World-Information City. Die indische IT-Metropole Bangalore ist Schauplatz eines World-Information.Org-Projekts

Die Hauptabsicht von TRIPS besteht in einer weltweiten Stärkung und Vereinheitlichung von geistigen Eigentumsrechten. Es überrascht wenig, dass das Abkommen jene Firmenimperien und Staaten begünstigt, die gegenwärtig den Markt der Patente, Copyrights, Handelsmarken kontrollieren.

Es musste schnell gehen. Am 31. Dezember 2004 endete für Indien die Frist für die Implementierung des globalen IP Regimes TRIPS (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights). Aufgrund vielfältiger Widerstände innerhalb und außerhalb des Parlaments konnte die notwendige Gesetzesänderung nicht über das herkömmliche parlamentarische Verfahren durchgeführt werden, sodass der indische Regierungschef am 26. Dezember die dritte Änderung des indischen Patentrechtes schlichtweg per Erlass verfügte. Ein Schritt, der die Kontroversen um die Desiderata einer "globalen Informationsgesellschaft", die sich insbesondere an der Frage teilen, ob Wissen als privatwirtschaftliches Produkt oder als allgemein verfügbare Ressource behandelt werden soll, auf einen neuen Höhepunkt trieb.

Die Hauptabsicht von TRIPS, das seit der Uruguay-Runde für alle WTO-Mitgliedsstaaten verpflichtend ist, besteht in einer weltweiten Stärkung und Vereinheitlichung von geistigen Eigentumsrechten. Es überrascht wenig, dass das Abkommen jene Firmenimperien und Staaten begünstigt, die gegenwärtig den Markt der Patente, Copyrights, Handelsmarken kontrollieren. Dies tun sie freilich auf Kosten des "Rests der Welt", wenn etwa der Zugang zu Wissen, Technologien oder durch hohe Lizenzgebühren belastete Medikamenten versperrt wird. Oder wenn, wie im Fall vieler Länder des Südens, traditionelle Verfahren und Wissen durch internationale Patente enteignet werden (Biopiraterie). "Geistige Eigentumsrechte werden zunehmend zu einem Spiel, in dem die Reichen immer neue Formen finden, die Armen auszurauben", bemerkte dazu Peter Drahos, mit John Braithwaite Autor von Information Feudalism: Who Owns the Knowledge Economy? in einer World-Information.Org-Publikation zum Thema IP. Neben Kultur und Wissenschaft erweist sich TRIPS im Zusammenhang mit lebenswichtigen Pharma-Erzeugnissen als besonders folgenreich. Denn hier ist die Frage der Verfügbarkeit von Heilmitteln tatsächlich eine Frage des Überlebens.

Seit Jahren boten "nachgebaute" Medikamente, so genannte Generika, eine Ausweg aus dieser tödlichen Hochpreis-Falle. Weltmarktführer ist dabei Indien gewesen, dessen Patentrecht bis vor kurzem nicht die im Westen üblichen Produktpatente, sondern nur Prozesspatente kannte – eine Besonderheit, welche in den 1980er und 1990er Jahren zu einem lebhaften Wettbewerb um billigere Herstellungsverfahren führte. Mit indischen Generika war es etwa möglich, die Kosten von anti-retroviralen Therapien von 12.000 auf 140 US-Dollar pro Jahr zu senken. Damit dürfte es nun vorbei sein, wobei die Folgen höherer Medikamentenpreise vor allem Menschen in Afrika zu tragen haben werden – jene "Armen und Leidenden", für welche die offiziellen Moral-Inszenierungen, wie sie am Anfang des Jahres 2005 am Weltwirtschaftsforum in Davos vorgeführt wurden, blanker Hohn sein müssen: Zur Besiegelung des Status Quo gehört immer mehr auch "Herrenmoral", die von den Gipfeln herab die "Konvergenz von Ethik und Wirtschaftsinteressen" (Jacques Chirac) verkündet.

Weit unten im Süden, in der indischen "IT-Hauptstadt" Bangalore, gehört das Alternative Law Forum zu jenen NGOs, die gegen die Demontage der Generika-Produktion initiativ geworden sind. Die Global Campaign Against Indian Patent Amendment wirft der Regierung vor, noch über die TRIPS-Standards hinauszugehen und Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Mächten des globalen IP-Business nicht genutzt zu haben. Das ALF ist ein Drehkreuz kritischer unabhängiger IP-Forschung, in der eine Gruppe smarter JuristInnen und AktivistInnen die Ökologie des Wissens dort erforscht, wo die meisten Menschen leben, nämlich der "grauen Wirtschaft", dem informellen Sektor, der von keinerlei Wirtschafskenndaten erfasst wird und wo "Open Source" als Konzept des Wissensaustausches schon eine lange Geschichte hat.

Seit 2004 ist das ALF ein Kooperationspartner von World-Information.Org im EU-gesponserten "World-Information City"-Projekt, das im November 2005 in der "IT-Hauptstadt" Indiens eine Reihe von diskursiven und künstlerischen Interventionen vorbereitet. Kaum ein anderer Ort ist vorstellbar, an dem die gesellschaftlichen Konflikte und Verwerfungen an der Schnittstelle von postmoderner Informatisierung sowie europäischen und traditionellen sozio-ökonomischen Strukturen deutlicher sichtbar wären.

