Freie Medien in Salzburg: die Radiofabrik

<p>Erster Unterschied: Während sich in Wien an nackten Verkehrsschildstangen am Wochenende ein Füllhorn an Tageszeitungen um zahlende oder „sparende“ LeserInnen drängelt, sind es in Salzburg-Stadt nur zwei. Ok, drei, zählt man Österreich mit. Schlechtes Gewissen wegen des Diebstahls? Nicht angebracht. Wenn auch ungewollt, steigere ich Auflage und Reichweite. Steigere die Preise für Anzeigenkunden. Und bin angeblich einkalkuliert. Im faktisch heiß umkämpften

Erster Unterschied: Während sich in Wien an nackten Verkehrsschildstangen am Wochenende ein Füllhorn an Tageszeitungen um zahlende oder „sparende“ LeserInnen drängelt, sind es in Salzburg-Stadt nur zwei. Ok, drei, zählt man Österreich mit. Schlechtes Gewissen wegen des Diebstahls? Nicht angebracht. Wenn auch ungewollt, steigere ich Auflage und Reichweite. Steigere die Preise für Anzeigenkunden. Und bin angeblich einkalkuliert. Im faktisch heiß umkämpften österreichischen Zeitungsmarkt. Die Abwesenheit des Platzhirsches Salzburger Nachrichten in der Folientasche lässt vermuten, dass die SN ein weniger anzeigenabhängiges Geschäftsmodell hat. Zweiter Unterschied: Der Briefkasten quillt über. Ein gutes Dutzend Bezirks- und Grätzelblätter, Infomags von Stadt, Land – und was weiß ich noch von wem - füllen den Altpapiercontainer. Und sind – Surprise, Surprise! – manchmal journalistisch ambitioniert. Ich kann mich nicht erinnern, in einem Wiener Bezirksblatt jemals einen Innenpolitikteil gefunden zu haben. Mit recherchierten Artikeln. Mit Niveau. Selten. In Salzburg geht das. Vermutung: Der Arbeitsmarkt für Journalisten ist in Salzburg eng. Gute Leute schreiben für Medien, deren Verbreitung hart an der Landesgrenze endet.

Sie merken, ich bin kürzlich von Wien nach Salzburg migriert. Und wundere mich. Wundere mich zum Beispiel über ratlose Suggestivfloskeln Salzburger JournalistInnen, die auf die Frage, was einem denn HIERHER verschlagen habe?, Erklärungen wie „Liebe“, „Erbschaft“ oder „Lebenskrise“ erwarten. Und nach der falschen Antwort – „Job“ – einem selber Herz und Magen über „Kinder“, „Pergola“ und „Karriereknick“ ausschütten. Ich habe selten einen Ort erlebt, wo sich Menschen – für den Aufenthalt an demselben – so ausdauernd entschuldigen.

Um mich endgültig um Kopf und Kragen zu schreiben: Salzburg bietet eine hübsche Kulisse. So man im richtigen Stadtteil wohnt. Bietet großartige Gebirgslandschaften in Umgebung. So man motorisiert ist. Der öffentliche Verkehr ist - nennen wir es - ausbaufähig. Hat eine vitale Kulturszene. So sie „festspielkompatibel“ am Establishment dockt. So lauten die Klischees. Meine Klischees. Die Wahrheit liegt nach einigen Monaten Erfahrung vor Ort – wie so häufig – irgendwo in der Mitte.

Tiefenpsychologischen Aufschluss bot kürzlich ein Statement einer Lokalpolitikerin. Im privaten Gespräch. „Freie Medien seien zu fördern, um vor allem Jugend zu halten“. Die Angst, als „good place to come from“ die Kreativindustrie „somewhere fucking else“ zu befeuern, scheint angekommen zu sein. Wirklich?

