Kommunikationsguerilla. Transversalität im Alltag?

Kommunikationsguerilla verfolgt ein politisches Anliegen. Sie versucht, die Regeln der Normalität zu kritisieren, indem sie Irritationen und Unklarheiten schafft und damit neue Lesarten für gewohnte Bilder und Zeichen ermöglicht. Die Kritik naturalisierter Machtstrukturen erfordert, diese zunächst einmal sichtbar zu machen - und sichtbar werden sie dort, wo das reibungslose Funktionieren der Zeichensysteme und Interpretationsmechanismen ins Stocken gerät.

Im folgenden finden Sie den ausschnittsweisen Vorabdruck eines Textes der autonomen a.f.r.i.k.a. gruppe, der als ganzes im Dokumentationsband der Konferenz TRANSVERSAL. Kulturarbeit und Globalisierungskritik nachzulesen sein wird: Gerald Raunig (Hg.), TRANSVERSAL. Kulturarbeit und Globalisierungskritik, Wien: Turia+Kant 2003, Erscheinungstermin Jänner 2003, Info und Bestellungen bei @email.

Kommunikationsguerilla verfolgt ein politisches Anliegen. Sie versucht, die Regeln der Normalität zu kritisieren, indem sie Irritationen und Unklarheiten schafft und damit neue Lesarten für gewohnte Bilder und Zeichen ermöglicht. Die Kritik naturalisierter Machtstrukturen erfordert, diese zunächst einmal sichtbar zu machen - und sichtbar werden sie dort, wo das reibungslose Funktionieren der Zeichensysteme und Interpretationsmechanismen ins Stocken gerät. Im Rahmen des Kunstbetriebs allerdings ist das kaum möglich: Der übergreifende Interpretationsrahmen "Kunst" wirkt gleichsam als Schmiermittel, das es dem/r BetrachterIn ermöglicht, auch die gröbsten Provokationen noch glatt hinunterzuschlucken. Die radikale Beschimpfung der etablierten Kunstszene beispielsweise ist als Modus der künstlerischen Avantgarde längst legitimiert und damit entschärft. Das Durcheinanderwirbeln von Bildern und Zeichen durch Einsatz künstlerischer Techniken wird erst dort spannend, wo es den integrierenden Rahmen des Kunstbetriebs verlässt.

"Ist es nicht besser, die Zeichen zu entstellen, statt sie zu zerstören?", fragte einst Roland Barthes. Auch die militant-linke Szene arbeitet sich an Zeichen ab, auch ihre Aktionen sind symbolisch - doch hier geht es um den Gestus des militanten Angriffs, um das Zerstören von Zeichen: Pflastersteine in Schaufensterscheiben von Banken, das obligatorische Trashen einer McDonald's-Filiale, die Schlacht mit Robo-Cops. Die Bedeutung dieser Zeichen-Praxis mit ihrer Inszenierung von Kampf, Revolte, Aufruhr sollte nicht unterschätzt werden. Nicht umsonst fungiert der Riot von Seattle als Zeichen, das die Entstehung einer neuen globalen Bewegung zugleich symbolisierte und katalysierte. Die mediale Verarbeitung dieses Riots katapultierte das Bild eines militanten Widerstandes gegen die abstrakte Alternativlosigkeit der kapitalistischen Ökonomie in die Öffentlichkeit. Dieses Bild - eine Kriegsmaschine, die sich der abstrakten Kriegsmaschine des globalen Kapitals entgegenstellt - entfaltete eine große mobilisierende Wirkung. Gleichzeitig aber ist militanter Widerstand immer schon eingebunden in den Mythos der parlamentarischen westlichen Demokratie. In den bürgerlichen Medien gerinnen die Bilder zu einer Illustration demokratischer Grundprinzipien: "Schuld" an den Straßenschlachten sind einige böswillige Hooligans, die den friedlichen, bunten Protest für ihre Zwecke funktionalisieren.

Der "Schwarze Block" hält sich nicht an die Grundregel des gewaltfreien Protests, die Anerkennung des Privateigentums, die demokratischen Spielregeln, und muss deshalb mit massivem Polizeiaufgebot in seine Schranken verwiesen werden. Das gewalttätige Auftreten der Staatsmacht wird durch diese Argumentationsfigur ebenso legitimiert wie das Recht der GlobalisierungsmanagerInnen, auch weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit Entscheidungen zu treffen.

Am Beispiel der globalen Proteste lässt sich aber auch die Effektivität des taktischen Zeichen-Entstellens zeigen. Bei den Protesten gegen das Weltbanktreffen im September 2000 in Prag schafften es die hüftschwingenden Feen des "Pink Block" nicht nur, in das symbolische "Herz der Bestie" (das Kongresszentrum des Weltbanktreffens) einzudringen - was weder den Tute Bianche in ihren gepolsterten Overalls noch den schwarz gekleideten Kämpfern des Schwarzen Blocks gelang. Sie schufen darüber hinaus Bilder, die die Ikone des steinewerfenden Straßenkämpfers gegen die Polizei ins Absurde verkehrten - der Kämpfer ist eine Kämpferin in Pink, eine Samba-Künstlerin. Ein Jahr später in Genua waren es Marsmenschen, Ufos, die U-NO-SoldatInnen der VolxTheaterKarawane, Bikini Girls, Michelinmänner und andere, die das festgefügte Bild davon, wie eine radikale Demonstration auszusehen und zu agieren hat, entstellt und verfremdet haben.

