Öberdösis ÖÖÖ

"Das Kernstück der Präsentation soll die einzig autorisierte Kopie des Österreichischen Staatsvertrages sein. Da dieser Staatsvertrag für viele Österreicher und Österreicherinnen mehr als die Erlangung der Souveränität bedeutet, sollte er auch zum Ausgangs- oder Endpunkt unterschiedlicher Aspekte des Österreich-Bewußtseins werden.

"Das Kernstück der Präsentation soll die einzig autorisierte Kopie des Österreichischen Staatsvertrages sein. Da dieser Staatsvertrag für viele Österreicher und Österreicherinnen mehr als die Erlangung der Souveränität bedeutet, sollte er auch zum Ausgangs- oder Endpunkt unterschiedlicher Aspekte des Österreich-Bewußtseins werden. Die Ausstellung will einzelne Elemente der Wiederfindung der ‘österreichischen Identität’, die mit der ‘Erfolgsgeschichte Staatsvertrag’ verbunden sind, assoziativ darstellen:

- Politische Identität (Neutralität, Tag der Fahne – 26. Oktober, Allgemeine Wehrpflicht/Bundesheer, Österreich als Ort der Begegnung, Europäische Union)

- Kulturelle Identität (Wiedereröffnung der Staatsoper und des Burgtheaters, Spanische Hofreitschule, Wiener Sängerknaben, Neujahrskonzert, Opernball, Bundeshymne)

- Wirtschaftliche Identität: Fremdenverkehr; Verstaatlichte Industrie, Austro-Porsche."

Das ist keine Parodie, sondern Auszug aus einer ganz ernst gemeinten Aussendung des österreichischen Staatsarchivs. Unberührt von allen geschichtswissenschaftlichen Diskursen wird hier ein Österreichbild zelebriert, das sich kaum von demjenigen unterscheidet, das im Jahre 1952 der Nazi Wolfgang Liebeneiner [1] in dem Film "1. April 2000" präsentierte. Hofreitschule, Sängerknaben, Opernball, das war und ist hauptsächlich Touristenprogramm, oder Attraktion, die sich konservative Landbevölkerung fortgeschrittenen Alters auf Wienbesuch als glanzvolles Zentrum eines einfältig-klerikalen Nationalphantasmas vorführen lässt. Austroporsche ist, womit der Haider den Schüssel mit 200 km/h um den Wörthersee im Kreis chauffiert. Fehlte noch die Mozartkugel. Die wird aber für 2006 aufgespart.

2005 wird die Nation gefeiert. Damit das möglich ist, muss man vergessen, dass Nationen Konstrukte sind und nicht danach fragen, wozu sie eigentlich dienen. Derweilen ist gerade die Geschichte des österreichischen Nationalphantasmas ein Lehrstück dafür, wie nationale Selbstdefinition als Effekt momentanen Opportunismus’ entstehen kann. Der Österreich-Nationalismus, in der Zwischenkriegszeit Domäne der Monarchisten und Austrofaschisten, von SozialistInnen und KommunistInnen erst während des Nationalsozialismus entwickelt, diente der Minderheit der NazigegnerInnen als Kampfbegriff gegen Deutschnationalismus und NS-Regime und wurde erst nach der Befreiung zum Identifikationsmodeartikel. Hatte man sich noch 1938 stramm deutsch heim ins Reich gejubelt, fand man dann ab 1945 im Patriotismus für Österreich eine Ausflucht vor Schuldeingeständnis, Reue, Selbstkritik, Hineindenken in die Opfer, Entschädigung. Der Staat Österreich war erstes Opfer des Nationalsozialismus. Und damit irgendwie auch die Wieder-ÖsterreicherInnen, obwohl sie zwischen 1938 und 1945 als stolze Deutsche in – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl – unvergleichlich hohem Maße als TäterInnen für Holocaust und Kriegsverbrechen verantwortlich waren.

