The Old School of Capitalism

Die Handlung ist einfach: Eine Gruppe ArbeiterInnen besetzt eine Produktionshalle. Der nächste Schritt der Eskalation kommt, als sich die Besitzer weigern, mit ihnen in Verhandlung zu treten. Junge Anarchisten bieten Hilfe an. Arbeiter fordern von ihnen, dass sie die Besitzer zu ihnen bringen. Es kommt anschließend zum Bossnapping, und als es darum geht, diese Allianz zu festigen, bricht alles zusammen, weil die ArbeiterInnen keineswegs den Vorstellungen der anarchistischen AktivistInnen entsprechen.

Der Film The Old School of Capitalism von Želimir Žilnik behandelt – Stilelemente des Doku-Drama nutzend – zwei gegenwärtige Positionen in Serbien: jene der ArbeiterInnen einerseits und jene der intellektuellen Auseinandersetzung andererseits. Es sind zwei Positionen, die parallel zueinander die Geschichte erzählen und die sich gegen Ende des Films treffen, um das dramatische Crescendo einzuleiten.

Die Handlung ist einfach: Eine Gruppe ArbeiterInnen besetzt eine Produktionshalle. Der nächste Schritt der Eskalation kommt, als sich die Besitzer weigern, mit ihnen in Verhandlung zu treten. Junge Anarchisten bieten Hilfe an. Arbeiter fordern von ihnen, dass sie die Besitzer zu ihnen bringen. Es kommt anschließend zum Bossnapping, und als es darum geht, diese Allianz zu festigen, bricht alles zusammen, weil die ArbeiterInnen keineswegs den Vorstellungen der anarchistischen AktivistInnen entsprechen. Die Arbeiter verraten die intellektuelle Avantgarde. „Verrat“ ist das zweimal sich wiederholende Hauptmotiv des Films. Parallel zu dieser Handlungslinie werden folgende Geschichten erzählt: die der organisierten Arbeiterschaft, die ihren Glauben an den Rechtsstaat nicht verloren hat; diejenige der kleinen Unternehmer, die in einem Prozess der wilden Privatisierung etwas für sich ergattert haben – was aber, wie das so üblich ist im Kapitalismus, notwendigerweise in die Hände der multinationalen Korporationen fallen wird –; und diejenige der urbanen Intellektuellen, die in einer postsozialistischen Gesellschaft auf der Suche nach einem festen Standpunkt irren und wirren.

Handlungstheoretisch gesehen ist der ganze Film eine Fundgrube von unzähligen Strategien und Taktiken in der gegenwärtigen soziopolitischen Situation in Serbien – Streiks, Besetzung der öffentlichen Räume, Selbstorganisation, Bossnapping, direkte Aktion, Allianzenbildung, Disziplin, legitime und illegitime Kampfmaßnahmen, „Ja“ oder „Nein“ zur Selbstverwaltung usw. Entlang dieser Erzählungen ließe sich ein ganzes Handbuch der gegenwärtigen Bürgerkriegsmethoden ausformulieren. Darüber hinaus stellt aber der Film die Frage nach der Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfes – vor allem zwischen denen, die unmittelbar gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um zu überleben, und denen, die das Überleben durch die Möglichkeiten, die urbane Zentren und angehäuftes symbolisches Kapital anbieten, prekär aber doch meistern können. Beide Positionen sind bedroht. Die Bedrohung ist aber trotzdem unterschiedlich, und auch die Lösungsansätze sind nicht so selbstverständlich miteinander kompatibel. Im Film scheitern diese Versuche des gemeinsamen Kampfes. Dabei ist zu konstatieren, dass in realen Verhältnissen dieses Scheitern längst nicht da ist, denn es gibt diese Allianzen erst in Ansätzen, und ein Scheitern würde viel mehr Einsatz erfordern, als es gegenwärtig der Fall ist. In diesem Sinne erzählt Old School eine pessimistische Zukunft, die in der Realität aber auch noch durchaus optimistisch ausfallen kann.

