Oberösterreich - wo Opposition Sünde ist

Wahlkampf ist in aller Regel eine Zumutung, erst recht auf dem Land. Wie derzeit zum Beispiel in Oberösterreich, wo das Buhlen um die WählerInnengunst soeben in jene Phase eingetreten ist, die gemeinhin als die "heiße" bezeichnet wird (was heißen soll, dass es zur Sache geht), sich hier, zwischen Inn und Enns, aber als Mischung aus Fadesse und künstlicher Aufgeregtheit äußert.

Wahlkampf ist in aller Regel eine Zumutung, erst recht auf dem Land. Wie derzeit zum Beispiel in Oberösterreich, wo das Buhlen um die WählerInnengunst soeben in jene Phase eingetreten ist, die gemeinhin als die "heiße" bezeichnet wird (was heißen soll, dass es zur Sache geht), sich hier, zwischen Inn und Enns, aber als Mischung aus Fadesse und künstlicher Aufgeregtheit äußert. Das darf auch nicht wundern, denn wo Politik jahrelang vor sich hin schnarcht, kann nicht plötzlich spannender Ideenstreit herrschen.

Vier Viertel hat das Land, das allerdings in politischem Sinne nichts Ganzes ist. Es gibt nämlich keine wirkliche Opposition, weil alle entweder schon mitregieren oder unbedingt mitregieren wollen. Das hat Tradition. Oberösterreich, das ist nach wie vor Proporz. Wer bei der Wahl einen bestimmten Stimmenanteil erhascht, sitzt automatisch in der Regierung. Damit ist freilich das Wechselspiel zwischen regieren und opponieren, Wesensmerkmal der Demokratie, weitgehend ausgeschaltet und die Langeweile institutionalisiert. Dazu kommt, dass nur alle sechs Jahre gewählt wird, was die Zustände obendrein betoniert.

Landespolitik ist mangels echter Kompetenzen von Natur aus etwas eher Unspannendes. Es geht in den Landesparlamenten nicht um die politischen Kernthemen, die werden im Bund abgehandelt oder gleich von der EU vorgegeben. Andererseits findet wirklich bürgernahe Politik in den Kommunen statt. Das aber ist das Dilemma der Landespolitik, dass es bei ihr zum einen um wenig geht und sie zum anderen irgendwo im Niemandsland der öffentlichen Wahrnehmung ihr Dasein fristet.

Also flüchtet Landespolitik überall in Rituale, gibt sie vor, richtige Politik zu sein. Das geschieht von Bundesland zu Bundesland verschieden. Nach oberösterreichischem Verständnis hat Politik in erster Linie harmonisch zu sein. Was seit jeher verklärend als spezielles "oberösterreichisches Klima" hoch gelobt wird, ist genau diese Inszenierung von Nicht-Politik. Nicht, dass der Konflikt an sich schon Beweis demokratischer Reife wäre; aber umgekehrt führt Konsens um jeden Preis in den politischen Stillstand. Demokratie lebt nun einmal von Wettbewerb. Wo dieser nicht stattfindet, wo Konkurrenz unter einer Wolke der Einigkeit erstickt, herrscht geistige Flaute.

Dass dieses Loblied auf die Harmonie allen voran von der ÖVP angestimmt wird, ist nur zu logisch. In ihrem - und nur in ihrem Sinne - ist es, wenn demokratische Auseinandersetzung praktisch nicht stattfindet. Denn damit kann sich Landespolitik auf das reduzieren, was sie in erster Linie ist: Bühne für den Landeshauptmann. Auf ihn, den Primus unter keineswegs Gleichen, ist alles zugeschnitten. Rast- und pausenlos durchquert er sein Reich und predigt den Menschen das landespolitische Credo: Das Land bin ich.

Diese One-Man-Show hat die ÖVP im Laufe der Jahrzehnte perfektioniert. Sie stellt seit 1945 den Landeshauptmann und erweckt den Eindruck, nur sie sei dazu imstande. Die anderen Akteure, egal von welcher Partei, dürfen zwar auch auftreten, sind im Wesentlichen aber nur Staffage. Und mangels eigentlicher Politik ist viel Zeit zur Inszenierung von Politik, deren einziger Zweck es ist, das Bild der heilen oberösterreichischen Welt bis in den hintersten Herrgottswinkel des Landes zu tragen. Rundum nur Zufriedenheit.

