Berge versetzen!

Die Geschichte des Vereins für die „Heimkehrgedenkstätte Ulrichsberg“ setzt in der österreichischen Nachkriegszeit an. Seit 1959 gilt es auf dem Treffen, die gefallenen Kameraden, denen eine „Heimkehr“ versagt blieb, zu betrauern. Dass sich diese Trauer nicht auf Wehrmachtsangehörige beschränkt, sondern auch die Gefallenen der SS mit einschließt, ist eine Selbstverständlichkeit für die Ulrichsberggemeinschaft.

Die Geschichte des Vereins für die „Heimkehrgedenkstätte Ulrichsberg“ (Ulrichsberggemeinschaft) setzt in der österreichischen Nachkriegszeit an. Seit 1959 gilt es auf dem Treffen, die gefallenen Kameraden, denen eine „Heimkehr“ versagt blieb, zu betrauern. Dass sich diese Trauer nicht auf Wehrmachtsangehörige beschränkt, sondern auch die Gefallenen der SS mit einschließt, ist eine Selbstverständlichkeit für die Ulrichsberggemeinschaft. Wo vom deutschen Soldaten die Rede ist, ist gleichbedeutend auch immer der SS-Mann gemeint. Die Kameradschaft IV (K IV) als rechtsextreme Veteranenorganisation der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Ulrichsberggemeinschaft. Norbert Rencher, Chronist der Gemeinschaft, hält fest, dass die K IV auf organisatorischem Level „wesentlich zur Erweiterung der Heimkehrer zur Europagedenkstätte Ulrichsberg beigetragen hat“. Der Name bezieht sich auf die Selbstdarstellung der K IV, die die SS zum vierten Teil der Wehrmacht umdeutet. Dabei fungiert sie als Schnittstelle der verschiedenen europäischen SS-Veteranen-Verbände, von denen seit Bestehen des Treffens jährlich Delegationen aus Deutschland, Norwegen, Belgien, Finnland, Frankreich, Schweden, Dänemark, Italien und den Niederlanden anreisten, um sich in der Garnisonsstadt Klagenfurt – die ehemalige SS-Kaserne wird heute vom Bundesheer verwendet – ein Stelldichein zu geben. In der Zeitung der K IV Die Kameradschaft wurde wiederholt die Leugnung und Relativierung der Shoa betrieben, so hieß es in einer Ausgabe aus dem Jahr 1981: „Die Untersuchung, die ich seit einem Jahr vorgenommen habe, hat mir bewiesen, dass die Anschuldigungen des Völkermordes in Gaskammern von sechs Millionen meiner Stammesgenossen absolut falsch ist. In Wirklichkeit sind während des Krieges 800 000 Juden durch Kriegshandlungen zu Tode gekommen (eingeschlossen jene der Konzentrationslager), während zehn Millionen Deutsche gestorben sind (...).“ (Die Kameradschaft, 4/1981, S. 4) Auf dem Ulrichsbergtreffen tummeln sich internationale, österreichische und regionale Neonazis auf der Erlebnissuche im authentischen Kontakt zu Veteran_innen des Nationalsozialismus. Am Berg wird, wie in der Deutschen Stimme, dem Presseorgan der deutschen NPD, nachzulesen ist, eben „Hardcore“ geboten. Hier kann der Nachwuchs den „Heldengeschichten“ von SSlern, Wehrmachtsangehörigen und Ritterkreuzträgern lauschen. Über die verkitschte Landser-Romantik hinaus bot das Ulrichsbergtreffen aber auch immer eine Gelegenheit für Neonazis, einander treffen und vernetzen zu können.

Der Lauf der Zeit brachte auch für die Ulrichsberggemeinschaft wechselhafte Phasen der internen und öffentlichen Positionierung. Die identitären Positiva, der Kärntner Abwehrkampf 1918-1920, vor allem aber das Heldengedenken für deutsche Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten, verloren in einem neurechten Diskurs an Bedeutung. Einen zukunftsweisenden Gehalt suchte und fand die Gemeinschaft im schönen Klang des Friedens und des Europagedankens, der auf 1022 m Seehöhe in der Errichtung eines Friedenskreuzes gipfelte. Dieses dient im Zuge einer Neuorientierung seit Mitte der 1970er nicht mehr allein der Huldigung des gefallenen – nicht heimgekehrten – Kameraden. In das Muster von Heldenund Märtyrerverehrung woben sich seitdem verstärkt die Bekenntnisse zu Frieden und die Einigkeit Europas ein. Die – nicht nur pragmatische – Modernisierung schloss ein NS-Heldengedenken aber nach wie vor nicht aus. Ganz im Gegenteil, durch die emaillierende Wirkung einer angeblichen „Völkerverständigung“, und sei sie noch so vordergründig, wird die Glorifizierung der NS Soldateska legitimiert. Zusammen mit nationalen Bezügen wird die Mär von der Waffen-SS gesponnen, welche die Errichtung eines freien, friedlichen und geeinten Europas zum Ziel gehabt hätte. Der von Deutschland gestartete Vernichtungskrieg wird in dieser Lesart zum Abwehrkampf gegen den drohenden Bolschewismus. Am Ulrichsberg werden viele Abwehrkämpfe geführt – gegen die äußeren Feinde, die als nationale Andere oder als Kommunist_innen die deutsche Heimat bedrohten.