Oder wie Leopold Figl, der kommendes Jahr in einer "Österreich ist frei!"-Ausstellung auf der Schallaburg gefeiert werden wird, sagte: "Der Hitlerwahnsinn mit seinem barbarischen Totalitätsanspruch musste an dieser österreichischen Wesenheit scheitern; denn Österreichertum und Barbarei sind absolut unvereinbar. Ernste und ehrliche Forscher haben im Preußentum wesentliche Elemente rassischer Durchsetzung mit mongolischen Elementen festgestellt." [2]

Auf dieser Folie kann die Befreiung als Stunde Null gedacht werden, vor der eigentlich nichts war, was ÖsterreicherInnen angehen würde. Die österreichische Geschichte wird nächstes Jahr fast überall ab 1945 erzählt. Wiederaufbauhelden, Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer versus Besatzungsmächte, vor allem böse Russen. Doch auch dort, wo man sich vornimmt, die Zwischenkriegs- und NS-Zeit nicht auszublenden, wie in der im Belvedere geplanten Ausstellung "Das neue Österreich", dient der geschichtliche Rückblick einer quasihegelianischen Geschichtsphilosophie, in der der schwarzblaue Status Quo zum krönenden Höhepunkt wird, in dem die "Erfolgsstory der zweiten Republik" sich schließlich glücklich ganz erfüllt. So wird das Jubiläum "das Bewusstsein für entscheidende Zukunftsfragen schärfen und als Trampolin für die Zukunft dienen", sagt Kunststaatssekretär Morak.

Unter diesen Vorzeichen haftet selbst der Feier von 60 Jahren Befreiung vom Nationalsozialismus ein schaler Beigeschmack an: Wenn man die Befreiung feiert, muss man dazu sagen, dass sie erbärmlicherweise von einem großen Teil der Bevölkerung als Niederlage empfunden wurde. Dann muss man in den Blick rücken, wie viele derjenigen, die die Befreiung herbeigesehnt und sie erkämpft hatten, sich schon bald danach um den Sieg betrogen fühlten:

die KZ-lerInnen, denen beileibe kein großer Empfang bereitet wurde, im Gegenteil, viele hatten noch Jahre und Jahrzehnte lang mit dem Stigma der "ZuchthäuslerInnen" zu kämpfen;
die PartisanInnen, die nicht nur in ihren sozialrevolutionären und nationalen Kampfzielen enttäuscht wurden, sondern zusehen mussten, wie – in Kärnten noch mehr als anderswo – die Nazielite fast bruchlos die Machtpositionen in der Nachkriegsgesellschaft besetzte; die emigrierten Juden und Jüdinnen, die man weder zur Rückkehr einlud, noch Anstalten machte, Entschädigungen oder Restitutionen für Enteignungen in die Wege zu leiten;
die Überlebenden, die überall auf Verdrängung, Verharmlosung, wenn nicht sogar Rechtfertigung des Massenmordes stießen; die ZwangsarbeiterInnen, die jahrzehntelang keine Entschädigung für die Sklavenarbeit erhielten, deren Ergebnisse dann als Wirtschaftswunder dem Fleiß der Wiederaufbauenden zugerechnet wurden; die Roma und Sinti, die bis heute unter einem virulenten Antiziganismus zu leiden haben, der noch offener und ungenierter geäußert wird, als der – zumindest in seinen subtileren Formen – auch immer noch weithin salonfähige Antisemitismus: 2005 jährt sich der Anschlag auf die Roma in Oberwart zum zehnten Mal.

Der konservative Remix der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts mit Raab und Figl in den Hauptrollen fokussiert "Besatzungsleid und Wirtschaftswunder". Die ÖsterreicherInnen mit den Augen ihrer Opfer zu betrachten, bleibt dem Jüdischen Museum überlassen.

