Politisches Engagement auf der Anklagebank

In Österreich und in vielen anderen Ländern werden seit einigen Jahren Organisationsparagraphen zunehmend gegen politische Initiativen eingesetzt.

„Vereinigung zu Erpressung“, „Bildung einer Kriminellen Organisation“ oder so ähnlich lauten die Namen von Paragraphen, die in jüngster Zeit immer mehr politischen Aktivist_innen zum Verhängnis wurden. In Österreich und in vielen anderen Ländern werden seit einigen Jahren Organisationsparagraphen zunehmend gegen politische Initiativen eingesetzt. Die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung steht dabei leider an vorderster Stelle.

Organisationsparagraphen und die Innere Sicherheit
Spätestens seit dem 11. September 2001 haben die meisten westlichen Länder Anti-Terror-Gesetzgebungen erlassen. Diese stellen oft eine Sonderform der auf innereuropäischer Ebene spätestens seit 2004 vereinheitlichten Gesetzestexte gegen die Organisierte Kriminalität dar (Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die organisierte Kriminalität). Organisationsparagraphen ahnden keine Gesetzesverstöße im herkömmlichen Sinne. Sie beinhalten vielmehr die Möglichkeit, so genannte Vorfelddelikte unter Strafe zu stellen. Darunter werden Aktivitäten zusammengefasst, die zwar an sich nicht strafbar, aber in Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität mit strafbaren Handlungen verbunden sind und diese fördern. Damit sollten die vermeintlichen „Hintermänner, die sich nicht die Finger schmutzig machen“, dingfest gemacht werden. So ist, wie dies eine österreichische Strafrechtlerin darstellte, das Organisationsdelikt als ein „Glied einer Verlaufsreihe [zu] betrachten, an deren Ende das vollendete Delikt steht“ (Velten 2009).

Die Abstrafung von Vorfelddelikten stellt gewissermaßen eine Vorverlagerung der Strafverfolgung dar. Es werden nicht nur vollendete Verstöße gegen das Strafgesetzbuch verfolgt, stattdessen wird versucht, die Begehung dieser im Vorfeld zu unterbinden und vorbereitende Handlungen ebenso zu ahnden. Organisationsdelikte werden nicht nur genutzt, um ein für Strafverfolgungsbehörden unüberschaubares Feld von politischen Aktivist_innen und Sympathisant_innen zu kriminalisieren. Sie liefern auch gleichzeitig die Legitimation und rechtliche Handhabe zur Überwachung ganzer Bewegungen durch die Polizei. Eine Tatsache, die am folgenden Beispiel noch deutlich werden wird. Auf Organisationsparagraphen, ebenso wie auf Terrorparagraphen im Speziellen, stehen im Vergleich zu den tatsächlich vollendeten Straftaten ungleich höhere Strafen.

Organisationsparagraphen sind ein Teil der Verrechtlichung dessen, was die Europäische Union Ende letzten Jahres im Stockholmer Programm beschlossen hat. Darin ist die neue europäische Sicherheitsarchitektur festgelegt, die den Ausbau der polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit und neue Maßnahmen im Bereich des Datenaustauschs und der Überwachung des Internets vorsieht. Ein zentrales Element ist der so genannte proactive and intelligence-led approach (Justice and Home Affairs: Stockholm Programme). Mit diesem Ansatz sollen mittels Vernetzung und Auswertung der mittlerweile unüberschaubaren Ansammlung an Datenbanken risikoreiche Gruppen und Personen ausgesondert und unter verstärkte Sicherung gestellt werden. Damit sollen Verbrechen bekämpft werden, bevor sie überhaupt ausgeführt werden können. Die konkrete Bestrafung von Vorfelddelikten wird nationalstaatlich durch Organisationsparagraphen geregelt.