Dem Ende entgegen
Als die der Linkslastigkeit unverdächtige Klagenfurter Historikerin Claudia Fräss-Ehrfeld Ende der 1990er Jahre die Schuld der deutschen Wehrmacht am Ulrichsberg ansprach, verließen Teilnehmer_innen unter Protest die Veranstaltung. Im Gedenkjahr 2005 folgte ein weit größerer Eklat, als der ÖVP Landesrat Josef Martinz den kommunikativen Rahmen dadurch sprengte, dass er an einer Unterscheidung zwischen der Wehrmacht und der SS festhielt (sic). Etwa 100 Anwesende verließen daraufhin deutlich irritiert das regennasse Zelt. Rudolf Gallob, damaliger Präsident der Ulrichsberggemeinschaft, sah sich anschließend an die Festrede Martinzs bemüßigt, den anwesenden SS-Soldaten seinen Willkommensgruß auszusprechen. Gallob, ehemaliger Landeshauptmann-Stellvertreter der SPÖ und Präsident der Ulrichsberggemeinschaft, und der Vereinsobmann Peter Steinkellner (ÖVP) reichten 2009 ihren Rücktritt ein, nachdem bekannt wurde, dass der geschäftsführende Obmann der Ulrichsberggemeinschaft, Wolf Dieter Ressenig, NS Devotionalien im Internet angeboten haben soll. Dem Abgang war eine andere Endrunde vorausgegangen: Nach der jahrzehntelangen Beteiligung des Bundesheeres am NS-Gedenken kündigte der Verteidigungsminister Norbert Darabos 2009 die Bereitstellung von Bundesheergerät und -personal auf. „Jetzt ist Schluss. Die Abgrenzung zu NS Gedankengut ist unzureichend. Solange ich Minister bin, wird das Bundesheer nicht mehr am Ulrichsbergtreffen teilnehmen“, so Darabos. Mit dem Ende der Bundesheerpräsenz kam das Aus für die Feier im letzten Herbst. Diese Schmach wollte die Kärntner FPÖ so nicht akzeptieren, das FP-Duo Harald Jannach (Landesparteichef ) und Franz Schwager (Ex Landtagsabgeordneter) organisierte einen „Ausflug mit Freunden“ und Gedenk-Kranz zum Ulrichsberg, dem sich auch die Neonazis Gottfried Küssel und Hans-Jörg Schimanek jr. anschlossen.

Antislowenischer Kontext
Der Kampf ums deutschsprachige „Grenzland“ ist ein festes Movens in der Kärntner Denktradition. Bereits im 19. Jahrhundert begannen sich deutschvölkische Ideen in der Sprachpolitik durchzusetzen. Slowenisch wurde aus den Schulen und dem öffentlichen Leben verdrängt und nur noch zu Hause in den Familien oder in der Kirche gesprochen. Die Überlegenheitsgefühle des überwiegend deutschnationalen Bürger_innentums verbanden sich mit Bedrohungsszenarien der angeblichen „slawischen Überfremdung“. Schon um 1900 lautete die Forderung dann auch nicht nur „Der Kärntner spricht Deutsch“, es wurden darüber hinaus auch Stimmen nach einer Anbindung an das Deutsche Reich laut. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist_innen 1938 kam eine Erfassung der „nationalbewussten“ Slowen_innen, also der Bevölkerungsteile, die sich weigerten, die slowenische Sprache aufzugeben. Diese wurden als „volks- und staatsfeindliche“ Slowen_innen registriert. Mit welcher Absicht zeigte der 14. April 1942, als SS-Truppen 186 slowenische Familien auf Viehlastern ins Sammellager Ebental in der Nähe von Klagenfurt deportierten. In dieser ersten Aussiedlungswelle wurden, wie aus NS-Unterlagen hervorgeht, 917 Kärntner Slowen_innen vertrieben. Die Familien wurden von Polizeieinheiten aus ihren Häusern geholt und in nahe gelegene Sammellager gebracht. Von dort wurden sie in weit entfernte Lager transportiert. Viele der in den Lagern inhaftierten Männer wurden zwangsweise zur Wehrmacht eingezogen. Die Gestapo beschlagnahmte die Bauernhöfe der Deportierten und verlangte einen „freiwilligen“ Verzicht auf das Eigentumsrecht. Bei Weigerung drohte eine Einweisung in ein Konzentrationslager. Die Pläne, 50.000 Slowen_innen zu deportieren, konnten nicht mehr ausgeführt werden. Insgesamt wurden fast 300 Familien, ungefähr 1300 Menschen, vertrieben. 1000 Personen kamen zudem im Zuge der „Entnationalisierung der Slowen_innen“ in Gefangenschaft, davon starben 200 in den Konzentrationslagern und Gefängnissen.

