Umschiffte Probleme. Zur Protestaktion „TAMM TAMM Künstler informieren Politiker“ (KiP).

Seit zu Beginn der 90er Jahre von der „Repolitisierung der Kunst“ die Rede war, ist die Unterscheidung zwischen politischer und künstlerischer Praxis unter Anwendung althergebrachter Bewertungsgrundlagen immer schwieriger zu treffen.

Durchlässige Grenzen zwischen politischer und künstlerischer Praxis? Seit zu Beginn der 90er Jahre von der „Repolitisierung der Kunst“ die Rede war, ist die Unterscheidung zwischen politischer und künstlerischer Praxis unter Anwendung althergebrachter Bewertungsgrundlagen immer schwieriger zu treffen. Hatten damals die einen bewusst strategisch und ohne Skrupel die Kunst und ihre Infrastruktur zum Instrument politischer Veränderung erklärt, argumentierten die anderen umgekehrt, das „Projekt hinter den Projekten“ sei die Veränderung des Kunstbegriffs. So unterschiedlich die Stoßrichtungen waren und sind, sie brachten ein produktives Chaos hervor, das dazu nötigte, vordem Getrenntes zusammen zu denken. Ein probater und einfacher Ausweg, dieser Herausforderung zu begegnen, bestand darin, grenzgängerischen Projekten mit politischem Anliegen den Kunststatus schlicht abzusprechen und mündete konsequent in der nostalgischen Rückbesinnung auf bewährtere Formen, die – in dem Bemühen, der Kunst ihre Wesenhaftigkeit und Eigentlichkeit zurück zu erstatten – sich nicht nur zufällig auch besser verkaufen lassen. Eine andere Möglichkeit, den entstandenen Beurteilungsproblemen zu entkommen, war die Anwendung des häufig mit dem Verweis auf Duchamp legitimierten deklaratorischen Kunstbegriffs. Demzufolge kann alles, was KünstlerInnen so einfällt und eben auch alles, was sich den Anschein gibt, engagiert oder sozial relevant zu sein, „Kunst“ genannt werden. Als dritter Ausweg wurde immer wieder behauptet, die Frage nach der Kunst habe keinerlei Relevanz (eine Haltung, die meist von Menschen gewählt wird, die kein Problem damit haben, dem Kunstfeld zugeordnet zu werden).

Die Hamburger Protestaktion „TAMM TAMM Künstler informieren Politiker“

Gemäß der ersten Einschätzung bleibt die Hamburger Protestaktion „KiP“[1] eine „bloß“ aktivistische Aktion von KünstlerInnen, die – womöglich aufgrund der ihnen gern unterstellten grundsätzlichen, zuweilen krankhafte Züge annehmenden Unzufriedenheit – eben mal ein bisschen Tamm-Tamm machen wollten. Dieser Argumentation entspricht die tatsächlich geäußerte Einschätzung, es ginge den KünstlerInnen ja sowieso nur um ihren Geltungsdrang oder um das ihnen entgangene Geld. Gemäß der zweiten Haltung würde „KiP“ schon deshalb als ein Kunstprojekt angesehen, weil die Aktion mit einigen Ausnahmen von KünstlerInnen getragen wurde. Nur, was wäre damit gewonnen? Tatsächlich scheint mir die Aktion quer zu diesen beiden Kategorisierungen zu verlaufen. Anstatt zu fragen: „Welchem vorgefertigten Konzept von Politik oder Kunst gehört das Projekt an?“, schlage ich vor, die Frage umzudrehen und zu formulieren: „Welches Kunst- und Politikverständnis vermag das Projekt mir und anderen zu eröffnen?“ Dass überhaupt mehr als hundert KünstlerInnen verschiedener Generationen und höchst unterschiedlichster Arbeitsweisen[2] sich zu einer gemeinsamen Aktion zusammenfanden, ist vor dem Hintergrund des im Kunstsystem geforderten Individualkampfes und damit verbundenem Konkurrenzdruck und allgegenwärtigen Anzeichen von Entsolidarisierung erstaunlich. Insofern hat die Aktion ein erstes unwahrscheinliches Ereignis gezeitigt. Ich vermute, dass das u.a. etwas mit den Rollen zu tun hat, die durch die einfache formale Anlage der Aktion den KünstlerInnen und PolitikerInnen zugewiesen wurden. Der Aufruf an KünstlerInnen, sich in einem Gespräch mit je einem/ -r EntscheidungsträgerIn des Senats kritisch mit dem Ergebnis ihrer Kulturpolitik auseinander zu setzen, nimmt schlicht den bisher noch vom Staat finanzierten notwendigen Luxus „beim Wort“, Menschen mit den Wissenskonzepten auszustatten, die aus der Beschäftigung mit und Produktion von Kunst erwachsen, und ordnet diese als SpezialistInnen einem Arbeitsfeld zu, welches sich logisch an ihren engeren Aktionsrahmen anschließt: städtische Kultur, Museumspolitik, Geschichte, Verwahrung, Präsentation und Vermittlung von Sammlungsgegenständen; darüber hinaus: kulturelle und politische Bildung und Repräsentation der Stadt Hamburg über ihre lokalen Grenzen hinaus, Finanzierungskonzepte von Kultur usw.

Ausflüchte, Terminschwierigkeiten und Sammelstellungnahmen – Ein Fazit

In der bewusst als 1:1 Situation angelegten Gesprächsführung „KiP“ wurde außerdem die grundsätzliche Bereitschaft von PolitikerInnen vorausgesetzt, ihre jeweiligen Urteilsbildungen und Entscheidungen, wenn schon nicht im Einzelfall mit ExpertInnen zu besprechen, so doch immerhin auf Nachfrage zu erläutern. Die Praxis hat sich als Korrektur dieser Unterstellung erwiesen: Nur wenige Gespräche sind zustande gekommen. Die Zeitinvestition, die geschenkten Bücher und mehrfachen Bitten, selbst insistierendes Vorpreschen hat nur in wenigen Fällen eine zufrieden stellende Reaktion provozieren können. Mit Ausflüchten, Terminschwierigkeiten oder Sammelstellungnahmen versuchte man der offenbar unvermeidbar peinlichen Entlarvung zu entkommen, die darin bestand, dass kaum eine/-r überhaupt wusste, worüber er oder sie entschieden hatte. Seither ist die Stimmung in der Kulturbehörde und im Senat ein bisschen nervös geworden. Die jüngste öffentliche Sitzung des Kulturausschusses wurde durch Polizei bewacht und war so gut besucht, dass sogar die Presse einige Mühe hatte, in den Saal zu gelangen. Erste aufmüpfige Stimmen von Abgeordneten waren zu vernehmen als die Tamm-Stiftungsvertreterin, befragt nach ihren weiteren Plänen, verlauten ließ: man müsse sich eben von ein paar Dingen einfach überraschen lassen.

1 Zur ausführlichen Darstellung der Aktion „TAMM TAMM Künstler informieren Politiker“ (KiP) und der kulturpolitischen Hintergründe, siehe:
Cornelia Sollfrank: SOS– Schicksale deutscher Museen, in:
Kulturrisse 04/05

2 Wie unterschiedlich die beteiligten KünstlerInnen mit der ihnen angebotenen Form umgegangen sind, lässt sich unter Tamm Tamm nachvollziehen. Ebenfalls dort finden sich PolitikerInnen- und Pressereaktionen zur Aktion.

Rahel Puffert ist Kulturwissenschafterin, forscht zum Thema Kunstvermittlung und lebt in Hamburg.

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