Wir haben das Gefühl, dass das Selbstbild vieler militanter AktivistInnen die Gefahr birgt, sich vom Rest der Gesellschaft getrennt zu denken: Es entsteht eine aktivistische Subkultur mit eigenen Zeichen, eigenen Werten und eigenen Legitimationsmustern. Widerstand bezieht seine Legitimität aus der Authentizität des eigenen Körpereinsatzes, der Intensität des eigenen Engagements. Die Isolation des aktivistischen Ghettos wird beklagt, gleichzeitig aber wird die "Reinheit" der eigenen Seite ängstlich aufrechterhalten, grenzt die Rhetorik der Konfrontation und des apokalyptischen Millenarismus das AktivistInnenlager vom gesellschaftlichen Mainstream klar ab. Diese Abgrenzung findet auch in den heftigen Diskussionen um Kontakte zu Mainstreammedien ihren Ausdruck, oder in der Mühsamkeit der Versuche, Kontakte mit der Nachbarschaft um besetzte Häuser herzustellen. Man ist, trotz gelegentlicher Zusammenarbeit, misstrauisch, nicht nur gegenüber der oft narzisstischen Kunstwelt, sondern auch gegenüber den "geeks", den CyberaktivistInnen der 90er Jahre, die sich um Veranstaltungen wie den Amsterdamer "next 5 minutes"-Kongress scharten. Ein spielerischerer Umgang mit Zeichen, Bildern und Bedeutungen, das Zulassen von Hybridität und Komplexität könnten dazu beitragen, diese Grenzziehung stellenweise aufzubrechen. In einem optimistischen Szenario könnte die paradoxe Begegnung zweier marginaler gesellschaftlicher Bereiche, der Kunstszene und des Polit-Aktivismus, zur Entstehung eines transversalen Kunst-Polit-Aktivismus Anlass geben, der die Grenzen und Beschränkungen der jeweiligen Szenen überwindet.

Im Oktober 2000 ließ das Museum for Contemporary Art in Barcelona eine Serie von Workshops zum Thema "Direkte Aktion als eine der schönen Künste" kuratieren, die sich zu einem zweiwöchigen AktivistInnentreffen entwickelte. [www.lasagencias. net] Zunächst von vielen "gestandenen" AktivistInnen misstrauisch beäugt, gingen aus dieser Veranstaltung mehrere politische Projekte hervor, die bis heute aktiv sind - ninguna es ilegal veranstaltete 2001 ein Grenzcamp am Südzipfel von Spanien [www.sindominio.net/ninguna], wo Tausende von afrikanischen Flüchtlingen ankommen, indymedia Barcelona [barcelona.indymedia. org] gründete sich, und es entstand ein Zusammenhang, der sich an den Protesten gegen das geplante und dann abgesagte Weltbanktreffen mit grafischen und theatralischen Mitteln beteiligte. Es ist kein Zufall, dass bei solchen Gelegenheiten entstehende Projekte oft Formen und Techniken der Kommunikationsguerilla verwenden, Formen, die zur lustvollen Aneignung künstlerischer Methoden in der politischen Arbeit ebenso anregen können wie zum politisch effektiven Einsatz von künstlerischen Potenzialen.

Das Umfeld der globalen Proteste schafft einen eigenen sozialen Raum in Form einer aktivistischen Subkultur, die nationale Grenzen überschreitet und sich über vielfache digitale und leibliche Vernetzung konstituiert. Manchmal scheint es, als sei die Vernetzung selbst und die Beherrschung ihrer Werkzeuge (noch) das wichtigste Resultat dieser Bewegung. Auch die "Kunstszene" stellt ein Nebenzimmer in diesem sozialen Raum bereit. Man trifft sich wieder - nicht nur beim nächsten globalen Protest, sondern auch bei Biennalen und Filmfestivals, auf der Documenta und der Ars Electronica. Noch ist die Wechselwirkung von Kunst- und Politszenen punktuell, vermittelt über einige wenige, zwischen Kunst und Politik oszillierende HyperaktivistInnen. Eine stärkere Wechselwirkung, die zum Ausgangspunkt einer breiteren transversalen Praxis werden könnte, wird sich in konkreten Projekten entwickeln müssen. Das gegenwärtige Interesse der Kunstszene am "wirklichen sozialen Leben" kann dafür einen Anstoß bieten; auch die Möglichkeiten, mit widerständigen Praktiken auf dem Kunstmarkt zu reüssieren, werden eine Rolle spielen. Ob mehr daraus wird, bleibt abzuwarten.

Infos zur Praxis von Kommunikationsguerilla im Handbuch der Kommunikationsguerilla oder unter http://www.contrast.org/KG/

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