Als ProtagonistInnen des Films treffen sich SchauspielerInnen und reale Personen. Die einfache Tatsache, dass sie die ganze Zeit persönlich unbenannt bleiben, führt uns zu einer Deutung des Films: Es handelt sich nämlich nicht um eine Verwandlung der Realität in die Fiktion mit den Mitteln des Dokumentarfilms – indem auf die durchaus problematische Position der Zeugenschaft gepocht wird –, sondern um eine in Bilder gestellte Fragestellung, eine, die immer wieder in Želimir Žilniks Filmen auftaucht: die Frage nach dem politischen Subjekt. Es ist die Frage danach, was ein Subjekt der Veränderung der Gesellschaft ausmacht. Eine Figur als Teil dieses Subjektes wird am Ende des Films – wo wir uns plötzlich in einem epischen Drama befinden – verraten und umgebracht. Es ist schwer, hier nicht an Jugoslava zu denken, die Filmheldin aus dem Film Frühe Werke, den der 27-jährige Žilnik 1969 drehte und der ihm ein für alle Mal den Weg in den jugoslawischen Filmmainstream versperrte. Auch sie wird am Ende des Films umgebracht. Ihre Träume sind durchaus mit denen des anarchistischen Helden in Old School vergleichbar. Sie wird aber umgebracht, weil sie nicht konsequent genug ist, den Weg fortzusetzen, während der Held des neuen Films genau wegen dieser konsequenten Fortsetzung des Kampfes scheitert. Unbenannt für die ZuschauerInnen des Filmes handelt es sich bei dem Anarchisten, der am Ende des Films stirbt, in der Realität um (den lebenden) Ratibor Trivunac, einen Anarchisten, der in der Tradition der Ersten Internationale steht. Das, was er im Film vertritt, versucht er auch im realen Leben durchzuführen. Er und andere Mitglieder der anarchistischen Gruppe ASI, die im Film mitspielen, sitzen derzeit in Serbien im Gefängnis, und ihnen droht eine langjährige Strafe wegen „internationalem Terrorismus“.

Die Frage nach Gewalt
Ausgehend von einem dokumentarischen Anfang nähert sich der Film mehr und mehr der Tragödie am Ende – dem Tod jenes Mannes, der im Film am stärksten die Idee der Revolution verkörpert. Es ist ein Prozess, der in ein Drama der Unausweichlichkeit des Todes, angesichts der Tatsache, dass durch die unmittelbare Bestrebung der Revolution die Grenze der erlaubten sozialen Handlungen überschritten wurde, führt. Genau damit tritt uns eine wichtige Realität in den jeweiligen Bestrebungen nach der Revolution entgegen, diejenige der Gewalt. Der Film zeigt, dass der Gewalt eines unfähigen Staatsapparats mit der Gewalt der streikenden ArbeiterInnen entgegen getreten werden kann.

Die Gewalt ist aber in einer den Kapitalismus restaurierenden Transitgesellschaft allgegenwärtig, alle nehmen sie in Kauf und machen von ihr Gebrauch. Von den ArbeiterInnen, die die Fabriken besetzen, in die Häuser der Besitzenden eindringen und Zwangsenteignungen durchführen, über die KleinkapitalistInnen, die auf Selbstverteidigung mittels Bodyguards und Großkapital setzen, über die Gewerkschaften, die wiederum auf die probaten Mittel des Hungerstreiks, der Selbstverstümmelung oder durchaus auch auf die sich schlagenden Einheiten während der Fabrikbesetzungen setzen, bis zu den AnarchistInnen, denen es reicht, über die direkte Tat zu diskutieren und die diese auch durchführen. So z. B. die Hauptfigur, die vor laufenden Kameras – auch jener von Žilnik – die amerikanische Flagge während des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden in Belgrad im Frühling 2009 verbrennt. (Was ist da die Realität, und wo genau beginnt der Film?)

