An der Zukunft rütteln und schütteln

In Spanien ist Anfang 2013 eine neue politische Partei aufgetaucht: Partido X, „Partei X: die Partei der Zukunft“, nennt sich dieses Experiment, das eines des partizipativen Hackings parlamentarischer Demokratie sein will. Experiment? Partizipation? Demokratie? Die Alarmglocken läuten schnell auf bei diesen Begriffen.

Eine Partei zur 15M Bewegung.

In Spanien ist Anfang 2013 eine neue politische Partei aufgetaucht: Partido X, „Partei X: die Partei der Zukunft“, nennt sich dieses Experiment, das eines des partizipativen Hackings parlamentarischer Demokratie sein will. Experiment? Partizipation? Demokratie? Die Alarmglocken läuten schnell auf bei diesen Begriffen: heiß ersehnt und umkämpft, oft instrumentalisiert und verflacht im Mainstream von Kommerz, Medien und Politik. Und: Zukunft? Was als (neo-)futuristisch gruseliger Name anmuten kann in Zeiten der Vermarktung und Verpachtung der „Zukunft“ durch Neoliberalismus und Sparpakete sowie durch Rechtsruck und „Goldene Morgenröte“ (Anm.: neofaschistische Partei in Griechenland), baut dann aber doch auf dem Hintergrund der 15M Bewegung auf. Puh.

Ein genaues Hinschauen zahlt sich aus, nicht nur weil in diesem Experiment viele der gröberen Herausforderungen rund um Organisierung und Repräsentation gut fassbar – und als solche auch mitgedacht – werden! Die Fragen, die dieser Versuch der Parteibildung rund um die Schaffung neuer Institutionen aufwirft, sind in der momentanen Mehrfachkrise der sozialen Reproduktion, Wirtschaft und Repräsentation recht zeitgemäß und dringlich. Aber beginnen wir mal mit dem Grundbaustein, dem Ausgangspunkt: der sozialen Bewegung des 15M.

Von der Bewegung zur Partei and back again

Seit Mai 2011 treffen in Spanien Menschen auf Straßen und Plätzen zusammen und rufen: „Die Krise ist ein Betrug!“, „Wir sind keine Waren in Händen von PolitikerInnen und BankerInnen!“, „Die repräsentieren uns nicht!“ und „Echte Demokratie, jetzt endlich!“ Die Zeit ist reif für eine Veränderung, und ein Showdown in Fragen Demokratie muss in jedem Fall auch deren Institutionen als Schauplatz haben. Wo der Bewegung oft vorgeworfen wird, Politik nur „von außen“ verändern zu wollen, kann man ruhig entgegnen, dass es hier in erster Linie um eine Veränderung der Gesellschaft geht, und genau da ist der 15M fest verankert. Die X-Partei ist neben zivilgesellschaftlichen legislativen Initiativen und Petitionen der gezielteste Versuch, „von innen“ zu verändern. So hallen die Forderungen der Bewegung in den Parteimottos wider: „Lüften wir das Parlament!“, „Wer raus aus der Grube will, muss mit dem Graben aufhören“, „Die beste Zukunft ist eine gute Gegenwart“ und „Sei radikal, verlange das Mögliche!“

Aufatmen: Die Zukunftspartei will die 15M Bewegung nicht repräsentieren. Sie will ein weiteres von vielen Werkzeugen sein, das aus der Mobilisierung und dem Bündeln kollektiver Intelligenzen entsteht. Und ganz konkret: aus den digitalen, vernetzwerkten Gefilden der Bewegung, in denen es reichlich Expertise rund um Organisierung via Internet gibt – denn diese Partei zählt so richtig aufs Internet. Digitale Partizipation, Online-Wahlplattformen, Elaborieren eines Parteiprogramms mithilfe von sozialen Netzwerken. Vernetztes Marketing und Consulting gleichzeitig: klicken, tippen, liken, verlinken, sharen – so entstand im Jänner eine schnelle Verbreitung und florierende Diskussion rund um die Partei.

Vom viralen Campaigning zum kollektiven Handlungsspielraum?

Als virale Medienkampagne ist die Partei bereits ein Erfolg: Am Tag ihres ersten öffentlichen Erscheinens hatten sich schon 13.000 Menschen per Twitter und 7.000 per Facebook mit ihr vernetzt, zwei Monate später sind es rund 20.000 und 14.000. Was aber heißt Wachsen für ein Parteimodell, das nicht nur Mitglieder wie Schafe sammeln, sondern Schritt für Schritt zu einem Prozess der kollektiven Konstituierung heranwachsen will?

