Einladung zur Kulturflucht. Kulturprojekte für Jugendliche der Zweiten Generation

Der österreichische Staat bezeichnet als wichtiges Integrationskriterium die Vertrautheit mit der österreichischen Kultur (insbesondere mit der deutschen Sprache, aber auch mit "Sitten und Gebräuchen"). Die kulturellen Unterschiede werden dabei häufig als unüberwindbare Hindernisse für die Integration "Fremder" dargestellt. Was bleibt aber von der Kultur über, wenn man die Sprache abzieht?

I want to be the minority
I don't need your authority
down with the moral majority
'cause I want to be the minority.

Green Day

Die Zeitschrift "Polonika", das Medium der polnischen Gemeinde in Österreich, kündigt auf dem Titelblatt der November-Ausgabe das Thema Zweite Generation an: Vater Pole, Sohn Österreicher. (Mutter und Tochter fehlen hier, was leider zum Programm der Zeitschrift dazugehört.) Die Autorin (sic!) des Beitrags setzt sich mit einer offensichtlich schmerzhaften Frage auseinander, die viele polnische Eltern der Zweiten Generation beschäftigt: warum wollen unsere Kinder mit der nichts zu tun haben? Warum weigern sie sich, ihre Muttersprache zu sprechen, warum ist es ihnen so wichtig, nicht als Fremde erkannt zu werden?

Die Problematik der Jugendlichen wird hier als eine rein individuelle Suche nach Identität geschildert, die oft erst auf Umwegen "gefunden" wird, wozu auch eine Portion Glück gehört. Das entspricht ganz der polnischen Tradition der Romantik. In der Folge wird nach dem Anteil der "nicht integrierten" Kinder gefragt, die in Österreich leben. Als "nicht integriert" werden die Jugendlichen beschrieben, die Schwierigkeiten mit der Berufsfindung haben. Dass dies aber andere als kulturelle Ursachen haben könnte, wird verschwiegen - vielleicht aus Höflichkeit, die von Gästen in einem fremden Land erwartet wird. Jedenfalls, wird im Artikel mehrmals betont, hat die Desintegration nichts mit schlechten Deutschkenntnissen der Jugendlichen zu tun.

Beklagen die Eltern die Ablehnung der polnischen Kultur durch ihre Kinder, verklären sie damit die tatsächliche Problematik: die benachteiligte soziale Stellung, die die Berufswahl erschwert und im Extremfall der Illegalisierung nur Hilfsjobs am Schwarzmarkt bereithält: Die Möglichkeit, einen legalen Arbeitsplatz zu bekommen, ist an ein gültiges Aufenthaltsdokument gebunden. Wenn dieses fehlt, bleibt auch Jugendlichen, die in Österreich aufgewachsen sind und die Schule besucht haben, der offizielle Arbeitsmarkt verschlossen. In der Diskussion scheint es aber um eine rein kulturelle Identitätsfrage zu gehen: wie fühlen sich die Jugendlichen, als PolInnen oder als ÖsterreicherInnen? Wie relevant ist diese Frage aber für sie selbst?

Das Beharren auf die Erhaltung der eigenen Kultur (in diesem Fall: Sprache) seitens der polnischen Eltern ist nur eine Spiegelung dessen, was von der österreichischen Öffentlichkeit "gesendet" wird. Nach dem Rassismus, der auf dem Äußeren der Menschen beruht, kommt gleich der sprachliche: Kaum wird ein fremder Akzent bemerkt, muss die Person sich sofort legitimieren, manchmal auch ihre Lebensgeschichte erzählen. Das legt die Hierarchie im Gespräch fest. Die Tatsache, (noch) eine andere Sprache als Deutsch sicht- und hörbar zu verwenden, scheint nicht unbedingt vorteilhaft. Wäre es sonst so schwierig, zweisprachige Ortstafeln in der österreichischen Kulturlandschaft aufzustellen?

Der österreichische Staat bezeichnet als wichtiges Integrationskriterium die Vertrautheit mit der österreichischen Kultur (insbesondere mit der deutschen Sprache, aber auch mit "Sitten und Gebräuchen"). Die kulturellen Unterschiede werden dabei häufig als unüberwindbare Hindernisse für die Integration "Fremder" dargestellt. Was bleibt aber von der Kultur über, wenn man die Sprache abzieht?

Oder anders gefragt: Welche Angebote hält die Mehrheitsgesellschaft für die Jugendlichen der Zweiten Generation bereit, die mit der österreichischen Sprache aufgewachsen sind?

