„New Feminism is Politics!“

In den letzten Jahren häufen sich konservative Attacken auf Feminismen, im deutschsprachigen Raum etwa ausgelöst durch Eva Hermans „Eva-Prinzip“ oder Susanne Gaschkes „Emanzipationsfalle“. Gar nicht so sehr im Gegensatz, sondern eher komplementär dazu, reüssiert zunehmend der reichlich seltsame Begriff eines „neoliberalen Feminismus“.

„New Feminism is about precisely the non-all of feminism, the possibility to attack and to include in feminism questions that relate to a women’s position that is not unified, but is an antagonistic force within the wider social and political terrain.” (Marina Gržinić, Rosa Reitsamer)

In den letzten Jahren häufen sich konservative Attacken auf Feminismen, im deutschsprachigen Raum etwa ausgelöst durch Eva Hermans „Eva-Prinzip“ oder Susanne Gaschkes „Emanzipationsfalle“. Gar nicht so sehr im Gegensatz, sondern eher komplementär dazu, reüssiert zunehmend der reichlich seltsame Begriff eines „neoliberalen Feminismus“, der eine elitäre und karriereorientierte „F-Klasse“ als Effekt eines als abgeschlossene Geschichte verstandenen Feminismus konstruiert. Neben derlei Propaganda für ein konservatives und/oder neoliberales Frauenbild erstreckt sich die expandierende Reform-Landschaft von Gender Mainstreaming und Diversity Management zwischen den Polen Anpassung und Alltagsscharmützel um Chancengleichheit. Andererseits haben im Laufe des letzten Jahrzehnts alle möglichen Spielarten von Pop-, Post-, Cyber- und zuletzt Alpha-FeministInnen versucht, Begriff und Marke des Feminismus zu affirmieren, weiter zu entwickeln oder in die eine oder andere Richtung zu verschieben. Und auch in jüngeren aktivistischen Szenen sieht es so aus, als würde sich eine langsame, aber stetige und nachhaltige Verschiebung zugunsten eines verallgemeinerten feministischen Selbstverständnisses ereignen. Besonders starke Katalysatoren dieser Verschiebung waren in den letzten Jahren die feministisch-queere Bewegung, die postkoloniale Theorie und die Critical Whiteness Studies, die alle in verschiedener Weise auch die Transversalisierung des Feminismus’ betrieben, ihn mit antirassistischen und migrationspolitischen Diskursen und Aktivismen verknüpften und die Komplexität von heteronormativen Unterdrückungs-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen betonten. Vor dem Hintergrund dieser neueren Entwicklungen ist es nicht sonderlich überraschend, dass im Wiener Löcker-Verlag gerade eine umfangreiche Anthologie erschienen ist, die eine emanzipatorische und offensive Lesart des „neuen Feminismus“ ausruft: Die Wiener Soziologin, DJ und Kuratorin Rosa Reitsamer und die slowenische Konzeptkünstlerin, Autorin und Akademieprofessorin Marina Gržinić haben einen nahezu 500 Seiten starken englischsprachigen Band herausgegeben, der sich nicht weiter mit nobler Zurückhaltung aufhält, sondern den selbstbewussten Titel trägt: „New Feminism. Worlds of Feminism, Queer and Networking Conditions“.