Ein Archiv der Regeln der Epoche
Die Filme von Želimir Žilnik können – mit Foucault gesprochen – als die spezifische Untersuchung der Grenzen des Archivs aufgefasst werden. Nicht eines Archivs als Sammelstelle, sondern als einer Stelle, wo die Regeln einer Epoche und einer Gesellschaft in konzentrierter Weise nachvollziehbar sind. Die Regeln der Sagbarkeit, diejenigen der Auflehnung, des Gedächtnisses, der Realisierung und der Anweisungen. Žilnik filmt die vorgefundenen Äußerungen nicht entlang eines vorher genau definierten Bedeutungsrasters, sondern er filmt die Figuren eines Transformationsprozesses in Serbien „hinsichtlich der Tatsachen und Bedingungen ihres manifesten In-Erscheinung-Tretens“ (Foucault). Nicht der Sinn der Sache ist dabei allein leitend, sondern genauso das Feld, in dem die Figuren der Veränderung koexistieren, dauern und verschwinden. Er nimmt mit seiner Kamera das wahr, was in der Dimension der sozialen Äußerlichkeit vorkommt. Darum ist bei ihm die Phase der Vorbereitung eines Projektes sehr lang und diejenige der Finalisierung vergleichbar kurz. Old School wurde im April 2009 gedreht und im August fertig gestellt. Auf der Suche nach den Ausdrucksweisen bestimmter linker Zusammenhänge innerhalb des stattfindenden Transformationsprozesses befand er sich – unter anderem auch in Wien – zumindest zwei Jahre davor. Das Resultat dieser Suche sind auch einige Fernsehdokumentationen über die Arbeitskämpfe in Serbien. In ihnen ist all das aufbewahrt, was nicht Teil des Films werden konnte. Nicht ein Teil von Old School, weil es nicht eine Wirklichkeit schafft, sondern nur das Stattfindende in Hinblick auf eine außerhalb des Filmes sich befindliche zukünftige Narration festlegt. Old School schafft eine Welt, die Fernsehproduktionen dagegen versuchen, diese von einem Standpunkt aus zu beschreiben.

Die Frage nach der Revolution
In der Welt von Old School jedenfalls wird wieder einmal die Frage nach den Möglichkeiten einer Revolution heutzutage aufgeworfen. Einer Revolution, deren Träger die ArbeiterInnen werden sollten. Allgemein gesprochen erteilt Žilnik der Revolution in diesem Film genau so einen Korb, wie er das vor 40 Jahren in Frühe Werke getan hat. Die Revolution scheitert an den menschlichen Unzulänglichkeiten. Sie scheitert an den unterschiedlichen Interessenslagen und den aus diesen hervorgegangenen intellektuellen Positionen. Die Revolution verflüchtigt sich in diversen interaktiven Sequenzen, zwischen den ArbeiterInnen, die die direkte Aktion favorisieren, und anderen ArbeiterInnen, die in ihren Organisationen durchaus auf die Existenz eines Rechtsstaates setzen, zwischen den Interessen der kleinbürgerlichen FirmeninhaberInnen (die beim Großkapital Schutz vor den Arbeitskämpfen suchen müssen) und derjenigen des Großkapitals, das im Film durch die „Russen“ symbolisiert wird. (Ursprünglich war die Rede von „Chinesen“. Interessant ist aber, dass nicht die übliche antiimperialistische Formel vom amerikanischen Kapital wiederholt wird. Ganz im Gegenteil, das amerikanische Kapital erscheint im Film als die Formel, die überhaupt die direkte Aktion des Bossnappings ermöglicht; wobei auch dies durchaus zur Sprache kommt, indem die moralisierende Fragestellung des „Woher kommt das Geld“ durch den historischen Rückgriff auf die Aussage „Es gibt kein sauberes Kapital“ zuerst relativiert und anschließend umgedreht wird: „Um etwas zu tun, brauchen wir Geld“, d. h. das Tun und nicht die Mittel stehen im Vordergrund einer Akteursposition.)