Gehen wir davon aus, dass sie tatsächlich "zwischen den Kulturen" aufwachsen, so stellt sich immer noch die Frage, ob sie denn auch "zwischen den Kulturen" wählen müssen oder wollen. Das Konzept des "Dazwischen", einer neu entstehenden, hybriden Kultur, wird von vielen in Frage gestellt (Gutiérrez Rodríguez, Wagner). Es trägt eine Kulturalisierung in sich, die auf einem vermeintlichen Defizit konstruiert ist. Der Wunsch, sich in möglichst vielen kulturellen Feldern zu bewegen und nicht erneut auf ein bestimmtes festgelegt zu werden, könnte viel stärker sein, weil er das Angebot der Unabhängigkeit bereithält.

Die Gestalt des Global Citizen, die auch schon im populären Feuilleton anzutreffen ist, scheint im Gegensatz zu den ewig in Kulturalisierung gefangenen MigrantInnen der Zweiten Generation tatsächlich die attraktivere zu sein. copy.jet2web.zukunftsmagazin etwa titelte im Oktober: "New economy und new media formen einen neuen Menschen". Im Text wird der "Global Citizen" als ein Mensch beschrieben, "der sich der Welt mit dem Verständnis nähert, nirgends ganz zu Hause aber überall dort zugehörig zu sein, wo es ihm passt." Der Erfahrung, zwischen den Kulturen zu leben, soll die Überzeugung folgen, überall dazugehören zu können. Das ist auch eine Form von "Kulturlosigkeit".

Jedenfalls ist die Orientierung an wie auch immer definierter "Leit-" oder "Essenzkultur" schwer vorstellbar. Der Versuch, für Deutschland eine "Leitkultur" zu definieren und sie ZuwanderInnen als Norm vorzusetzen, darf als gescheitert bezeichnet werden. Ebenso wenig ist aber aus "Multikulturalität" ein anwendbares politisches Konzept geworden (s. Wagner). Übrig bleibt die Frage, inwieweit ZuwanderInnen Raum, Zeit und Ressourcen zugestanden werden, ihre eigene Auffassung von Kultur in die Diskussion einzubringen.

Stattdessen werden die in Österreich lebenden Menschen ausländischer Herkunft weiterhin als "TouristInnen" angesehen: die eine, willkommenere Gruppe, lässt hier ihr Geld zurück, die andere, weniger willkommene, erwirtschaftet es in Österreich. Was diese beiden Gruppen jedoch verbindet, ist die Sicherheit, dass sie irgendwann nach Hause fahren werden.

TouristInnen können aber ganz schön sesshaft werden (sie wollen immer noch eine Woche länger bleiben) - ganz im Gegensatz zu Nomaden. Sich als solche zu definieren mag der Zweiten Generation attraktiv erscheinen, ebenso wie sich als Teil der "Global Culture" zu begreifen. Es bleibt aber trotzdem ein sehr elitäres Konzept, das nur den materiell und rechtlich abgesicherten Jugendlichen selbstverständlich zur Verfügung steht.

In den letzten Jahren sind einige Initiativen und Projekte entstanden, die auf die Bedürfnisse von Jugendlichen der Zweiten Generation eingehen und sie in den öffentlichen Diskurs einbinden wollen. Der Verein Echo, Herausgeber der ersten Zeitschrift von und für die Zweite Generation in Österreich bietet Jugendlichen viele Möglichkeiten zur Beteiligung an medien- und öffentlichkeitsorientierten Projekten (s. auch: www.echo.non.at). Das Projekt Dezentrale Kunst hat eine Zusammenarbeit von Künstlerinnen mit Echo angeregt, ein Video- und Fotoprojekt (In Zusammenarbeit mit der KünstlerInnengruppe gangart und Simone Bader, Anna Kowalska) war das Ergebnis (vgl. auch Eva S.-Sturm, In Zusammenarbeit mit gangart. Zur Frage der Repräsentation in Partizipations-Projekten, in: Kulturrisse 02/01, S.11-13). Aus dieser Initiative hat sich wiederum das Projekt Dezentrale Medien entwickelt, ein Angebot für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund, die den zweiten Bildungsweg (Hauptschulabschluss) an einer Volkshochschule absolvieren. Auch der Wiener Integrationsfonds hat die Notwendigkeit von Schulungsmöglichkeiten für die Zielgruppe Zweite Generation erkannt und das Projekt "interface" im siebten Wiener Gemeindebezirk gegründet, das sich vor allem durch die Bereitschaft auszeichnet, neue Technologien an Jugendliche zu vermitteln.

