The Union makes us strong? Zum Dauerschlaf des ÖGB nach der Rückkehr des Klassenfeinds

Wer glaubt, die von der rechtsradikalen Wende in Europa von der Macht geschwemmten sozialdemokratischen Parteien würden jetzt die Opposition nutzen, um wieder zu einer linken Position zu finden, wird derzeit eines besseren belehrt.

Wer glaubt, die von der rechtsradikalen Wende in Europa von der Macht geschwemmten sozialdemokratischen Parteien würden jetzt die Opposition nutzen, um wieder zu einer linken Position zu finden, wird derzeit eines besseren belehrt. Österreich, das Musterland des normalisierten Rechtsradikalismus, bietet auch für sozialdemokratische Hilflosigkeit das beste Beispiel: Die nächsten Wahlen stehen fast schon wieder vor der Tür, und die SPÖ ist immer noch nicht über ihren neoliberalen Regierungsschatten gesprungen. Ihr Vorsitzender, der in Rekordzeit das Kunststück vollbracht hat, die SPÖ von links kommend rechts zu überholen, nennt das "solidarische Hochleistungsgesellschaft". Andreas Unterberger lobt Gusenbauer inzwischen in der Presse für seine Wirtschaftsfreundlichkeit. Kein Wunder, Gusenbauer lässt ja vor allem durch flammende Plädoyers für das Nulldefizit aufhorchen. Den neo-liberalen Konzepten kann oder will er nichts entgegensetzen. Dafür beklagt er sich über die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung wie über das Wetter: "soziale Kälte" ist der härteste Vorwurf, den sich die SPÖ rhetorisch herausnimmt.

Blickt man von der SPÖ zum ÖGB, wird einem auch nicht wärmer. Während Gusenbauer in eine Art zweiten Vranitzky zurückmutiert, ist der einzige, dem Fritz Verzetnitsch immer ähnlicher wird, er selbst. Je weniger die Sozialpartnerschaft real funktioniert, desto mehr wird Verzetnitsch zu jenem Mustersozialpartner, der er schon immer war. Und je hilfloser der ÖGB wird, desto mehr zeigt sich, was dieser innerhalb der neokorporatistischen österreichischen Harmonie zwischen Staat, Arbeit und Wirtschaft schon immer war: eine Schmuse- und Streichelgewerkschaft mit ausgeprägter Konsensneurose. Gerade die lächerlich konsequenzlose "Urabstimmung" im vergangenen Herbst hat das bestätigt: als ein verräuspertes Brüllen, von dem bereits vorher klar war, dass kein Beißen folgen wird. Selbst die damalige Überlegung des stellvertretenden FP-Vorsitzenden Gorbach, Gewerkschaften doch überhaupt abzuschaffen, löste bei diesen kaum Protest aus. Warum dann nicht gleich die Selbstabschaffung?

Verzetnitsch wäre für die Abwicklung des ÖGB der perfekte Administrator. Tatsächlich wird an Gorbachs glänzender Idee de facto ja schon gearbeitet, nämlich von der Gewerkschaftsführung selbst, die ihre angebliche "Kampforganisation" durch politische Untätigkeit in die Bedeutungslosigkeit katapultiert hat. Man hechelt einer Regierung und einem Wirtschaftsbund hinterher, von deren good cop/bad cop-Strategie man nur gedemütigt wird (s. Hauptverbandsputsch) und verhandelt mit Sozi- und Gewerkschaftsfressern so, als säße man noch Rudolf Sallinger bei einem Glaserl Wein gegenüber. Und das in einer Zeit, in der selbst der pensionierte Industriellenchef Herbert Krejci die Regierung härter anfährt als der amtierende Präsident des Gewerkschaftsbundes. Ich weiß nicht, wen sich Verzetnitsch für seine Arbeit zum Vorbild erkoren hat, aber sein Elan und Erneuerungswille legt den Verdacht nahe, es könnte der lebendig einbalsamierte Breschnjew aus der Phase der Stagnation sein. Der ÖGB hat einen politischen Zombie zum Präsidenten, der sich weigert zur Kenntnis zu nehmen, dass in Österreich die Regierung gewechselt hat und die Sozialpartnerschaft so oder so tot ist.