Nun ist alles, was dermaßen prominent das Neue vor sich her trägt, üblicherweise gleich mehrfach verdächtig: Ganz an der Oberfläche erhebt sich etwa der Vorwurf, das „Neue“ wäre ein leerer Signifikant, der einfach auf eine bloße Werbemaßnahme dafür verweist, was da als neu angepriesen wird. Dieser Vorwurf trifft wahrscheinlich immer auch ein bisschen zu, ist im vorliegenden Fall jedoch bei Weitem nicht die ganze Wahrheit. Während die „Alphamädchen“ (Meredith Haaf / Susanne Klingner / Barbara Steidl) oder die „Neuen deutschen Mädchen“ (Jana Hensel/ Elisabeth Raether) wohl zu Recht der Geschichtsvergessenheit oder einfach des Desinteresses in Bezug auf die komplexe Historie von Frauenbewegung und Feminismus geziehen werden, ist die Losung des Neuen bei Gržinić und Reitsamer keineswegs einer geschichtslosen Haltung geschuldet. Sowohl die Herausgeberinnen selbst als auch die Autorinnen des Sammelbands lassen bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Positionen keinen Zweifel an ihrem respektvollen Umgang mit den feministischen Genealogien, die sich gleichermaßen geografisch wie historisch weit ausdehnen. Auch die Unterstellung, mit der Betonung des Neuen würde eine Abfolge von Generationen konstruiert, der eine Differenz zwischen Alt und Jung zugrunde liegt, mit der „das Neue“ als Fortschritt zu einem unzeitgemäßen „Alten“ gedacht wird, ist hier fehl am Platz. Wenn es in „New Feminism“ keineswegs um eine solche lineare Fortschrittsidee und Abfolge der Generationen von der ersten Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts bis zum „neuen Feminismus“ des 21. Jahrhunderts gehen soll, wollen die Herausgeberinnen das Neue dennoch explizit als „Bruch“ verstehen. Worin liegt aber dieser Bruch, wenn es nicht um die Behauptung eines spezifischen historischen Einschnitts geht, an dem eine neue Qualität des Feminismus’ ereignishaft und manifestartig zutage getreten wäre? Bei der ersten Präsentation des Buches in der Wiener Kunsthalle Exnergasse bezeichnete Marina Gržinić den Bruch in einem Wortspiel zugleich als break und als brick: einen „Bruch“ in der Geschichte des Feminismus, der dieser Geschichte treu bleiben und zugleich ein Fragezeichen setzen oder vielmehr einen brick, einen Ziegelstein werfen will, der das Kontinuum der feministischen Geschichte, und hier vor allem die Selbstbezogenheit der Geschichte des „westlichen“ Feminismus, durchbricht. Im Interview mit Rosa Reitsamer erklärt dazu die Filmemacherin und Autorin Trinh T. Minh-ha, das Neue am neuen Feminismus finde sich einerseits an der Kreuzung des Postkolonialen, des Post- und Transhumanen, des Cyber, des Transnationalen, der color und queer struggles – und hier könnte man hinzufügen, dass diese Kreuzung sich auch schon seit mehr als 20 Jahren ereignet, vor allem in den US-amerikanischen Ausprägungen der Women-, Lesbian- und Queer Studies. Andererseits entsteht das Neue nach Trinh T. Minh-ha aber vor allem in der Einführung eines neuen Sehens, einer neuen Sichtweise, einer neuen Wahrnehmung möglicherweise auch ganz alter, „Äonen alter“ Probleme: „The ‚new’ lies in the way we conceive of ‚newness.’ What appears new may be eons old, but it is new because, ultimately, we feel new.“ Im Anklang an diese Konzeptualisierung des Neuen liegt für Gržinić und Reitsamer der doppelte Bruch als break und brick nicht nur in der widersprüchlichen Pluralisierung und Kreuzung der Positionen, im Anerkennen der Komplexität und Intersektionalität, in der Zurückweisung von Heteronormativität wie von identitären Positionen, sondern vor allem in einer eindeutigen Verschiebung des Blicks und damit – so die Herausgeberinnen – in einer Hinwendung zum Politischen: „New Feminism is politics.“