Für das Zustandekommen des Staatsvertrages wird man sich nicht bei den WiderstandskämpferInnen bedanken, sondern bei der Diplomatie, der es gelang, vor allem den Widerstand der Kärntner slowenischen PartisanInnen als den eigenständigen Beitrag des österreichischen Volkes zu seiner Befeiung zu verkaufen, den die Moskauer Deklaration verlangte. Schon wird verhandelt, ob aus Moskau zur Staatsvertragsparty am 15. Mai im Belvedere das Originaldokument eingeflogen werden kann. Die fetischistische Aufmerksamkeit auf Original-Siegel und Unterschriftsfarben bewahrt den Blick davor, den Text zu lesen und dabei festzustellen, dass der österreichische Staat wesentliche Artikel des Vertrages bis heute nicht erfüllt hat. So stellt das österreichische Asylrecht und noch viel mehr die Abschiebepraxis einen eklatanten Verstoß gegen Artikel 6 des Vertrages dar, der verlangt, "allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (…) zu sichern." Vom Fehlen zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten über die unzureichende Auflösung faschistischer und minderheitenfeindlicher Organisationen bis zur unzureichenden Opferentschädigung reichen die "Top Ten der Staatsvertragsbrüche", die Anja Salomonowitz aufgelistet hat. [3] Davon, dass die Staatsvertragsbestimmungen bezüglich der autochthonen Minderheiten längst ausgeweitet gehörten auf die neuen migrantischen Minderheiten, gar nicht zu reden.

Dass dem konservativen Umbau weiter Teile der politischen und sozialen Strukturen nun ein Umbau der Geschichte folgt, dass sich Gegner auch nur lebensweltlicher Liberalisierungen ein Jahr lang an Moral- und Tugendvorstellungen der 50er Jahre erbauen werden, dass statt einer Anpassung der politischen Rhetorik an die längst vielsprachige und multiethnische Alltagswelt einmal mehr aus allen Kanälen nur ÖsterreichÖsterreichÖsterreich tönen wird, ist Grund genug, dass sich etliche Leute seit einiger Zeit die Frage stellen: "Was tun?" Mit spektakulären Gegenaktionen die linken Kampfstiere und -kühe spielen in der nationalen Arena? Mit unbezahlter Diskursarbeit zumindest innerhalb einer kleinen Subkultur Argumente gegen das Jodeljahr entwickeln? Ein Dilemma ist nicht zuletzt, dass Aktionismus sehr genau arbeiten muss, um nicht als Gratiswerbung für die staatstfeiernden Veranstaltungen zu wirken, ein anderes, dass aus einem Gegenjubiläum schnell das Konzept eines Gegen-, weil besseren Österreichs erwächst, und man damit schon in die Nationalismusfalle getappt ist.

Ich vermute also, dass das Jubiläumsjahr weder durch anderes Bejubeln noch durch Buhrufe, und das Gedankenjahr weder durch Denken noch durch Nichtdenken zu bekämpfen ist. Auf ihrem Terrain ist der Selbstinszenierung der Nation im Dienste der Regierung schwer beizukommen. Vielleicht sollte man sich deshalb in diese Arena nicht begeben. Vielleicht sollte man 55 Jahre Oktoberstreik zum Anlass nehmen, in der Geschichte der zweiten Republik nach den Ursachen für die völlig fehlende Kampf- und Streikbereitschaft der ArbeiterInnenklasse zu suchen, um, mit derlei Erkenntnissen bewaffnet, der jubelnden Regierung mit breiten sozialen Protesten gegen ihre heutige Politik in den Rücken zu fallen. Vielleicht sollte man die Genealogie der Kultur des Katzbuckelns und Nörgelns, des Jasagens, der Obrigkeitshörigkeit und Konfliktscheu erforschen und Trainingsprogramme dagegen entwerfen. Am Verführerischsten ist es allerdings, zumindest denkend ein Jahr Urlaub von Österreich zu nehmen und sich lieber mit ganz andren Geschichten zu befassen.


Anmerkungen

[1] Liebeneiner, der für das NS-Regime den Euthanasiepropagandafilm "Ich klage an" gedreht hatte, stellte im Auftrag der Bundesregierung 1952 den Agitationsfilm gegen die Besatzungsmächte "1.April 2000" her, in dem die harmlosen ÖsterreicherInnen völlig unschuldig unter fremde Herrschaft geraten sind…

[2] zitiert nach Sylvia Köchls Artikel "Das muß gefeiert werden!" in MALMOE 23 , zu finden auf www.oesterreich-2005.at

[3] siehe www.oesterreich-2005.at


Tina Leisch ist Film-, Text- und Theaterarbeiterin, lebt in Wien

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