Diese Beschaulichkeit breitet sich wie ein dicker, alles darunter erstickender Brei über sämtliche Politikfelder aus. Vor allem zeigt sich das Defizit an politischer Auseinandersetzung dann, wenn intellektueller Wettstreit unerlässlich wäre. Zum Beispiel in der Kulturpolitik, etwa als es darum ging, in den Linzer Schlossberg ein Musiktheater zu bauen. Pünktlich zur jetzigen Wahl, oh Zufall, sollte das Werk vollendet sein. Die ÖVP, von der Einzigrichtigkeit ihrer Ansichten und Argumente überzeugt, konnte sich gar nicht vorstellen, dass irgendjemand gegen dieses ihr Prestigeprojekt sein könnte.

Dass sich die FPÖ in ihrem Hang zu billigem Populismus gegen das Bauwerk auflehnte, kam nicht wirklich überraschend. Schon eher die gespaltene Haltung der Sozialdemokraten und der Grünen. Sie waren zerrissen zwischen prinzipiellem Bekenntnis zur Kunst und Skepsis gegenüber elitärer Hochkultur, zwischen kulturpolitischem Pro und parteitaktischem Kontra, zwischen blauer Kunstfeindlichkeit und Schadenfreude über die Nöte der Schwarzen, kurzum: zwischen Ja und Nein.

Zerschellt ist das Opernhaus letztlich aber an der schwarzen Basis. Die ÖVP-Oberen fanden bei der eigenen Klientel keine Mehrheit, konnten vor allem die Menschen auf dem flachen Land nicht überzeugen. Nur deshalb konnte die von der FPÖ angezettelte Volksabstimmung das Vorhaben zu Fall bringen, gewiss ein schwerer Rückschlag für das kulturpolitische Klima in Oberösterreich. Das heißt, eigentlich kein Rückschlag, sondern vielmehr eine Offenbarung. Ein halbes Jahrhundert Kulturpolitik unter ÖVP-Führung hatte es nicht geschafft, ein so weit offenes Klima zu schaffen, in dem ein solches Projekt nicht an Desinteresse, Unverständnis, Sumperei scheitert.

Insofern ist dieser kulturpolitische Flop Ausfluss eben jener Unkultur der Politikverweigerung und der über die Jahre antrainierten Unfähigkeit zum Diskurs. Eine Partei wie die von sich selbst so sehr überzeugte oberösterreichische ÖVP kann mit Widerspruch klarerweise nur schwer umgehen. Dann verliert sie leicht die Contenance, wie zum Beispiel, als sich vor Jahren gegen ein Traun-Kraftwerk bei Lambach massiver Widerstand regte. Damals, als auf einmal gewöhnliche Menschen, ganz und gar bürgerliche Bürger, gegen die Flutung einer Aulandschaft aufstanden, war es mit der Harmoniesehnsucht der Christlich-Konservativen vorbei, zeigten sie autoritäre Züge. Wer jahrzehntelang die Macht hat, glaubt sich eben im Besitz der alleinigen Weisheit.

Und wer sie jahrzehntelang nicht hat, wie in Oberösterreich die Sozialdemokraten, glaubt wohl irgendwann auch an diese ungleiche Verteilung. Die SPÖ hat ihr Trauma 1968 erlitten, als sie ihr Potenzial - bei Bundeswahlen ist sie regelmäßig mehrheitsfähig - auch bei der Landtagswahl abrufen konnte und erste wurde. Doch als die Roten aus der Siegesfeier erwachten, hatte die geschlagene Volkspartei bereits mit den Freiheitlichen einen Pakt geschmiedet, der den einen erneut den Landesthron und den anderen allerlei Posten und Pfründe sicherte. Von diesem ersten und bis jetzt einzigen Sieg bei einer Landtagswahl hat sich die SPÖ bis heute nicht wirklich erholt. Und um nicht womöglich vollends vom Regierungstisch verstoßen zu werden, fügt sie sich seither brav in die Rolle des Zweiten, muckt gelegentlich ein kleinwenig auf, um sich sodann aber gleich wieder in die ihr zugeteilten Reservate zurückzuziehen.

