„Kultur ist Dünger für den Tourismus“

Dass das kulturelle Erbe und bestimmte Festivals tourismusrelevant sind, ist nichts Neues. Dass ein Teil der staatlichen Kulturförderung daher seit Langem Wirtschaftsförderung ist, hat schon Generationen von Kulturschaffenden und ihre Interessenvertreter/innen auf die Palme (sic!) gebracht.

Annäherungen zwischen Basiskultur und Tourismus. 

Das titelgebende Statement des vorliegenden Artikels stammt von der Tiroler Kulturlandesrätin Beate Palfrader. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so utilitaristische, Aussagen gibt es aus der Wissenschaft: Landschaft und Kultur seien die „wesentlichste Ressource vielfältiger Tourismusbemühungen“ (Wimmer 2011, 40), sie seien dadurch ein Wirtschaftsfaktor geworden. Dass das kulturelle Erbe und bestimmte Festivals tourismusrelevant sind, ist nichts Neues. Dass ein Teil der staatlichen Kulturförderung daher seit Langem Wirtschaftsförderung ist, hat schon Generationen von Kulturschaffenden und ihre Interessenvertreter/innen auf die Palme (sic!) gebracht. Doch mittlerweile scheint es so, als interessierten sich Tourismus-Verantwortliche verstärkt für Formen und Angebote der Kultur, wie Kulturinitiativen sie hervorbringen – auch wenn diese als „Highlights“ apostrophiert werden und nicht als regionale Angebote der „Alltagskulturschaffenden“ im Austausch mit überregionalen Künstler/innen. Vor wenigen Jahren noch traf ein vorsichtiger Annäherungsversuch von Kulturverantwortlichen aus dem Bereich der Basiskultur an Interessenvertreter/innen des Tourismus auf Ratlosigkeit. Was hat sich geändert? Hat sich überhaupt etwas geändert?

Das Verhältnis von Basiskultur und Tourismus im Wandel

Geändert haben sich in jedem Fall die touristischen Angebote. Es gibt sie nun nicht mehr nur in den klassischen Ski-Orten und Sommerfrischen, es gibt sie weltweit in steigender Qualität und mit steigender Marktpräsenz. Für die österreichischen Touristiker/innen hat sich also die Konkurrenzsituation grundlegend geändert. Auch massive Investitionen heben ein Tourismus-Ressort von einem anderen nicht mehr ab, denn Geld wird auch anderswo investiert, Superlative werden schnell von einem weiteren Superlativ überlagert.

Und so schreibt eine viel beschäftigte, auf Tourismus spezialisierte Unternehmensberatung: „Hochentwickelte Länder, Städte und Regionen haben es im globalen touristischen Wettbewerb besonders schwer, sich neben den neu aus dem Boden schießenden, preisgünstigen Urlaubsdestinationen erfolgreich zu behaupten. Ihr oft umfangreiches kulturelles Erbe und ihr originäres Kultur- und Kunstschaffen werden in einer verschärften Wettbewerbssituation zum Potential für attraktive, kulturtouristische Reiseangebote und ermöglichen eigenständige kulturelle und kulturtouristische Positionierungen, die von Billigdestinationen des Ferientourismus nicht nachgeahmt werden können.“ (Invent GmbH, www.invent.or.at)

Marktforschung und Sozialwissenschaft haben nämlich auch Fortschritte gemacht, und so suchen Touristiker/innen auch mit ihrer Hilfe nach den Gästen für die kommenden Jahre. Gestützt auf das „Modell der Sozialen Milieus“ nach Ueltzhöffer/Flaig (auch bekannt als Sinus- oder Sigma-Milieus) und auf eigene Befragungen wird nach Werthaltungen und Vorlieben von (potenziellen) Gästen geforscht. Die Milieus gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln: Die grundlegende Wertorientierung geht dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum. Gestützt auch auf die Erkenntnis, dass Potemkin’sche Dörfer überall aufgestellt werden und daher dem Konkurrenzdruck kaum standhalten können, suchen Touristiker/innen mittlerweile nach dem, was in ihrer Region tatsächlich vorhanden und „nachhaltig“ verkäuflich ist, was also nicht binnen Kurzem „vernutzt“ und aufgebraucht ist. Für Marketingzwecke ist natürlich auch ein Alleinstellungsmerkmal von Bedeutung. Schließlich geht es um den „kaufentscheidenden Unterschied“.

