Lasst es brennen!

Mit der Besetzung europäischer Universitäten konnte sich in den letzten Monaten eine neue Bewegung formieren, der es sowohl um die Eröffnung autonomer Räume innerhalb universitärer Einrichtungen als auch um die Etablierung eigener Formen der Wissensproduktion und -distribution außerhalb bestehender Institutionen geht.

Mit der Besetzung europäischer Universitäten konnte sich in den letzten Monaten eine neue Bewegung formieren, der es sowohl um die Eröffnung autonomer Räume innerhalb universitärer Einrichtungen als auch um die Etablierung eigener Formen der Wissensproduktion und -distribution außerhalb bestehender Institutionen geht. Die Öffnung der Universität ist dabei nicht als hohle Phrase aus vergangenen Zeiten zu verstehen, sondern versucht selbst den Kampf um die Universität in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu verorten. Damit zeigt sich gerade auch in den Bildungsprotesten an Österreichs Universitäten ein qualitativer Unterschied zu vergleichbaren Bewegungen in den Jahren zuvor. So wurde 1987, 1996 und 2000 zwar ebenfalls das Audimax als symbolischer Ort besetzt, jedoch gingen die einzelnen Aktionen zumeist nicht über diesen Symbolcharakter hinaus. Die Widerstandsformen im Zuge der jüngsten Besetzungen bergen dagegen das Potenzial, über den lokalen Bezug der jeweiligen Universität hinaus in andere gesellschaftliche Bereiche zu intervenieren und somit eine transversale Ausrichtung zu ermöglichen.

Der singuläre und für österreichische Verhältnisse freilich herausragende Moment der jüngsten Ereignisse sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der derzeitige Protest bereits auf eine Reihe zuvor gegründeter Initiativen zurückgreifen konnte. Als Ergebnis jahrelanger Arbeit ist dieser auch Teil einer internationalen Bewegung, die sich unter anderem im Herbst 2008 in Frankreich, im Frühjahr 2009 in Kroatien oder im vergangenen Juni in Deutschland gegen die neoliberale Umstrukturierung der europäischen Hochschullandschaft durch den Bologna-Prozess aufgelehnt hat. Denn die Ausrichtung der Lehrinhalte am Arbeitsmarkt, gepaart mit der Notwendigkeit, die Universitäten als standortgerechte Dienstleistungseinrichtungen zu positionieren, verweisen auf einen allgemeinen Transfor-mationsprozess, welcher – als Bestandteil der europäischen Lissabon-Strategie zur Schaffung eines einheitlichen und kompetitiven Wirtschaftsraums – Bildung und Wissen zunehmend in eine vermarktbare Ware verwandelt. Unabhängige Forschung sowie die Möglichkeit, selbstbestimmt und kritisch zu lernen, werden dadurch weiter eingeschränkt.

Durch die zunehmende Kommodifizierung von Wissen bei gleichzeitiger Normierung und Standardisierung der Studien scheint die Universität nunmehr selbst an ihr Ende gekommen. Die Rückkehr zum alten Projekt einer bürgerlichen Bildungselite ist daher ebenso unwahrscheinlich wie die Verteidigung einer vermeintlich offenen Massenuniversität. Bildung ist zu einer Ware geworden, die in Form arbeitsmarktgerechter Ausbildung zur globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen soll. Die Entzauberung bildungspolitischer Ideale enthält dabei allerdings auch die Chance, dass sich die studentischen Proteste nicht mehr mit universitärer Nabelschau aufhalten, sondern gleich eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einnehmen. Diese ist nur zu erreichen, wenn die zynische Distanzierung im Namen einer allgemeinen Fantasielosigkeit durch ein konkretes Handeln in konkreten Situationen abgelöst wird. Eine Bewegung zur Überwindung herrschender Geschlechterverhältnisse, rassistischer Zuschreibungen und des Kapitalverhältnisses in und außerhalb der Universitäten könnte so einen Funken entfachen, der auch auf andere gesellschaftliche Bereiche überzuspringen vermag. In diesem Sinne: Lasst es brennen!