Und natürlich kommt die Revolution auch deswegen nicht zu Stande, weil es einen divergierenden Redefluss zwischen jungen, im urbanen Prekariat lebenden AnarchistInnen und den ArbeiterInnen gibt. Die ArbeiterInnen wollen Brot, sie wollen sich und ihre Familien ernähren, sie wollen Wohnräume, und sie wollen für die Kinder eine bessere Zukunft haben. Die AnarchistInnen wollen dagegen eine allgemeine gesellschaftliche Umwandlung, eine, von der aus der pragmatische Standpunkt der ArbeiterInnen durchaus dekonstruiert wird; aber wir befinden uns in einer postsozialistischen Situation, wo all diese Versprechen an die ArbeiterInnen schon einmal präsent waren. Die Figur des Arbeiters hat eine Revolution hinter sich. Das ist das Wissen der ArbeiterInnen. Darum klingt in ihren Ohren jede Sprache derjenigen, die großspurig die Revolution wollen, unglaubwürdig. In dem postsozialistischen Arbeiternarrativ ist das die Sprache der Habenichtse, die dort, wo sie an die Macht kommen, sehr schnell zur Arbeiterbourgeoisie mutieren. Darum das Zweifeln an der Sprache der AnarchistInnen, darum das Verlangen nach den Taten und darum auch der Verrat. Die historische Differenz ist noch zu groß, um gegenwärtig eine gemeinsame Zukunft zu öffnen.

Die Sprache der kollektiven Veränderungsprozesse
Die Schwierigkeiten, den laufenden Diskurs und damit die Sprache und Ausdrucksweise aller miteinander zwecks Veränderung des Ganzen in Einklang zu bringen, ist ein weiteres Thema des Films. Unerwartet wird dieser Einklang auf der Ebene der Tat viel eher zu Stande gebracht. Obwohl die ProtagonistInnen des Films, die immer auch als Kollektive, deren filmische RepräsentantInnen sie sind, gedacht werden sollten, sich sprachlich sehr schwer verständigen können, gibt es einen Moment im Film, wo alle AkteurInnen – die AnarchistInnen, die ArbeiterInnen, die linken Belgrader Intellektuellen und sogar die in Amerika beheimatete Balkanemigration (die übrigens als Geldgeber für die Tat fungiert) an einem Strang ziehen: kurz, aber durchaus erfolgreich. Bis die realen, unmittelbaren, materiellen Interessen die langfristigen ideellen verdecken. Die Szene, in der die AnarchistInnen die Abmachung mit den FabrikbesetzerInnen erfüllt haben und mit dem entführten Fabrikbesitzer ankommen, ist ein Musterbeispiel, wie innerhalb von wenigen Sekunden eine Kette des „Wir“ sich konstituiert und – unter dem Einfluss von verschiedenen Faktoren – sich wieder dekonstruiert und neu zusammensetzt. Dass es derartige kollektive Subjektivierungsverfahren durch Selbst- und Fremdzuschreibungen gibt und dass sich dieser Prozess sehr schnell ereignen kann, das zeigt diese Szene – trotz der Tatsache, dass sie mit dem ersten Verrat der ArbeiterInnen an den AnarchistInnen endet. Die Lehre daraus kommt später im Film, in dem Satz: „Es geht doch alles nicht so schnell.“ Ein Satz, der die neue Phase der Allianz zwischen den zwei auf der gleichen Seite Kämpfenden einleiten sollte. „Sollte“, weil auch diese Erkenntnis im Schlussteil des Films mit einem Verrat endet.

Es bleibt die Frage, was als nächstes passieren wird. Wie und in welche Richtung wird sich dieses dichte Gefecht von filmischen, aber in die Realität eingebetteten Figuren bewegen? Diese Antwort kann nicht der Film liefern. Žilniks Verdienst ist es, dass er allen – auch denen, die in die wirklich stattfindenden Kämpfe involviert sind – die gegenwärtige Situation eines sich gleichzeitig zusammensetzenden und auflösenden politischen Subjekts vorführt. Ob dieses, im Prozess der Verdichtung sich befindende politische Subjekt die reale Macht ergreift, ob die im Osten Europas gerade stattfindende, geradezu „klassische“ Akkumulation des Kapitals – darum der Titel Old School of Capitalism – gestoppt oder umgewendet werden wird, darüber entscheiden die AkteurInnen im Film genauso wie wir alle. Wir alle sind ein Teil dieses Prozesses. Und der Film stellt uns unmittelbar vor die Frage, auf welcher Seite wir stehen. Auch wenn wir ZuschauerInnen sind, entzieht uns dieser Film durch seine Unmittelbarkeit die Bequemlichkeit dieser Position und verlangt von uns die Positionierung angesichts der Notwendigkeit der Veränderung des Bestehenden.

Ljubomir Bratić ist Philosoph und Publizist, lebt in Wien.

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