Google

Die Recherchen begannen dort, wo sie ihren Ausgang nehmen sollten – bei Google.

„Man kann mit zwei Augen mehr sehen, als man mit nur einem Kopf zu denken vermag!“ Früher, so wird entlang der Avenue Kakatare oft berichtet, suchten die Menschen gerne den Baobab vor dem Eingang des zentralen Marktes auf. In dessen Schatten fanden sie nicht bloß Zuflucht vor der glühenden Hitze des Sahel. Vor allem die Jungen scharten sich um den mächtigen Baumstamm, um aus den Erzählungen und Überlieferungen der alten Männer von der weiten Welt zu erfahren, die immer schon ihre Neugierde erweckte.

In den Köpfen ist eben viel Platz, wie auf einer großen Tafel, die beschrieben werden will. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Welt jedoch erreicht auch den Baobab zunehmend mit einer kognitiven Dissonanz. Die alten Männer sind hier noch immer anzutreffen, nur die Anzahl der Jungen verringert sich von Tag zu Tag. Sie ziehen mittlerweile andere Quellen der Weisheit vor. Vor kurzem etwa steckte eine Schülerin die Nase bei der Tür des Telegraphenamts herein und berichtete von ihrem Unterricht. Der Lehrer hatte ihr im Rahmen eines Klassenprojekts über das Wochenende die Aufgabe erteilt, das Thema „Landnahme“ zu erörtern. Das Mädchen war voller Tatendrang und setzte seine Hoffnungen auf eine Suchmaschine im Internet, die ihrer Auffassung zufolge so gut wie alles weiß.

Das Telegraphenamt steht in solchen Fällen gerne mit Rat und Tat zur Stelle. Schnell wurde der Schülerin mit einem Eintopf aus roten Bohnen auch ein Notebook bereitgestellt, um ihr das endlose Warten auf einen Internet-Zugang in den überfüllten Cybercafés der Stadt zu ersparen. Die Recherchen begannen dort, wo sie ihren Ausgang nehmen sollten – bei Google. Die geheimnisvolle Maschine wusste tatsächlich zur Landnahme aufschlussreiche Ergebnisse auszuspucken. Um Afrika, so das einhellige Bild, herrsche reges Gedränge, wie auf einem Bazar, auf dem sich die internationale Gier nach wertvollen Ressourcen nur so tummelt.

Und plötzlich rückte Google selbst ins Blickfeld. Dem Mädchen blieben die Bohnen im Halse stecken, als es von den Plänen des US-Konzerns erfuhr, verstärkt in den Ausbau von W-LAN-Verbindungen in den südlichen Schwellenländern zu investieren. Die Verheißung klingt auf den ersten Blick wohltätig und verlockend. Eine Milliarde Menschen solle dadurch auch in den entlegensten Gebieten an das Netz der Netze angebunden werden. Mit neuen Mikroprozessoren und preiswerten Smartphones, die mit dem Google-Betriebssystem Android ausgestattet sind. Die Schülerin notierte die Erkenntnisse für ihre Klassenarbeit. Dann aber gelangte sie an den Punkt, aus dem neu gewonnenen Wissen die erforderlichen Schlüsse zu ziehen. Was hat das nun alles mit der Landnahme zu tun?

Die Ratlosigkeit führte das Mädchen schon einen Tag später zu den alten Männern unter dem Baobab. Und siehe da: Obwohl die ergrauten Weisen mit dem modernen Machwerk der Nassara („Weiße“ in Fulfulde) nichts anzufangen wussten, öffneten sie der Schülerin geduldig die Augen, dass die geistigen Hinterlassenschaften der Ahnen, ihre kulturellen Hervorbringungen und das reichhaltige Wissen, immer auch Begehrlichkeiten der Profitmaximierung auf sich zogen. Google hat Afrika schon lange im Visier – und ist mit dem Kontinent auch gut im Geschäft. Damit konnte die Schülerin ihrem Lehrer letztlich die Erkenntnis überreichen, dass die Landnahme – neben Grund und Boden – eben vor allem auch von den Köpfen der Menschen Besitz ergreift.

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