Vorarlberg Tourismus hat in einer Gästebefragung (2008) festgestellt, dass acht Prozent der Gäste in Vorarlberg aufgrund eines kulturellen Interesses nach Vorarlberg kommen. Von allen Gästen, die in Vorarlberg Urlaub machen, interessieren sich 42 Prozent „auch“ für Kultur. Diese Daten erinnern deutlich an die Ergebnisse der IFES Kulturstudie von 2008, nach der rund die Hälfte der Menschen (in Österreich) sich für Kulturangebote interessieren und sie nutzen, nach der aber nur fünf bis zehn Prozent Vielnutzer/innen sind. Insoweit gibt es zwischen Wohnbevölkerung und Gästen keinen Unterschied.

An dieser Stelle drängen sich einige Fragen auf: (1) Für wen werden Kulturveranstaltungen konzipiert? (2) Wie unterscheiden sich die kulturellen Bedürfnisse der ansässigen Bevölkerung von jenen der Tourist/innen? (3) Wer zahlt wofür, für wen, wie viel?

Kulturveranstaltungen für wen?

Ad (1) Grundsätzlich wird jede/r Kulturveranstalter/in, seien es die Bregenzer Festspiele, das Poolbar Festival oder die Szene Lustenau, auf die Frage, für wen ihre Kulturveranstaltungen konzipiert sind, antworten, ihre Programme seien für alle da, egal ob einheimisch, zweiheimisch oder Gast. Der Wunsch, alle oder möglichst viele anzusprechen, gründet in einem sozialen und in einem finanziellen Interesse. Ob dabei das soziale Interesse fundiert verankert ist und seinen Niederschlag im Programm sowie in den Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen findet, kann hier offen bleiben. Dass Programmentscheidungen – auch wenn sie von demokratisch organisierten Programmgruppen in Kulturinitiativen gefällt werden – Aspekte des Marketings beinhalten, ist gleichwohl ein Faktum.

In einem weiteren Punkt gibt es vergleichbare Rahmenbedingungen für kleine und große Veranstalter/innen: Viele bringen ein Breitenprogramm, damit die speziellen Programminhalte „leistbar“ werden, unabhängig davon, ob der Benefit konkret in Einnahmen besteht wie bei der Seeaufführung der Bregenzer Festspiele oder im Renommee der Auslastungs- bzw. Besucher/innenzahlen, die zu kulturpolitischer Anerkennung und in der Folge zu positiven Förderentscheidungen führen. Hier spielt die finanzielle Abhängigkeit der Kultureinrichtungen von Förderungen und Karteneinnahmen eine Rolle. Je stärker diese aufgrund der Größe der Einrichtung ist, desto geringer sind die Spielräume für „abwegige“ Entscheidungen. Auch an einem Image als basisorientierte und von kommerziellem Interesse unbeeinträchtigte Einrichtung muss zumindest hart gearbeitet werden.

Unabhängig davon jedoch, ob eine Kultureinrichtung bei Hunger auf Kunst und Kultur aus Gründen der sozialen Zugänglichkeit oder aus Gründen des Images („CSR“) mitmacht, das Programmangebot für Leute, die sich Kulturangebote sonst nicht leisten können, verbreitert sich dadurch.

Natürlich überlegen sich alle Kultureinrichtungen, wer ihr Publikum eigentlich ist, wie es denkt und fühlt. Alle wollen weitere soziale Milieus ansprechen, doch bei der Überlegung, welche dies nun sein sollen, gibt es zweifellos beträchtliche Unterschiede. Noch weiter gehen die Überlegungen in der Frage auseinander, wie der Kontakt, die Auseinandersetzung, die Einbindung erfolgen sollen. Kulturinitiativen produzieren also bewusst für soziale Milieus, die als kulturfern gelten und schwierig anzusprechen sind, oft wird als Vehikel die Schule einbezogen. Der Empowerment-Gedanke ist dabei ständig präsent. Kultureinrichtungen, die einem großen Konformitätsdruck ausgesetzt sind, weil sie besonders viele Besucher/innen brauchen, konzentrieren ihre Überlegungen darauf, wo genau diese zu finden sind – unabhängig vom sozialen Milieu.

