VorRisse

„Organize the Unorganized!“ – dieser Slogan der US-amerikanischen Gewerkschaftsreformbewegung bestimmt wie kaum ein anderer die aktuellen Debatten rund um die Frage der Möglichkeit einer gewerkschaftlichen Erneuerung. Die Brisanz des Themas selbst resultiert dabei aus dem Trend zur Auflösung gewerkschaftlicher Organisierung, der mit dem Prozess der Prekarisierung einhergeht.

„Organize the Unorganized!“ – dieser Slogan der US-amerikanischen Gewerkschaftsreformbewegung bestimmt wie kaum ein anderer die aktuellen Debatten rund um die Frage der Möglichkeit einer gewerkschaftlichen Erneuerung. Die Brisanz des Themas selbst resultiert dabei aus dem Trend zur Auflösung gewerkschaftlicher Organisierung, der mit dem Prozess der Prekarisierung einhergeht. Während nämlich letzterer über die Jahre hinweg eine unorganisierte und vielfach als „unorganisierbar“ geltende ArbeiterInnenschaft neuen Typs heranwachsen ließ, verabsäumten es die Gewerkschaften, diesem Wandel ihrer sozioökonomischen Rahmenbedingungen adäquat Rechnung zu tragen. Erst heute, wo ihr gesellschaftlicher Vertretungsanspruch aufgrund des massiven Mitgliederschwunds zunehmend infrage steht, gewinnt die Diskussion um die Entwicklung neuer Formen der Organisierung auch in gewerkschaftlichen Kontexten an Bedeutung.

Die Dringlichkeit eines solchen Umdenkens macht Klaus Dörre in seinem einleitenden Text zum Heftschwerpunkt anhand einer Auseinandersetzung mit den vielfältigen Facetten gegenwärtiger Prekarisierungsprozesse deutlich. Als Modell, an dem sich ein gewerkschaftliches Agieren in diesem Zusammenhang orientieren könnte, führt nicht nur er, sondern auch Susanne Pernicka in ihrem Artikel zu den diesbezüglichen Entwicklungen im ÖGB den in den USA entstandenen Organizing-Ansatz ins Feld. Wie dieser in der Praxis funktioniert, zeigt Efthimia Panagiotidis in ihrem Beitrag – und zwar anhand eines von der Gewerkschaft ver.di in Hamburg realisierten Pilotprojekts. Ihre Erfahrungen als Organizerin in besagtem Projekt versucht Panagiotidis dabei für die politische Arbeit sozialer Netzwerke produktiv zu machen. Damit angesprochen ist die dem Aufbegehren prekär Arbeitender und Lebender politisch Ausdruck verleihende Euromayday-Bewegung, welche Martin Birkner und Birgit Mennel in ihrem Schwerpunkttext einer Reflexion unterziehen. Ein anderes Beispiel für eine erfolgreiche (Selbst-)Organisation von Prekarisierten behandelt Luzenir Caixeta in ihrem Artikel zu maiz, dem in Linz lokalisierten Zentrum von und für Migrantinnen, die vielfach in umfassend prekarisierten Dienstleistungssektoren wie der Sexindustrie oder dem Reinigungsgewerbe arbeiten. Vergleichbar den Workers Centers in den USA verbindet sich in den Aktivitäten von maiz dabei der Kampf gegen Rassismus mit jenem für bessere Arbeitsbedingungen. Dass die österreichischen Gewerkschaften in diesem Kampf bislang kaum als Verbündete gelten konnten, wird bereits an der eklatanten Unterrepräsentation von MigrantInnen im ÖGB und v.a. in dessen Spitzengremien deutlich, was in vergleichbarer Weise auch für Frauen gilt. Alexandra Weiss führt diesen Umstand in ihrem Text auf den Maskulinismus innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zurück und betont die Notwendigkeit einer feministischen Reflexion gerade im Zusammenhang mit Organisierungsfragen. Abgerundet wird der Heftschwerpunkt schließlich durch zwei Beiträge, die sich spezifisch mit den Arbeitsbedingungen und Organisierungspotenzialen im Bereich der Creative Industries (CI) auseinander setzen: Während Nicole Mayer-Ahuja dieser Frage am konkreten Beispiel der Internetbranche in Deutschland nachgeht, beschäftigen sich Elisabeth Mayerhofer und Monika Mokre auf einer abstrakteren Ebene mit möglichen Modellen des Organizings in den CI.

Inwiefern die österreichischen Gewerkschaften dazu in der Lage und v.a. bereit sind, auf die hier skizzierten Herausforderungen zu reagieren, wird sich Ende Januar 2007 zeigen, wenn der ÖGB-Bundeskongress „die Weichen für den ÖGB Neu“ stellen soll. Ob die Delegierten die vielbemühte „Krise“ dann tatsächlich „als Chance“ nutzen werden, bleibt abzuwarten. Klar hingegen ist schon jetzt, dass die (Selbst-)Organisierung der Prekarisierten unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung einer Politik der Entprekarisierung sein wird. Denn nicht umsonst reimt sich das „Nicht Organisieren“ bei Bernadette La Hengst so treffend auf „Verlieren“.

Ähnliche Artikel

grüne Ampel in Form einer Faust Mit der Sozialpartnerempfehlung legen Gewerkschaft GPA und IG Kultur erstmals gemeinsame Empfehlungen zur Entlohnung von Kulturarbeit und Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen vor. Angesichts der herrschenden Rahmenbedingungen in der Förderpraxis scheint deren Umsetzung vielen utopisch. Am 22. Februar laden wir gemeinsam mit der GPA zu InfoSession und Austausch, wie wir diesem Ziel einen Schritt näher und von der Utopie zur umsetzbaren Praxis kommen können – ohne Kahlschlag im kulturellen Angebot.
Schulterschluss IG Kultur GPA In kaum einem Sektor mangelt es so stark an sozialer Absicherung wie im Kunst und Kulturbereich. Um dem entgegenzuwirken gibt es nun einen historischen Schulterschluss zwischen IG Kultur und GPA: Die erste Sozialparnerempfehlung für die freie Kulturarbeit.
In einem historischen Schulterschluss präsentieren Gewerkschaft GPA und IG Kultur die erste Sozialpartnerempfehlung für die freie Kulturarbeit in Österreich.