Paragraph 278a: Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation
In Ländern wie Deutschland haben Organisationsparagraphen wie der Paragraph 129a schon lange traurige Tradition in der Verfolgung linker Strukturen. In Österreich wurde der Tatbestand der kriminellen Organisation im Strafgesetzbuch erst 1993 verankert, womit auch die einfache Mitgliedschaft in einer kriminell ausgerichteten Struktur strafbar ist. Die ursprüngliche Intention und die hauptsächliche Anwendung des Paragraphen liegen in der Verfolgung von „Organisierter Kriminalität“ in Zusammenhang mit Menschenhandel, so genannter „Schlepperei“, sexueller Ausbeutung von Menschen und „des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld und Suchtmitteln“. Es sollte allerdings einige Jahre dauern, bis Strafverfolgungsbehörden den Paragraphen 278a zur Verfolgung politischer Bewegungen in Anschlag bringen.

Die „Militante Tierrechts Gruppe (MTG)“
Als im Herbst 2006 verschiedene Tierrechtsinitiativen geschlossen zu einer österreichweiten Anti-Pelz-Kampagne gegen das größte Modeunternehmen Kleider Bauer aufriefen und die ersten Protestaktionen abgehalten wurden, schmiedeten Beamt_innen des österreichischen Innenministeriums erste Pläne zur Niederschlagung der Kampagne. In einem Treffen mit dem Management des pelzverkaufenden Modekonzerns Kleider Bauer wurde beschlossen, die regelmäßigen Kundgebungen vor den Geschäften behördlich zu untersagen. Begründet wurde dies damit, dass die Polizei die Sicherheit nicht aufrecht erhalten könne, nachdem in einem Fall nachts eine Kleider Bauer Filiale beschädigt wurde. Da die Tierrechtler_innen aber weiterhin von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machten und die Behörden, wie mittlerweile belegt ist (siehe dazu Resümeeprotokoll vom 05.04.2007), keinen Zusammenhang zwischen den Sachbeschädigungen und den legalen Protesten herzustellen vermochten, wurde der Paragraph 278a zur Kriminalisierung der koordinierten Proteste ins Feld geführt. Ab Herbst 2006 wurde gegen Aktivist_innen der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung nach dem Vereinigungsparagraphen 278a ermittelt. Die Ermittlungen waren von Anfang an von einem großzügigen Einsatz von Überwachungsmaßnahmen begleitet, alles legitimiert durch Paragraph 278a: Abgehörte Mobiltelefone, Funkzellenauswertung, Peilsender auf Autos und Observationen über Monate hinweg. Da dies offenbar nicht zu den gewünschten Erfolgen führte, weiteten die Ermittler_innen die Maßnahmen sukzessive aus. Es wurden nicht nur Finanzermittlungen gegen einzelne Personen und Initiativen eingeleitet, sondern auch mindestens eine Wohnung heimlich verwanzt und Kameras vor Wohnhäusern angebracht, um Gespräche in Privaträumen überwachen zu können bzw. Bewegungsprofile von Aktivist_innen zu erstellen. Im Fadenkreuz der ausschließlich dafür gebildeten polizeilichen Sonderkommission standen mindestens 40 bekannte Aktivist_innen und eine unbekannte Anzahl weiterer Personen.

Im Mai 2008 schließlich stürmten Sondereinheiten der Polizei österreichweit 23 Wohnungen und Büros, durchsuchten diese und nahmen zehn Menschen fest. Nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft und einer enormen weltweiten Solidaritätskampagne wurden die Beschuldigten aus dem Gefängnis entlassen. Ein Jahr später, im Herbst 2009, folgte die Anklage. Obwohl ein Großteil der ursprünglichen Anschuldigungen fallen gelassen wurde, bleibt der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Kriminellen Organisation bestehen. Den Angeklagten wird vorgeworfen, Mitglieder einer seit den 1980er Jahren existierenden kriminellen Struktur zu sein, die von den ermittelnden Beamt_innen mit „Militante Tierrechts Gruppe (MTG)“ betitelt wird. Diese soll sowohl für alle legalen als auch illegalen Aktivitäten im Tierschutz- und Tierrechtsbereich verantwortlich zeichnen. Dabei soll schlicht jede Aktivität im Bereich Tierschutz/Tierrechte ein Beleg zur Mitgliedschaft darstellen. Selbst legale Aktivitäten, wie Kundgebungen polizeilich anmelden und Vorträge organisieren, würden einzig und allein den Zielen der Kriminellen Organisation dienen und seien somit strafbar.