Die Freiheitlichen haben damals, 1968, ebenfalls die Gesetzmäßigkeiten der Macht begriffen: Der Kuchen wird in der Regierung verteilt. Vorerst ohnehin nur eine Randgruppe, mochte die FPÖ auch in den Jahren des Aufstiegs die wohligen Annehmlichkeiten der Ämter nicht mehr missen. So aufmüpfig konnte sich der Rebell aus Kärnten gar nie gebärden, so sehr mochte er gegen "die da oben" gar nicht wettern, dass seine oberösterreichischen Freunde auf das Ein-bisschen-Mitregieren-Dürfen verzichtet hätten. Und so sehr konnte sie auch die übermächtige ÖVP gar nicht mit hohlen Ressorts demütigen.

In einem herrschte zwischen Rot und Blau in all den Jahren Einigkeit: Am Proporz, jener Versicherungspolizze für den immer wieder kehrenden Regierungstrott, darf nicht gerüttelt werden.

Und auf einmal ist Wahl, braucht es ein Profil. Die ÖVP tut sich leicht, muss sie doch nur die zuvor unentwegt unter das Volk gebrachte Botschaft abrufen. "Es geht um unser Land", lautet darum jetzt der einfache Slogan. Treffender kann nicht stattfindende Politik nicht beschrieben werden als durch das Nichtssagende. Eben weil es keine Inhalte gibt, wird zur großen Geste ausgeholt. Die Methode ist aus der jüngeren Bundespolitik nur zu bekannt: Parteiinteresse wird zum Staatsinteresse erhoben. Wer etwa in den Zeiten der so genannten "Sanktionen" nicht vorbehaltlos hinter der schwarz-blauen Koalition stand, machte sich des Verrats am Vaterland schuldig. Auf Oberösterreich und den 28. September umgelegt, heißt das: Wer die Landeshauptmannpartei nicht wählt, setzt das Wohl des Landes aufs Spiel.

Aber wie sollen die anderen auf die Schnelle ihre stumpfen Profile schärfen? Die SPÖ wetzt die Messer und führt einen Brachial-Wahlkampf, der in der freiheitlichen Giftküche zusammengebraut worden sein könnte: Rüde Untergriffigkeiten, infantile Plakate, Ausverkauf-der-Heimat-Klänge, Wehklagen über steigende Kriminalität und Ruf nach mehr Exekutive - Spargelsozialismus 2003 pur.

Diesen Wechsel von totaler Angepasstheit zu markigem Radau beherrscht die FPÖ allemal besser, doch kränkelt sie zurzeit an Haupt und Gliedern. Dementsprechend planlos schaut ihr aktueller Wahlkampf aus, ein Sammelsurium aus Versatzstücken und wirren Parolen, ein einziges Flehen um Gnade vor Recht.

Die Grünen wiederum fahren streng auf Solo-Kurs, verstecken sich weitgehend hinter ihrem Spitzenkandidaten. Für sie ist der eherne grüne Zwiespalt Promi versus Fundi endgültig entschieden. Und um die Dinge vollends klar zu machen, erhebt der Spitzenkandidat Anspruch auf einen Regierungssitz - für sich, versteht sich. Der Wahlkampf der momentan einzigen Oppositionspartei im Lande reduziert sich auf die Aussage: Wir wollen, bitte, da auch hinein, wo alle anderen bereits sind! Glaubt man den publizierten Umfragedaten, stehen die Chancen der Grünen durchaus gut. Das hieße, dass künftig vier Parteien in der Landesregierung sitzen und sich in einem Landtag ohne Opposition selbst kontrollieren werden.

Es ist ein schönes, starkes, reiches Land, dieses Oberösterreich. Es ist ein kulturell vielfältiges, wirtschaftlich gesundes, gut verwaltetes Land, in dem es sich leben lässt. Nur, etwas mehr lebendige Demokratie könnte ihm nicht schaden.


Gerhard Marschall ist Journalist und arbeitet für das Wirtschaftsblatt

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