Zehn Jahre Radiofabrik On-Air – als bisher einziges freies Medium des Landes – zeichnen ein ambivalentes Bild. Einerseits ist das Radio unbestritten. Mit 260 MacherInnen, fast allen relevanten Institutionen der Stadt und Umgebung an Bord, hat das Projekt große Akzeptanz. Und Relevanz. Die weit über eine Rolle hinausgeht, die vergleichsweise Orange 94.0 in Wien – mit mehr als zehnmal so großer Population – spielt. Spielen kann durch größere Konkurrenz und Angebot.

Ich treffe überall Menschen, die Radiofabrik machen, gemacht haben, oder machen wollen. Ältere, jüngere. Zweifellos ist zumindest die Salzburger Jugend-, Kultur- und Jugendkulturszene in einer Penetranz und mit Bezug zu diesem kleinen Radio durchsetzt, dass ich nur staunen kann. Bewährt hat sich die langjährige enge Kooperation mit der ARGEkultur (vormals Arge Nonntal), dem größten Salzburger Kulturzentrum. Bei aller Rivalität – zwischen „Friendly Fire“ und „Unfriendly Takeover“ – steht besonders über den Neubau der ARGE eine Infrastruktur zur Verfügung, die der Radiofabrik ein professionelles Erscheinungsbild als professioneller Betrieb ermöglicht. Ein Modell, bewährt auch in Linz im Verhältnis zwischen Stadtwerkstatt und Radio Fro.

Beibehalten wurde die basisdemokratische Mitbestimmung der Communities am Betrieb: Die Radiofabrik gehört ihren MacherInnen. Es ist möglich, Vorstände zum Rücktritt zu zwingen. Leitung - bei fehlendem Rückhalt und betrieblichem Versagen - hinauszuwerfen. Alles geschehen 2007: Der ehemalige Vorstand wurde ersetzt, die Geschäftsführung kündigte. Aus meinem Verständnis sollte kein „Freies Medium“ auf Prinzipien von checks and balances verzichten. Heißt es doch: „Freie Medien sind selbstbestimmt und selbstorganisiert“. Was vom Sinn her auch die Einflussmöglichkeit von Programm-MacherInnen auf betriebliche Strukturen vorschreibt. Wenn beispielsweise meines Erachtens nach -und wie von mir schon mehrfach kritisiert – OKTO.tv und Orange 94.0 dieses Prinzip nach wie vor verletzen, indem Vorstände keiner Kontrolle der Basis unterliegen, lässt sich das auch als Ausdruck von Schwäche und Misstrauen den eigenen Communities gegenüber verstehen.

Frustrierend ist nach einer Dekade die budgetäre Situation der Radiofabrik. Zwar ist es gelungen, über langjährige Acquise einen der größten und erfahrensten EU-Projektbetriebe des Landes aufzubauen und sich Autarkie von nationalen und lokalen FördergeberInnen zu erwirtschaften. Nur: So allein lässt sich ein Radio nicht nachhaltig aufrechterhalten. Während die Stadt-Salzburg sich inzwischen merkbar engagiert – die Radiofabrik hat eine „mittelfristige Fördervereinbarung“ mit mehrjährigen Laufzeiten –, sind Zuschüsse vom Land kaum vorhanden. Unverständlich, hebt doch das Land eine Landesmedienabgabe – Aufschlag auf die ORF-Gebühren im Ermessen einer Landesregierung – in Millionenhöhe ein. Und gibt die Mittel ungewidmet aus.

Die Radiofabrik versucht zum Zeitpunkt einen politischen Prozess einzuleiten, der diesen Umstand behebt. Erfolge sind erst nach den kommenden Landtagswahlen im März 2009 zu erwarten.

Oskar Kokoschka verlangte in den 1950ern als Leistung für Gründung der Sommerakademie: ein Haus – ein adäquates Gehalt. Dem ist nichts hinzuzufügen ...

Alf Altendorf ist seit März 2008 Geschäftsführer der Radiofabrik Salzburg

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