Wie auch die demokratischen Revolutionen will diese Partei zwar schnell um sich greifen, dabei aber als großflächiges Experiment der 15M Bewegung dienen, als eine Plattform für die Artikulation neuer Modelle und Visionen. In Form einer politischen Partei, die registriert ist, aber nicht zwingend zu Wahlen antreten wird. Parteibildung wird als Prozess verstanden, dessen Pfad gewissermaßen offen ist. Und dabei wird auf Anonymität gepocht: Der einzige Name in Bezug auf Partido X ist der einer kaum bekannten Frau, die die Parteiregistrierung gemacht hat. Eine Partei ohne PolitikerInnen und ohne Programm – dafür aber mit Selbstzerstörungsmechanismus: Wenn sich Einzelpersonen des Projekts ermächtigen oder sich antidemokratische Methoden einschleichen, soll sich die Partei automatisch auflösen, so ist das Modell (über „Lizenzen“ ähnlich denen der Free Software) formuliert. The Matrix? Es schaut schon etwas nach Sciencefiction aus in der Online-Welt der X-Partei, aber im Endeffekt geht es um nichts als die Gegenwart.

Jenseits der schwitzigen Versammlungen, die Anonymität?

Die X-Partei definiert sich zu allererst über ihre Methode: Eine offene, transparente und partizipative soll es sein, die auf digitalen Kollaborationsmodellen und Copyleftlizenzen aufbaut und sich an Prozesse zivilgesellschaftlicher Konstituierung wie in Island oder Brasilien anlehnt. Was dabei aber schnell klar wird, ist, dass das hier gegebene Partizipationsmodell eher dünn ausfällt im Vergleich zu den General- und Nachbarschaftsversammlungen des 15M, den vielen dazugehörigen Kommissionen, Initiativen und Plattformen der stark in lokalen Gegebenheiten verwurzelten Gruppierungen.

Es bleibt bei der Partei wenig greifbar, um wen es hier geht und wie Vertrauen aufgebaut werden kann. Nur zwei namenlose SchauspielerInnen geben in Videocommuniqués öfters Informationen weiter. Ein passender Ansatz in Anbetracht einer Bewegung, die Repräsentation ablehnt? Die Anonymität ist hier weniger Problem oder Lösung als Hinweis auf das Fehlen von kollektiven und körperlichen Interfaces: Gesichter, Hände, Körper, Schweiß, Stimmen, Blicke – all das, was die gemeinsame Bewegung über Straßen, Plätze und soziale Medien so lebhaft und greifbar macht. Egal wessen Hände und Stimme, wenn jenseits von Floskeln und Individualisierung kommuniziert wird. Wenn das „politische“ in der Bezugsform liegt und nicht in der Floskel, muss es Beziehungen aller Art einschließen: Genau das wird oft am „Politischen“ bemängelt. Ob und wie dieses Parteiexperiment lebhafte Anknüpfungspunkte an lokale Kollektive schaffen kann, ist noch nicht klar.

Internet und Partizipation

Die Zukunftspartei hat soweit nur einen einzigen Programmpunkt: „Demokratie, Punkt.“ Zu vier Arbeitsbereichen werden Kommentare gesammelt und in ein Dokument eingearbeitet (so die Website). Die Bereiche: „Verpflichtendes und verbindliches Referendum“; „WikiRegierung und Erarbeitung einer partizipativen und transparenten Legislation“; „das Recht auf permanentes und echtes Abstimmen“; und „Transparenz in der öffentlichen Verwaltung“. Die Partei führt eine Reihe von „Spielzügen“ vor, innerhalb derer übers Internet zu gut fundierten Kommentaren und Vorschlägen aufgerufen wird – ein Modell, das ebenso mysteriös wie für Nicht-ExpertInnen und Menschen jenseits des Internets unzugänglich ist. Daran wird sich zumindest etwas ändern, wenn im Laufe des Frühlings eine Plattform zur kollektiven Ausarbeitung eines detaillierten Programms eröffnet wird, die auch Online-Voting und Kommentarfunktion miteinschließt, nach dem Modell des Gabinete Digital in Rio Grande do Sul/Brasilien oder Better Reykjavik in Island.