Nun sehen sich diese Projekte, besonders wenn sie den Anspruch eines Kulturprojekts haben, mit einigen Problemen konfrontiert. Die erste Schwierigkeit liegt im Titel selbst: Bringt man Jugendliche in Projekten für die Zweite Generation zusammen, so erinnert man sie zuerst nur an die Tatsache, einer Minderheit anzugehören. Das Desinteresse (= die Toleranz) majoritäter Jugendlicher verstärkt dieses Empfinden nur. Das Interesse, das den angesprochenen Jugendlichen der Zweiten Generation von ein paar Kunst- und Kulturinteressierten entgegengebracht wird, wird sehr unterschiedlich bewertet, vor allem weil es eigentlich nicht nachvollziehbar ist und dem Wertesystem der meisten Jugendlichen nicht enspricht. Die Anerkennung Gleichaltriger und die Aussicht auf ein hohes Einkommen sind da bedeutend wichtiger. Das wichtigste Ziel ist es, den eigenen Wert im System zu behaupten, die eigene Existenzberechtigung zu beweisen, dem rassistischen System zum Trotz.

Dabei sieht es fast so aus, als ob die Zweite Generation, sofern sie im Lande bleibt, in die Fußstapfen ihrer Eltern (also auf der Stelle) treten sollte, ginge es nach dem Willen des Gesetzgebers. Derzeit gibt es in Österreich keine Fördermaßnahmen, die explizit die Zweite Generation beim Erwerb akademischer Grade unterstützen würden. Die integrativen Bildungsmaßnahmen für SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache hören auf dem Niveau des Hauptschulabschlusses auf. In der Politik sind MigrantInnen der Zweiten Generation (mit österreichischem Pass) nur vereinzelt vertreten, und wenn, dann höchstens auf lokaler Ebene. Dafür gibt es weiterhin rassistische Gesetze, die den Zugang zu Arbeit, Bildung und Wohnung erschweren. Der Alltagsrassismus erschwert einer noch viel größeren Gruppe der Migrantinnen aller Generationen das Leben, unabhängig von ihrem rechtlichen Status.

Ein Weg, das Ausländerbeschäftigungsgesetz zu umgehen (neben dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft), ist es, selbst UnternehmerIn zu werden. Diesen Weg wählen viele und machen sich damit auch von rassistischer Diskriminierung als ArbeitnehmerInnen frei. Auch viele der Jugendlichen überlegen diesen Schritt, denn: "Die nervösen Knarrencaballeros auf hohem Plastikplateau wollen sich jene Kapitaldecke holen, von der sie glauben, dass sie ihnen im Rattenrennen um Jobs und Ausbildungsplätze verwehrt wurde."

Wie Jugendliche auf der ganzen Welt wollen auch sie auf keinen Fall so werden wie ihre Eltern; in ihrem Fall heißt das aber: nicht mehr isoliert und verachtet, vom Staat gegängelt und jahrelang in Unsicherheit und Armut gehalten zu werden.

Welche Rolle können also die ihnen angebotenen Medien- und Kulturprojekte übernehmen?

Deren Attraktivität besteht hauptsächlich in dem ungewöhnlichen Angebot, technische Fähigkeiten zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt verwertbar scheinen: Der Umgang mit der Videokamera, die Gestaltung einer Website, die Redaktion einer Zeitschrift sind Übungen, die den Schritt ins Berufsleben erleichtern können.

Dass solche Projekte von den Geld gebenden Institutionen als Vorzeigeaktivitäten ihrer "Integrationsarbeit" vereinnahmt werden, sollte verhindert werden. Auch die gelungensten Kulturprojekte mit Betroffenen ersetzen nicht die Diskussion der diskriminierenden strukturellen Bedingungen und ebenso wenig ein Konzept für eine Politik, die die Beteiligung minoritärer Gruppen in der medialen Öffentlichkeit vorsieht.

Anna Kowalska ist Künstlerin und lebt in Wien.

Literatur:

Gutiérrez Rodríguez, Encarnación: Intellektuelle Migrantinnen - Subjektivitäten im Zeitalter der Globalisierung. Geschlecht und Gesellschaft 21, leske + budrich, 1999

Wagner, Bernd: "Multikultur" als Aufgabe kulturpolitischen Handelns in Zeiten der Globalisierung. In: Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Hrsg.: Wagner Bernd, Klartext Verlag, Essen 2001

Zaimoglu, Feridun: Kopf und Kragen. Kanak-Kultur-Kompendium. S. Fischer TB, 2001

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