Ähnliche Artikel

Informationsveranstaltung: Kulturförderungen und Kultur International Die Abteilung 9 Kultur, Europa, Sport des Landes Steiermark und die IG Kultur Steiermark laden zur Informationsveranstaltung „Kulturförderungen und Kultur International“ ein. Am Montag 6. März 2023 um 14 Uhr im Grazer Kunstverein/Graz.
Seit einiger Zeit steht ein Aspekt zeitgenössischer Kunst hoch im Kurs theoretischer Erörterungen: die Kunst als Feld und Medium spezifischer Wissensproduktion.
Ganz zu Beginn des Sammelbandes findet sich eine programmatische Abbildung: Das Foto zeigt ein vor der Fassade der Akademie der bildenden Künste in Wien aufgespanntes Transparent mit der Parole „We stand for decoloniality!“.
Die Luft ist vorerst raus aus den Protesten! Bei der letzten Bildungsdemonstration in Berlin nahmen Anfang Juni gerade einmal 5.000 Menschen teil; im Jahr zuvor waren es bundesweit noch 270.000 gewesen. Doch bietet das Abflauen der jüngsten Protestwelle nunmehr auch die Möglichkeit, einen vorläufigen Schlussstrich unter die Ereignisse der vergangenen Monate zu ziehen und nach deren Implikationen für künftige Kämpfe zu fragen.
Die Kap Anamur gibt es nämlich immer noch. Zuletzt hat sie 37 Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer gefischt. Die sind aber nicht wie damals versorgt und aufgenommen worden, sondern allesamt wieder abgeschoben. Die Besatzungsmitglieder sind verhaftet worden, und ihnen wurde der Prozess gemacht.
Das Paradox der Subjektivierung aus Ermöglichung und Zwang im Bereich der Arbeit erinnert an das Bild der Eier legenden Wollmilchsau. Renate Lorenz bezeichnet dieses Paradox als Prekarisierung und die Leistung, in diesem Paradox zu agieren, als sexuelle Arbeit.
Die uferlose Fülle an Information und das vermeintliche Chaos sintflutartiger Datenmengen schienen dabei keinen Platz mehr für eine zentrale Autorität zur Wiederherstellung der Ordnung zu lassen. Und auch wenn in jüngster Zeit einem Konzern wie Google – ob nun zum Guten oder Schlechten – eine solche ordnungsstiftende Funktion zugesprochen wird, ist es doch gerade die Suchmaschine aus Mountain View, welche die letzten Überreste einer hierarchisierten Wissensordnung hinter sich gelassen hat.
Der Text analysiert die Bedingungen der Re/Produktion von Leben und Kunst in der Gegenwart und schlägt eine Repolitisierung von Biopolitik durch Nekropolitik vor. Diese veränderte Situation zu berücksichtigen, bildet die Basis für eine Konzeptualisierung neuer Formen von Widerstand.
Die Handlung ist einfach: Eine Gruppe ArbeiterInnen besetzt eine Produktionshalle. Der nächste Schritt der Eskalation kommt, als sich die Besitzer weigern, mit ihnen in Verhandlung zu treten. Junge Anarchisten bieten Hilfe an. Arbeiter fordern von ihnen, dass sie die Besitzer zu ihnen bringen. Es kommt anschließend zum Bossnapping, und als es darum geht, diese Allianz zu festigen, bricht alles zusammen, weil die ArbeiterInnen keineswegs den Vorstellungen der anarchistischen AktivistInnen entsprechen.
Bei Betrachtung der politischen Situation in Estland fällt die Diskrepanz zwischen der ausgesprochen fragmentierten Natur der linken Bewegung und der heftigen Reaktion des Staates auf das jüngste Aufkommen einer außerparlamentarischen sozialen Bewegung auf.