Natürlich fungiert "Verzetnitsch" hier nur als Synekdoche, also pars pro toto. Er ist nur die perfekte Inkarnation von allem, was am ÖGB immer schon falsch war. Und damit meine ich ausdrücklich nicht angebliche oder wirkliche "Privilegien" oder ein Penthouse in der Innenstadt! Falsch war am ÖGB immer schon der Glaube, man könne den korporativen Interessen der ArbeiterInnen am besten nutzen, wenn man das Kapital als Partner und nicht als Gegner versteht und gemeinsam - im Interesse des "großen Ganzen" unseres schönen Landes - den "sozialen Frieden" wahrt. Wenn man mal davon absieht, dass dieses Modell an sich schon politisch bedenklich ist (nämlich dann, wenn man den faschistischen Korporatismus als historischen Vorläufer des Neokorporatismus versteht; Robert Menasse hat schon vor Jahren auf die Ähnlichkeit zwischen einer Sitzung der paritätischen Kommission und einer des Großen Rates Mussolinis hingewiesen), war es auch an seiner eigenen Rhetorik gemessen keineswegs das Erfolgsmodell, als das es immer hingestellt wurde: heute ist im Vergleich zu Deutschland (wo die Gewerkschaften ja wenigstens noch punktuell streiken) in Österreich das Preisniveau höher und das Lohnniveau niedriger. Am Ende der Sozialpartnerschaft sind die ArbeiterInnen die ökonomisch von diesem Modell Verarschten.

Aber sie sind auch die politisch Verarschten. Denn der vielbeschworene "Erfolg" des Modells lag ausschließlich in dem zum Selbstzweck erhobenen "sozialen Frieden" - d.h. in der völligen Stillstellung politischer Öffentlichkeit. Das rächt sich in dem Moment, in dem mit einer Schüssel-Khol-Bartenstein-ÖVP und einer Haider-Grasser-Prinzhorn-FPÖ die längst tot und begraben vermutete Figur des "Klassenfeinds" nicht nur fröhlich auferstanden ist, sondern sogar die politische Macht errungen hat und ausbaut, und zwar völlig kompromisslos. Ein im staatstragenden Kompromisslertum sozialisierter ÖGB und eine nach wie vor neoliberal gelähmte SPÖ können dieser Rückkehr des Klassenfeinds nichts anderes entgegensetzen als ein ungläubiges "Ja, dürfen's denn das?".

Kein Bild demonstriert die historische Stillstellung der politischen Öffentlichkeit durch die Sozialpartner deutlicher als jenes demonstrierender GewerkschafterInnen aus der Frühzeit der Antiregierungsdemonstrationen, die, um den Straßenverkehr nicht zu stören, lieber nur am Gehsteig demonstrierten: Wir demonstrieren, aber auffallen wollen wir möglichst nicht dabei. In Österreich gilt es nach wie vor als inopportun, eine politische Meinung auch vernehmbar zu artikulieren. Und die Gewerkschaft hält sich selbst dann noch an dieses historische Stillhalteabkommen, wenn die Gegenseite es längst aufgekündigt hat. Auf dieser von den Gewerkschaften mitverantworteten Sozialpartnerschaftstradition mentaler Depolitisierung - dem österreichischen common sense, wenn es je einen gegeben hat - kann die Regierung mit ihrem Vermummungsverbot wie überhaupt Denunziationen aller Opposition aufbauen. Der ÖGB wird zum Opfer seines eigenen a-politischen Selbstverständnisses.

Natürlich gibt es auch radikalere Strömungen in den Teilgewerkschaften, radikalere Fraktionen und politischere FunktionärInnen. Doch genau im Moment der "Rückkehr des Klassenfeinds" rächt es sich, dass sich der ÖGB auf seiner Führungsebene - blind gegenüber den geänderten politischen Bedingungen - nach wie vor als korporative Interessenvertretung versteht. Uns, so glaubt man dort, gehen nur die ökonomisch-sozialen Anliegen unserer Klientel etwas an. Die meint man nach wie vor durch ein bisschen Protestieren, aber vor allem durch sozialpartnerschaftliches Verhandeln befördern zu können. Damit übersieht man, dass sich die politischen Bedingungen radikal verändert haben und nun nach politischen Antworten verlangen. Die sind nur insofern politisch, als sie a) nicht mehr auf Verhandlung, sondern auf Konfrontation setzen (der Gegner setzt auch auf Konfrontation, und die Verhandlungshuberei des ÖGB bedeutet unter diesen Bedingungen nur Unterwerfung), und b) universalisierungsfähig sind, also das bloße korporatistische Lobbying für die eigene Klientel überschreiten und sich an weitergehende Forderungen der Opposition anklinken. Genau diesen Politisierungsschritt scheut der ÖGB aber vor lauter Angst, die Regierung könnte ihm "Parteilichkeit" vorwerfen.