Differenzen zwischen ansässiger Bevölkerung und Tourist/innen?

Ad (2) Die kulturellen Bedürfnisse der Wohnbevölkerung unterscheiden sich nicht zwingend von jenen der touristischen Gäste. Für alle ist es ein gutes Gefühl, wenn kulturelle Angebote greifbar sind, unabhängig davon, ob sie auch genutzt werden. Sofern nicht nur in der Wohnbevölkerung, sondern auch unter den Gästen alle sozialen Milieus vertreten sind, gleichen sich auch die Bedürfnisse. Wenn sich die Tourismuswirtschaft in Vorarlberg jedoch bemüht, bestimmte Milieus als Gäste anzusprechen, so sind das vor allem jene in der oberen Hälfte der Einkommensschichtung, weil diese für Kurz- und Kongressreisen (Hauptgeschäft) besser ansprechbar sind. In diesen Milieus sind auch die höher Gebildeten zu finden, die auch im Alltag am ehesten zu den Vielnutzer/innen der Kulturangebote zählen. Es liegt also der Schluss nahe, dass der kulturinteressierte Anteil an der Bevölkerung der wichtigsten Zielgruppe der Gäste gerade in Bezug auf die kulturellen Interessen durchaus gleicht. Demnach macht es wenig Sinn, spezielle Angebote für Tourist/innen zu schneidern. Wie die bestehenden Angebote kommuniziert und vermittelt werden, ist eine andere Frage. Wenn sich der Tourismus darauf konzentriert, Gäste anzusprechen, die sich dafür interessieren, wohin sie fahren (die nicht nur Sonne, Meer und billigen Alkohol suchen), dann darf auch von einer Entdeckungslust, von Interesse für Nischen und für Ereignisse abseits des Mainstreams ausgegangen werden. Das lokale (freie) Radio oder ein gerade stattfindendes Lyrik-Festival kann für Gäste genauso interessant sein wie für Ortsansässige. Sie haben sogar mehr Zeit dafür, weil sie gerade Urlaub machen (auch die Ortsansässigen haben in ihren Ferien, wenn sie woanders sind, mehr Zeit).

Das kulturelle Image einer Region wird künftig weniger von Hochkultur-Festivals abhängen, auch wenn diese jetzt noch als Tourismus-Magneten für eine bestimmte Altersgruppe funktionieren. Andere Musikfestivals ziehen nicht weniger Menschen an, diese residieren bislang jedoch nicht unbedingt in Hotels. Die Ausstrahlung von Offenheit, Vielfalt und Kulturalität wird künftig vielmehr durch ein queer-feministisches Festival, einen DIY-Design-Wettbewerb und „öffentliche Wohnzimmer“ erzeugt, wo es unabhängig von konkreten Programmen interessant und angenehm ist, Zeit zu verbringen.

Wer zahlt wofür, für wen, wie viel?

Ad (3) Wenn die Tourismuswirtschaft nun auf der Kulturalität einer Region aufbaut und diese samt den ehrenamtlich und den (unter-)bezahlt tätigen Kulturschaffenden (siehe www.igkultur.at/projekte/fairpay) verkauft und damit einen guten Teil ihrer Profite erzielt: Wäre es dann nicht gerechtfertigt, wenn der Tourismus für Kultur ebenso Mittel beisteuert wie etwa für Skilifte und Schneekanonen? Die wichtigsten Ressourcen der Kulturinitiativen sind derzeit die ehrenamtliche Arbeit und öffentlichen Kulturförderungen. Fragen Kulturschaffende bei Tourismus-Verbänden (oder zum Beispiel beim Stadtmarketing) um finanzielle Unterstützung nach, wird derzeit ohne Umschweife auf die Zuständigkeit der Kulturabteilungen verwiesen.

Juliane Alton ist Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg und im Vorstand der IG Kultur Österreich.

Literatur

Wimmer, Michael (2011): Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung der Kulturpolitik in Österreich. Innsbruck/Wien/Bozen (Studienverlag).

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