Kommt herunter, reiht Euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen

Spätestens seitdem der Umbau des Stuttgarter Bahnhofs die dortige Bevölkerung aufgescheucht und der jüngste Castor-Transport durchs Wendland der Anti-Atomkraftbewegung zu neuer Stärke verholfen hat, ist in Deutschland von einer neuen Protestkultur die Rede. Fasziniert zeigen sich die bürgerlichen Medien dabei von der heterogenen Zusammensetzung der Proteste, weisen diese doch weit über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinaus.

Spätestens seitdem der Umbau des Stuttgarter Bahnhofs die dortige Bevölkerung aufgescheucht und der jüngste Castor-Transport durchs Wendland der Anti-Atomkraftbewegung zu neuer Stärke verholfen hat, ist in Deutschland von einer neuen Protestkultur die Rede. Fasziniert zeigen sich die bürgerlichen Medien dabei von der heterogenen Zusammensetzung der Proteste, weisen diese doch weit über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinaus. In der „Dagegen-Republik“ wird nicht nur eine tief greifende Krise des repräsentativen Systems konstatiert, sondern zunehmend auch der Blick auf die Proteste selbst gerichtet. Hier ist es vor allem die Frage nach dem Zusammenhang von Form und Inhalt, welche die einzelnen Protestaktionen begleitet und manchmal wohlwollend, manchmal ablehnend beantwortet wird. Dass sich hierbei nicht so einfach die Grenze zwischen „legitimen“ und „illegitimen“ oder – noch verkürzter – zwischen gewalttätigen und gewaltfreien Protestformen ziehen lässt, zeigt das bereits im letzten Jahr von Klaus Schönberger und Ove Sutter herausgegebene Buch „Kommt herunter, reiht Euch ein …“ In dem Sammelband werden aus einer historisch-kritischen Perspektive heraus unterschiedliche Protestformen untersucht: von der Straßendemonstration über den Streik bis hin zur Tortung als genuiner Akt politischen Protests.

Bemerkenswert erscheint dabei vor allem der bisherige Mangel vergleichbarer Untersuchungen in der sogenannten Bewegungsforschung. Zwar konnte sich diese mit dem Erfolg der neuen sozialen Bewegungen seit Ende der 1960er Jahre eines vermehrten Interesses erfreuen, jedoch blieb die Frage nach den spezifischen Protestformen und deren Einfluss auf die jeweiligen Bewegungen weitgehend ausgespart. So zeigt etwa der Beitrag von Sebastian Haunss, dass Protest zwangsläufig die bestehenden Regelsysteme in Frage stellen muss, dies allerdings in einer Form, mit der sich genügend Leute identifizieren können. Hieraus ergeben sich neue Bedingungen in einer zunehmend mediatisierten Welt, wobei die medialen Protestformen nicht alleine auf Radio, Fernsehen oder das Internet reduziert werden können. Vielmehr zeigt das Buch sehr eindrücklich, inwieweit auch Kleidung, Musik, Flaggen, Plakate oder Graffiti mediale Ausdrucksformen von Protest sein können und als solche auf eine lange Tradition zurückblicken. Dass neue Medientechniken trotzdem eine gewichtige Rolle spielen, beschreibt Andrej Mischerikow, wobei er zu dem Schluss kommt, dass diese von den sozialen Bewegungen in erster Linie zur internen Kommunikation, Informationsverbreitung und Mobilisierung genutzt werden und weniger als Ort politischer Aktionen selbst.

Gemeinsam ist allen Beiträgen eine historisch-informierte Herangehensweise, zumal das Buch von der Vorstellung getragen ist, aus den Fehlern vergangener Proteste zu lernen, um diese nicht als Farce zu wiederholen. In ihrer „kleinen Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen“ ziehen die Herausgeber dann auch ein erstes – vielleicht nicht ganz befriedigendes, dafür umso konsequenteres – Fazit: So kann eben kein allgemein gültiger Zusammenhang zwischen dem Erfolg von Protesten und spezifischen Protestformen aufgezeigt werden, sondern das Potenzial einzelner Proteste ergibt sich aus dem jeweiligen historischen, aber auch soziokulturellen Kontext. Es besteht also kein Rezept für den richtigen Einsatz von Protestformen, da diese sich schwer in allgemein anwendbare Definitionen oder Kategorien zwängen lassen. Aufgrund ihres dynamischen und weitgehend offenen Charakters laufen sie immer auch Gefahr, von der falschen Seite vereinnahmt zu werden. Jedoch eröffnet sich für soziale Bewegungen dadurch die Chance, selbst in das Spiel des Symbolischen einzugreifen und auf der Ebene der Zeichen zurück zu schlagen.

Klaus Schönberger/Ove Sutter (Hg.): Kommt herunter, reiht Euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2009

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