Dass es auch anders geht, haben - zugegebenermaßen unter weniger konsensneurotischen Bedingungen - die italienischen Gewerkschaften gezeigt. Deren Generalstreik war ein Erfolg, und zwar nicht deshalb, weil er sich scheinbar an einer einzigen sachpolitischen Frage, nämlich dem Kündigungsschutz orientiert hätte (ob sich die Berlusconi-Regierung in dieser sachpolitischen Frage "beeindrucken" lässt oder nicht, ist für den Erfolg des Generalstreiks völlig irrelevant). Der Streik war erfolgreich, weil er gerade über diese Frage hinausreichte und zu einer allgemeinen Mobilisierung der Opposition führte, die diesen Erfolg dringend nötig hatte. Der Kündigungsschutz wurde dabei selbst zum universaleren Symbol des Kampfes gegen die Berlusconi-Regierung als einer Regierung des "Klassenfeinds" in seiner kaum noch zu übertreffenden Reinform.

Warum kann der ÖGB das nicht leisten? Was ist und war schon immer falsch am ÖGB? Der Hauptgrund liegt natürlich in der allgemeinen österreichischen Konsensneurose, an der der ÖGB selbst historische Mitschuld trägt. Das strukturell schwerwiegendste Problem bei ihm selbst liegt aber in seiner europaweit einzigartigen Rolle als Einheits- oder Monopolgewerkschaft: Wenn es de facto nur eine Hyper-Gewerkschaft gibt, können radikalere Gewerkschaften, wie das z.B. in Frankreich der Fall ist, auch nicht als Alternative auftreten bzw. die Mainstream-Gewerkschaften wenigstens zu einer etwas radikaleren Positionierung zwingen. Das Monopol schaltet hier nicht die "freie Wahl" aus, was eine konsumistische Illusion wäre, sondern das Monopol verhindert die politische Radikalisierung und damit Politisierung der Gewerkschaftsbewegung.

Aus all dem - und vor allem aus dem Kriterium politischer Universalisierungsfähigkeit - ergeben sich folgende Konsequenzen (erweiterbar nach Belieben):

1. Entweder das Monopol muss weg oder Verzetnitsch muss weg - am besten aber beide.

2. Nach innen impliziert das zugleich die schon lange geforderte weitgehende innergewerkschaftliche Demokratisierung, denn erst dann haben radikalere Strömungen die reelle Chance, den Gewerkschaftskurs zu beeinflussen.

3. Die Forderung nach Demokratisierung muss selbst wiederum universalisierungsfähig sein: das bedeutet die Umsetzung des passiven Betriebsratswahlrechts für ArbeitnehmerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Bloße Lippenbekenntnisse sollten nicht mehr entgegengenommen werden.

4. Mit dem Wahlrecht ist es nicht getan. Es gibt auch soziale Rechte. Die Gewerkschaft muss sich deren Gleichstellung am Arbeitsmarkt und im sozialen Bereich zum Anliegen machen (von der Öffnung der Gemeindewohnungen bis zur Anspruchsberechtigung bei Sozialhilfe, Notstandshilfe, etc.).

5. Das bedeutet, meint man es ernst, auch eine sofortige Abkehr von der rassistischen und nationalistischen Propaganda zum angeblichen Schutz des nationalen Arbeitsmarkts und ein Ende der de facto-Koalition mit der FPÖ gegen die EU-"Osterweiterung".

6. Die Alternative: Ohne dabei in Protektionismus zu verfallen, muss die Gewerkschaftsbewegung zum aktiven Teil der Anti-Globalisierungsbewegung werden und nationale Politik in diesem Zusammenhang betreiben. Mit der bloßen institutionellen Mitgliedschaft bei ATTAC ist es nicht getan.

7. In Österreich kann sich der ÖGB nur politisieren, indem er sich der politischen Opposition zur ÖVP/ FPÖ-Regierungspolitik anschließt. Die ist aus eingangs erwähnten Gründen nicht unbedingt in der SPÖ zu finden. Die siamesische Zwillingsstrategie der Sozialpartnerschaftsära (wiederum inkarniert von Verzetnitsch, der als ÖGB-Präsident auf einem SPÖ-Ticket im Parlament sitzt) muss endgültig verabschiedet werden.

8. The Union makes us strong? Im Prinzip schon, aber nicht der ÖGB im Dauerschlaf.

Oliver Marchart ist Philosoph und politischer Theoretiker, derzeit an der Universität Basel.

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