Die Hauptstadt des Staates Karnataka, geschichtlich bedeutend als Militärstützpunkt, liegt inmitten einer trockenen Hochebene und verdankt seine Verkabelung der Pest-Epidemie von 1898, als in der Stadt im Zuge der Koordination der Hilfsmaßnahmen an das Telefonnetz angeschlossen wurde. In der Folge wurde die heute 3 Millionen EinwohnerInnen zählende "Garden City", wie sich die Stadt wegen der in den 1960er Jahren angelegten großzügigen Grünflächen und des frühlingshaften Klimas gerne nennt, zu einem wichtigen Standort einer militärisch orientierten Elektronik- und Flugzeugindustrie. Seit den späten 1990er Jahren ist Bangalore das Zentrum der IT-Industrie und wird von vielen, passend zur entwicklungspolitischen Logik des Nachahmens und Aufholens, als "Silicon Valley" von Indien bezeichnet. Bangalore dient neben einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen globalen IT-Giganten wie Infosys, IBM, Intel, Google, Siemens, Sun, etc. als Stützpunkt. Billige englischsprachige Arbeitskräfte und gute Infrastruktur zogen zunächst die Business Process Outsourcing-Branche nach Indien, wo ein Heer junger, motivierter, und nicht gewerkschaftlich organisierter "Techno-Kulis" für Großunternehmen Reservierungen vornahm, Daten eintippte, und Beschwerden im passenden US- oder britischen Akzent und mit indischer Höflichkeit entgegen nahm. Bangaloring wurde zum Synonym für das Auslagern der low end-Tätigkeiten der Informationsgesellschaft.

Mittlerweile siedelt das IT-Business aber auch wegen der high end skills nach Bangalore, wie etwa vor kurzem Philips. "Nirgends auf der Welt, nicht einmal in Silicon Valley selbst, finden diese Firmen einen derartig dichten Pool an billigen Einsteigern vor, die rasch auf die jeweils gewünschten Unternehmensziele hin geschult werden können" erklärt dazu Solomon Benjamin, der sich seit Jahren mit den urbanen Strukturen Bangalores auseinander setzt und an World-Information City mitwirkt.

Neben Technologie und Arbeit, so Benjamin, wird ein dritter Bereich immer wichtiger, der die IT-Mogule, aber auch FinanzdienstleisterInnen nach Bangalore zieht: Immobilien. Benjamin, der mit dem ALF die Planungsorganisationen und Gesetze untersucht hat, welche die Vergabe von Grundstücken an der Peripherie Bangalores regeln: "Grundstücke können zu extrem niedrigen, öffentlich subventionierten Preisen erworben werden. Die Immobilienfirmen arbeiten dabei mit Finanz- und IT-Unternehmen zusammen. Die betroffenen Grundstücke können nicht mehr landwirtschaftlich oder für Siedlungszwecke genutzt werden. Daraus entstehen starke soziale Konflikte". Diese betreffen den Zugang zu Wasser und Boden, aber auch die Verkehrsinfrastruktur, die auf die Erfordernisse der Standortpolitik zugeschnitten ist. Die von der sozialistisch orientierten Nehru-Regierung in den 1950er Jahren eingeführten Gesetze, welche die Enteignung von Grundstücken zum "Wohl des Volkes" erleichterten, arbeiten nun direkt in die Hände global ausgreifender Partikularinteressen. Wie kaum anderswo werden in Bangalore so auch die Dysfunktionen einer vor-informationellen Kritik deutlich, treten die Synkretismen einer nach-ideologischen politischen Verfasstheit hervor. Die Garden City als Global City.

Doch nicht nur die kommerziellen Machtzentren des IT-Business sind in Bangalore zu Hause. Mahiti etwa, der IT-Ableger einer großen NGO, spezialisiert sich in preisgünstigen ICT-Services für AnwenderInnen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich. Seit drei Jahren hat die Firma Applikationen für 50 verschiedene Organisationen entwickelt und ist ein lebendiges Beispiel dafür, dass FLOSS (Free / Libre Open Source Software) für konkrete Projekte umgesetzt und kommuniziert werden kann, ohne in die Sackgasse einer "nerdish" gewendeten Expertenkultur zu geraten. Besonders die Entwicklung der Web Application Software ZOPE, die immer mehr zum wichtigen Kommunikationstool einer kritischen Öffentlichkeit wird, steht im Mittelpunkt der Arbeit von Mahiti.

Die 570 alleine im Staat Karnataka aktiven sozial ausgerichteten NGOs sind nicht nur das organisatorische Rückgrat einer äußerst vielfältigen Bewegung für neue Modelle der Eigenmacht im Spannungsfeld divergierender Interessen, sie sind auch ein Zeugnis dessen, dass gerade in der Divergenz von Wirtschaftsinteressen und Ethik, anders als die Stars des Weltwirtschaftsforums in Davos einander versicherten, Chancen auf eine gerechtere Informationsgesellschaft zu finden sind.


Einen näheren Eindruck vom Stand dieser Debatte wird man sich von 20. bis 21. Juni 2005 bei der World-Information City-Veranstaltung in Wien verschaffen können.


Links

Towards a Culture of Open Networks

Alternative Law Forum

Affordable Medicines and Treatment Campaign

Mahiti


Wolfgang Sützl ist Politikwissenschafter und Philosoph, Chief Researcher von World-Information.Org.

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