Der Prozess
Ab März 2010 werden erstmals in der Zweiten Republik politische Aktivist_innen wegen eines Vereinigungsdeliktes vor Gericht stehen. Dabei laufen die Ermittlungen in der Tierrechtsbewegung noch immer weiter. Es gab weitere Hausdurchsuchungen, und noch mehr vermeintliche Aktivist_innen werden als Beschuldigte geführt.

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat für den bevorstehenden Prozess über hundert Belastungszeug_innen geladen. Allein schon dadurch ist dafür gesorgt, dass der Prozess für die Angeklagten psychisch unheimlich belastend und finanziell ruinös sein wird. Sie müssen auch im Fall eines Freispruchs für mindestens einen Teil der Anwaltskosten aufkommen. Bei den vorerst 34 (!) anberaumten Prozesstagen wird dies pro Person mehrere 10.000 Euro ausmachen. Darüber hinaus drohen den Aktivist_innen im Fall einer Verurteilung Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Organisiertes politisches Handeln verteidigen!
Doch dabei wird nicht nur über das Schicksal der direkt von Repression Betroffenen gerichtet: Einerseits ist die Unterdrückung oppositioneller Anstrengungen so alt wie das organisierte soziale Engagement selbst. Auf viele Bewegungen, die in ihrer Zeit als radikal galten, weil sie ökonomische Interessen oder herrschende gesellschaftliche Werte in Frage stellten, wurde mit staatlicher Kriminalisierung, Verhaftungen und Unterdrückung begegnet. Andererseits sind im europäischen und nordamerikanischen Kontext klare Bestrebungen erkennbar, Tierrechts- und Tierbefreiungsaktivist_innen mit so massiver Repression zu begegnen, wie kaum einer anderen Bewegung in unseren Breitengraden (siehe Mackinger 2009). Akteur_innen der Bewegung sehen die Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung auch als „Testfeld der Repression“ (Smith 2009). Nach dieser Interpretation ist zu erwarten, dass sich dabei bewährte Überwachungs- und Verfolgungsmethoden in weiterer Folge auch auf andere politische Bewegungen und gesellschaftliche Bereiche ausweiten werden.

Nicht zuletzt daher ist Solidarität mit den von Paragraph 278a Betroffenen unabdingbar!

ANMERKUNG
Weitere Infos zum Fall und zum Prozess: www.antirep2008.tk

LITERATUR
Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die organisierte Kriminalität. (Zugriff 31.01.2010)
Justice and Home Affairs: Stockholm Programme. (Zugriff 31.01.2010)
Mackinger, Christof (2009): „Netcu, Sokos und anderes Hokuspokus. Die europaweite Kriminalisierung der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung“. In: Amir, Fahim/Hackauf, Rainer (hg.): Remember Repression. Politik und Verbrechen in Österreich (und anderswo).´Wien: Löcker Verlag. Erscheint voraussichtlich 2010
Resümeeprotokoll vom 05. April 2007. (Zugriff 31.01.2010)
Smith, Valerie (2008): „Die Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung als Testfeld für Repression“. In: Rote Hilfe Zeitung 4/2008
Velten, Petra (2009): „Organisationsdelikte haben Konjunktur: Eine moderne Form der Sippenhaftung? Banken und Tierschützer vor Gericht“. In: Journal für Strafrecht (JSt), Zeitschrift für Kriminalrecht, Strafvollzug und Soziale Arbeit, Heft 2/2009

Christof Mackinger ist Studierender der Sozialwissenschaften, beschäftigt sich mit Sozialen Bewegungen und verschiedenen Facetten der Gesellschaftskritik. Er ist Aktivist der Basisgruppe Tierrechte und einer der Beschuldigten im gegenwärtigen Paragraph 278a-Verfahren.

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