Soweit baut das Partizipationsmodell der Partei also auf einer eher individualisierten Form der Teilnahme auf: die Einzelperson am Computer. Unvermeidbar bei einem liberalen Demokratiesystem, das sich nur auf Individuen bezieht? Es fragt sich, an welchem Modell der Gemeinschaft sich ein Modell orientieren kann, das aus sozialen Bewegungen entspringt. Nachbarschaft? Kollektiv? Netzwerk? Bisweilen gibt es auf dieser Ebene noch keine Teilnahmemöglichkeiten.

Time to party? Neue Parteimodelle und die Krise

Die im deutschen Sprachraum wohl gängigste Assoziation ist die mit der Piratenpartei, die einen ähnlichen Fokus auf Internet- und Informationspolitik hat und auch bei eher technisch-protokollhaft gedachter „Systemänderung“ stehen bleibt. Auch hier hat man ein bisschen den Eindruck eines Computerspiels, und Ästhetik sowie Programm sprechen wohl meist junge, post-fordistisch arbeitende, Internet-affine Menschen an; dabei möglicherweise eher Männer als Frauen, weil Soziales, Care und Reproduktion jenseits vom „Immateriellen“ kaum mitgedacht werden. Die „Mitmach-Kanäle“ der Piraten sind soweit vielfältiger als jene der Zukunftspartei, es wird sich zeigen, ob Letztere hier einen ähnlichen Weg einschlägt. Und es gibt auch im Vermeiden direkter Kapitalismuskritik Parallelen, wenn auch die Anknüpfung an den 15M viel Potenzial für aus sozialen Kämpfen entwickelte Positionen und Praxen mit sich bringt.

Ein vielleicht interessanteres Beispiel eines ähnlichen Versuchs ist die argentinische Partei „Für eine Stadt der Zukunft“ (Para una Ciudad Futura). Dieses Modell bietet viele Möglichkeiten der lokalen Partizipation im lateinamerikanischen Stil der affirmativ-populären Kollektivität. Website und Vorschläge der X-Partei muten im Vergleich zu www.paraunaciudadfutura.ar eher kalt und blank an. Auf Letzterer sind jede Menge aktive Menschen zu sehen, und man findet viele militante Tools und Plattformen, in die man sich einklinken kann: Multitude statt Anonymität gewissermaßen. Solch freudige Militanz ist natürlich nicht einfach exportierbar. Das Mitdenken einer breiteren Bevölkerung jenseits von Internet und junger Mittelklasse hat hier aber durchaus etwas Interessantes.

Auch in Spanien selbst zeigen sich Projekte und Ansätze, die dem Partido X ähneln und um einen konstituierenden Prozess besorgt sind, soll heißen um neue zivilgesellschaftliche Ermächtigung und neue kollektive Formen von Entscheidungsfindung, Organisation, Verwaltung und Distribution. In Madrid zum Beispiel entsteht EnRed, ein offener Raum der Organisierung von unten. Auch der „Plan für einen zivilgesellschaftlichen Rettungsschirm“ (siehe Kulturrisse Heft 3/2012), der auf den gemeinsamen Forderungen verschiedener Gruppen und Netzwerke des 15M aufbaut, steht der Zukunftspartei nahe in seinen Ansätzen, wenn hier auch AkteurInnen und Verantwortlichkeiten klarer erkennbar sind.

Zwar ist klar, dass diese Partei nicht ein neuer 15M sein will und so nicht die Formen von Versammlung und Protest übernehmen oder bestimmen soll – es sind neue Formen und Strukturen gefragt, und man soll sich von einer Partei nicht dasselbe wie von einer Bewegung erwarten. Hier geht es darum, das Parteimodell gezielt einzusetzen, und tatsächlich scheinen die Korruptionsskandale rund um die Austeritätsregierung von Mariano Rajoy noch doppelt zu bestätigen, dass die Zeit reif ist. Wer Demokratie den Eliten überlässt, kann sich kaum eine wünschenswerte Zukunft erwarten. Und die Zukunft gibt es nicht, sie ist immer ein Konstrukt der Gegenwart. Wenn im Hier und Jetzt der Krise neue Parteimodelle möglich werden, dann vielleicht auch jenseits eines Festschreibens charismatischer AnführerInnen (wie beim Movimiento 5 Stelle mit Beppe Grillo), selbstreferenzieller Forderungen oder einer Rückkehr zur parlamentarischen Linkspartei (wie bei Syriza).

Manuela Zechner macht Kulturarbeit und forscht zu sozialen Bewegungen, kollektiven Prozessen und Care. Sie lebt in Wien und ist oft in London und Spanien.

Link:

www.partidodelfuturo.net

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