Die antislowenischen Ressentiments sind nicht nur durch die ausständig gebliebenen zweisprachigen Ortstafeln dokumentiert. Sie verdichten sich in den Thesen, dass die Kärntner Slowen_innen gar keine „richtigen“ Kärntner_innen wären, sondern vielmehr der „Feind im eigenen Bett“, als 5. Kolonne stets bereit, die Heimat heimtückisch zu verraten. Wer das Ressentiment infrage stellt, wird im Kärntner Verständnis entweder zum/r Nestbeschmutzer_in oder zum/r fremden Aufwiegler_in, der/die die „Kärntner Seele“ nicht versteht.

Der Mythos vom ungeteilten Land
Der so genannte Kärntner Abwehrkampf wird bis heute als Ursprung und Bezugspunkt der „Kärntner Nation“ gesehen und als solcher gefeiert und verehrt. Die Volksbefragung vom 10. Oktober 1920 gibt bis heute Anlass zu den alljährlichen Landestagsfeierlichkeiten, kaum eine Ortschaft, kaum ein Friedhof in Kärnten/Korosˇka kommt ohne einschlägige Gedenktafeln aus. Gedenktafeln, die den „Kärntner Abwehrkampf“ gegen die „slawische Bedrohung“ ehren, die an einzelne mutige „heimattreue Abwehrkämpfer“ erinnern sollen und feiern, dass der letzte „Slawe“ über die Grenze geschickt wurde.

Das heutige Kärnten/Korosˇka lebt ungebrochen in der Kontinuität von 1920 und blendet damit den „Anschluss“ 1938 und den Nationalsozialismus aus seiner Geschichtsschreibung nicht nur gänzlich aus, sondern macht ihn so zu einem „normalen“ Teil seiner Geschichte. Der Nationalsozialismus stellte in Kärnten also keine Zäsur, sondern vielmehr logische Kontinuität dar, „eine Art zweite Befreiung, von der man sich eine endgültige Lösung der ,Kärntner Frage‘ erwartete“ (Rettl 2006: 63). Diese Kontinuität beschreibt auch der Kärntner Abwehrkämpfer und Nationalsozialist Hans Steinacher: Für ihn war es selbstverständlich, dass der „Abstimmungskampf nicht um den Anschluss an Österreich, sondern um die großdeutsche Zukunft“ geführt würde. Da sie aber wegen „der Interalliierten“ nicht in der Lage waren, „Deutschland“ zu rufen, […] „Österreich“ nicht sagen wollten, so wurde der Kampfruf eben „Kärnten“ (Steinacher zit. nach Rettl 2006: 46). Auch während des Nationalsozialismus nahm die Kärntner NS-Führung immer wieder gerne Bezug auf den „Abwehrkampf“, da dieser ein zentrales Element bei der Durchsetzung ihrer Gesamtinteressen markierte. So wurde zwar der Landesfeiertag nicht mehr als solcher begangen, wohl aber das Bild der „Kärntner, die 1918 als die ersten Deutschen gegen fremde Gewalt aufstanden“, geprägt. Nach dem Ende des Nationalsozialismus gesellte sich zu den bereits vorhandenen Geschichtsmythen Kärntens noch ein weiterer. Claudia Fräss-Ehrfeld schrieb 2000 in ihrer „Geschichte Kärntens“: „Trotzdem stand uns das grausamste Kapitel dieses Abschnitts unserer Geschichte noch bevor: die Verschleppung und Ermordung heimattreuer Kärntner durch Titopartisanen nach Kriegsende 1945.“ (Fräss-Ehrfeld 2000: 199)

Literatur
Fräss-Ehrfeld, Claudia (2000): Geschichte Kärntens.

Rettl, Lisa (2006): PartisanInnendenkmäler. Antifaschistische Erinnerungskultur in Kärnten.

AK gegen den Kärntner Konsens ist eine offene Gruppe, die sich mit Erinnerungspolitik in Kärnten/ Korosˇka und anderswo auseinandersetzt (www.u-berg.at).

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