Aber wie lässt sich diese „Politik“ verstehen, vor allem vor dem Hintergrund einer Bewegung, deren wichtigster Slogan „the personal is political“ lautet? Die Pointe und Stärke des Slogans von Beginn der zweiten Frauenbewegung bestand darin, dass damit ein Begriff des Politischen etabliert wurde, der die Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit, von Makro- und Mikropolitik, von Produktion und Reproduktion dekonstruierte und durchkreuzte. Genau dieser Linie folgend gesellt sich der allgemeinen Setzung eines neuen Feminismus als politics im Buch von Gržinić und Reitsamer eine spezifische Perspektive hinzu, die sich überhaupt auch durch die avancierteren aktuellen feministischen Diskurse zieht: eine Perspektive, die die Herausgeberinnen nicht einen weiteren Reader produzieren lässt, der den Feminismus aus der Sicht der „Ersten kapitalistischen Welt“ repräsentiert, sondern vor allem Stimmen aus jenen Geografien vernehmen lässt, die früher „Zweite“ und Dritte Welt“ genannt wurden. Und hier findet sich auch die wichtigste Besonderheit des Buchs, deren Herausgeberinnen an der Grenze zwischen dem post-wohlfahrtsstaatlichen „alten“ und dem post-sozialistischen „neuen Europa“ leben, damit auch an der verschwimmenden Grenze zwischen Zentrum und Peripherie der „Transition“. Ausgehend von der Perspektivierung (und keineswegs Viktimisierung) des Marginalen, mit dem Blick auf die Regime der Grenze, der Prekarisierung, der Migration, der Sklaverei und des Frauenhandels will „New Feminism“ auf eine „Repolitisierung der feministischen Bewegung“ selbst hinaus. Dieses Ziel versucht das Buch in zehn Abschnitten zu erreichen, von „We Are (Be)coming!“ über „Forms of Anti-/Precarization“, „Challenges of Cooperation“ oder „Radical Embodiments“ bis hin zu den abschließenden Kapiteln „Reclaiming the Public and (Cyber)Space“ und „Strategic Agencies“. In jedem dieser Abschnitte folgt auf ein nützliches Abstract der Herausgeberinnen eine conversation mit einer prominenten Protagonistin aktueller feministischer Diskurse und danach je drei Texte, die das Thema des Abschnitts vertiefen.

Insgesamt fast 60 Autorinnen, unter ihnen Rutvica Andrijasevic, Rosi Braidotti, Judith Butler, Yvonne P. Doderer, Antke Engel, Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Rada Iveković, maiz/Klub Zwei, Suzana Milevska, Tanja Ostojić und Gayatri Chakravorty Spivak decken eine Bandbreite ab, die ihresgleichen sucht und die auch unerwartete und spannende Bezugnahmen zwischen den einzelnen Positionen ermöglicht. Eine der interessantesten Verzahnungen dieser Art dürfte – im Sinne der oben angedeuteten Spezifik des Buchs – jene zwischen postkolonialen und postsozialistischen Erfahrungen und Theorien sein, nicht zuletzt auch ermöglicht durch ein leichtes Übergewicht von Autorinnen aus dem ex-jugoslawischen Territorium, vor allem Akteurinnen aus den Feldern der bildenden Kunst, des Films und der Performance.

Bei der Präsentation von „New Feminism“ wies Mitherausgeberin Rosa Reitsamer schließlich auch noch auf die Notwendigkeit einer neuen „produktiven“ Haltung des feministischen Diskurses hin. Die Repolitisierung des Feminismus bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem eine Öffnung hin zu transversalen Interventionen in ein weites Feld von aktuellen Kämpfen. Nach Jahrzehnten der innerfeministischen Auseinandersetzung und Ausdifferenzierung, die nicht immer nur als produktiv zu werten waren, ist der „neue Feminismus“ auch eine Chiffre dafür, dass diese Konzentration auf die Innenschau zu Ende geht, dass die Terrains des Politischen gerade von queer-feministischer Seite neue Erschütterungen zu erwarten haben.

Marina Gržinić / Rosa Reitsamer (Hg.): „New Feminism. Worlds of Feminism, Queer and Networking Conditions.” Wien: Löcker 2008

Ähnliche Artikel

Netzwerkarbeit und Bewusstseinsbildung unter Frauen im ländlichen Raum stößt immer wieder auf tief verankerte Einschränkungen, Vorurteile und Probleme. Frauennetzwerke wie etwa die murauerInnen (Murau) oder Iron Women (Steirische Eisenstraße) bieten Frauen aus unterschiedlichen sozialen Milieus die Möglichkeit, sich zu vernetzten und auszutauschen und somit die eigene Position in der Region zu stärken.
In der Oktober Ausgabe des Kulturradios widmen wir uns der Frage wie man den Kulturbereich feministisch gestalten bzw. umgestalten kann
Sexismus in Kunst und Kultur Kürzlich erreichte die #metoo Bewegung den österreichischen Kunst- und Kulturbereich. Abermals meldeten sich unzählige Betroffene. Gerade ein Bereich, der sich für äußerst progressiv und aufgeschlossen hält, scheint hier starke blinde Flecken aufzuweisen. Wie steht es um Sexismus und Übergrifflichkeiten in der freien Kultur? Was kann man dagegen tun?