolg, wer geht darauf euphorisch zu? Wer zieht endlich in eine andere Richtung, und wie geht das? Dafür findet sich nicht so leicht ein Beispiel, nicht jedenfalls im Nachbarland. Außerparlamentarisch, da tun wir uns leichter. Diese oder jene Bewegung, ja, die hat gezogen. Wenn nicht einer ziehen soll, dann bleibt nur – ein banales physikalisches Gleichnis – das Ziehen vieler zur Erzeugung von Kraft. A-PO und Will-Gerne- oder Es-Muss-Halt-Sein-PO müssen an einem Strang ziehen. Gemeinsam oder zumindest gleichzeitig. Bald und zumindest mittelfristig. Es ist Schluss mit Gemütlichkeit.

Melina Klaus ist Pädagogin und lebt in Wien, gemeinsam mit Mirko Messner seit 2006 Bundessprecherin der KPÖ. 

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