Krieg und Sprache. Zur Ökonomie der Begrifflichkeiten in einer Welt globaler Auseinandersetzungen

In medialen Desinformationsgesellschaften ist die Artikulation einer öffentlichen Meinung weitgehend verschwunden. Sie wird durch Öffentlichkeitsarbeit von jenen ersetzt, die dafür bezahlen. Öffentlichkeit ist zur Ware weltweit operierender Medienunternehmen, Nachrichtendienste und staatlicher Agenturen geworden.

Anfang Juni 2006 begann in Frankfurt eine Veranstaltungsserie mit dem Titel „Wörterbuch des Krieges“. Mehr als hundert Wissenschaftler und Künstler, Theoretiker und Aktivisten aus dem Kultur- und Medienbereich präsentieren 100 Begriffe zum Thema Krieg. Zuletzt in München, demnächst in Graz und danach in Berlin werden diese Konzepte öffentlich vorgestellt. Laut Veranstalter sollen im Rahmen des „Dictionary of War“ Schlüsselbegriffe ausgebildet werden, die in den aktuellen Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle spielen, vernachlässigt wurden oder erst erschaffen werden müssen. Dieses Projekt thematisiert eine Entwicklung, die im Zeitalter der Informationskriege, des Information Peacekeeping und der Militarisierung von Kommunikation auf vielfältige Weise unsere gesellschaftliche Wirklichkeit bestimmt.

Ideologische Aspekte der enzyklopädischen Strukturierung der Welt

Lexika der Sprache implizieren eine Multiplizität des Kontexts von Sprache und Körper in der biopolitischen Ordnung. Jenseits des Anspruchs einer Katalogisierung des menschlichen Wissens ist die enzyklopädische Strukturierung der Welt auch eine ideologische Projektion, und ihre scheinbare Objektivität ein Instrument der Manipulation. Unsichtbar regiert die Zitadelle der Definitionen, diktiert die Diktion, lenkt Sprache und beeinflusst Verhaltensweisen und Normen. Digitale Dictionaries, die das Inventar von natürlichen Sprachen samt ihren Merkmalen abbilden, finden Anwendung in weltweiten automatisierten Überwachungsanlagen (beispielsweise um im Schleppnetz der Suchbegriffe private Telefongespräche auszuwerten). Wörterbücher sind das Radar im semantischen Netz der Informationsflüsse, so wie die Verbindung von Schlüsselbegriffen uns die Navigation im Datenraum ermöglicht. „Das grundlegende Werkzeug zur Manipulation ist die Manipulation von Wörtern. Wer die Bedeutung von Worten kontrolliert, steuert diejenigen, die diese Wörter verwenden müssen“, schreibt der amerikanische Autor Philip K. Dick. Das wissen auch militärische Einheiten der psychologischen Kriegsführung, die Slogans wie „Win with Words“ in ihren Erkennungszeichen führen. Wörter sind Waffen, und in diesem Krieg geht es um Themenhoheit, die Definitionsgewalt über Begrifflichkeit und die Kontrolle der Sprache als Teil von Informationsdominanz.
In einer deregulierten Welt globaler Auseinandersetzungen gibt es keinen Unterschied zwischen Krieg und Frieden. Krieg ist immer und überall. Informationskriege und omni-direktionale low-intensity-Konflikte sind nicht mehr länger lokal eingrenzbar und nutzen das breite Spektrum biopolitischer Instrumentarien. Auch wenn sich eine militärische Vorherrschaft über die zivile Kommunikation u.a. in der Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums und der Funkfrequenzen zeigt, sind Militarisierung und Kommerzialisierung kein Widerspruch. Im Gegenteil. Die neuen Wachstumsindustrien, Sicherheitsdienstleistungen, Private Military Companies und Public Relations verschmelzen zunehmend oder sind über große Wirtschaftskonglomerate eng vernetzt.

Von der Öffentlichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit

In medialen Desinformationsgesellschaften ist die Artikulation einer öffentlichen Meinung weitgehend verschwunden. Sie wird durch Öffentlichkeitsarbeit von jenen ersetzt, die dafür bezahlen. Öffentlichkeit ist zur Ware weltweit operierender Medienunternehmen, Nachrichtendienste und staatlicher Agenturen geworden. Dieser Informationsschauplatz wird von einem Mix homogenisierter Medieninhalte von gleichartigen, sich stets wiederholenden Bildern und andauernd wiederholten Text-Informationen bestimmt. Ein wenig Selbstkritik ist kalkulierter Teil der Strategie. Ein großer Teil des Medienmaterials stammt direkt aus den Labors dieser Propagandaküchen (Expertenschätzungen gehen von einem Anteil von mindestens 40% aus).

Ein Begründer der modernen Public Relations, ausgehend von Ideen der Psychoanalyse, war Edward Bernays, ein Enkel Sigmund Freuds. Im New York der 1920er Jahre brüstete er sich, „den Willen der Massen nach Belieben manipulieren“ zu können, ohne dass sie es auch nur merken würden. Joseph Goebbels, ein eifriger Leser seiner Werke, war begeistert von diesen Möglichkeiten der Sprache: „Worte können geformt werden, um darin Ideen zu verkleiden.“ Heute hat jede bessere Firmenzentrale einen War Room. PR-Konzerne wie Hill & Knowlton, die Rendon Group, L3 oder Omnicon unterstützen Unternehmen, Regierungen und Diktaturen mit einem breiten Spektrum an Dienstleistungen, strategischer Kommunikation und „Truth Projection“. Aber die Inszenierung von Wirklichkeiten geht weit darüber hinaus, die Bevölkerung an Kampfschauplätzen mit Fähnchen auszustatten und sie jubeln zu lassen. „Wir handeln nicht mit Bildern, sondern mit Realität“, sagt Harold Burson. Der Gründer von Burson-Martseller, eines legendären PR-Konzerns, der sich unter anderem auf die Schaffung fiktiver Bürgerinitiativen, „Astroturf“ spezialisierte.

In einer Auseinandersetzung mit taktischer Realität, in einer Welt, die von strategischer Kommunikation dominiert wird, nehmen Wörterbücher und Konzepte der kulturellen Intelligence einen besonderen Stellenwert ein. In einer Ökonomie der Begrifflichkeit, die von Militarisierung und Kommerzialisierung beherrscht wird, scheint für semiotische Demokratie und eine Kultur der Sprache, die auf soziale Veränderungen abzielt, kein Platz zu sein. Begriffe sind die Werkzeuge, um Wirkungskräfte zu analysieren und zu neuen Perspektiven zu gelangen. Es bedarf daher einer Politik der Selbstaneignung von Begrifflichkeiten im Informationskrieg. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Wirklichkeit da zu verändern, wo sie entsteht, in der Sprache und ihren Bildern.

Konrad Becker leitet das Institut für neue Kulturtechnologien/t0 sowie das World-Information.Org Cultural Intelligence-Netzwerk.

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