Unzeitgemäße Utopien

Es gibt tatsächlich, wie Maria do Mar Castro Varela in ihrem Buch feststellt, keine Vorarbeit, auf die sich ihre Untersuchung zur Utopie der Migrantinnen stützen könnte. Sie steht mit ihrer Problemstellung gewissermaßen im breiten Migrationsdiskurs alleine da, nicht nur deswegen, weil die Utopien – als „Zukunft denken“ verstanden – von in rassistischen Ausnahmesituationen agierenden MigrantInnen ein besonderes schwer zu betretendes diskursives Terrain sind, sondern auch deswegen, weil heutzutage für gewöhnlich die Frage der Zukunft nur als die Bestätigung des Bestehenden gedacht wird.

Es gibt tatsächlich, wie Maria do Mar Castro Varela in ihrem Buch feststellt, keine Vorarbeit, auf die sich ihre Untersuchung zur Utopie der Migrantinnen stützen könnte. Sie steht mit ihrer Problemstellung gewissermaßen im breiten Migrationsdiskurs alleine da, nicht nur deswegen, weil die Utopien – als „Zukunft denken“ verstanden – von in rassistischen Ausnahmesituationen agierenden MigrantInnen ein besonderes schwer zu betretendes diskursives Terrain sind, sondern auch deswegen, weil heutzutage für gewöhnlich die Frage der Zukunft nur als die Bestätigung des Bestehenden gedacht wird. Gedacht wird das, was ist, damit das, was ist, so bleibt, wie es ist. Und Punkt! Nur die Wiederentdeckung der Zeitlichkeit lässt eine Theorie, die für sich einen Anspruch der Wirksamkeit außerhalb der eigenen diskursiven Bunker erhebt, wieder einmal als das erscheinen, was sie seit jeher zu sein beanspruchte: eine Äußerung entstanden aus dem Begehren nach Veränderung. Die Vergangenheit, die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Subjektes MigrantIn ist ein wichtiger Bestandteil dieses Unterfangens. In diesem Sinne ist es nicht zufällig, dass es zunehmend ForscherInnen-MigrantInnen gibt, die sich den Fragestellungen der Historisierung der Geschichte von MigrantInnen als Subjekte widmen.

Das Buch von Maria do Mar Castro Varela eröffnet den Zugang zu einem weiteren Feld: einem, wo das Subjekt der MigrantInnen von der Zukunft her, aus der Position dessen, was es Anderes, Besseres sein kann, gedacht wird. Diese Perspektivierung ermöglicht einen Durchblick durch das Bestehende: Es ist, egal ob auf Deutschland, Österreich oder die Europäische Union geschaut wird, überall die gleiche Apartheid am Werke. Die einen herrschen, und die anderen werden beherrscht. Zwar noch nicht so hart wie an der Peripherie, weil der Transfer von materiellen Gütern von dort in Richtung des Reichtums hier – noch immer militärisch befestigt mit humanitärem Interventionismus – blendend funktioniert, aber unerbittlich genug, damit es unveränderlich erscheint. Die Utopie besagt aber eines: Egal ob dort oder hier, eines Tages wird es anders sein. Um diese Andersartigkeit voranzutreiben, lohnt es sich, die Wurzeln in der Vergangenheit zu untersuchen und aus der unmittelbar stattfindenden Zukunft auszugraben. Das, was einmal festgestellt wurde, hätte auch anders sein können, und wenn das damals nicht passiert ist, kann es sich heute oder morgen ereignen.

Die Utopie der Migrantinnen weist mehrere Richtungen auf: Zunächst geht es darum, sich einmal mit der von der Aufnahmegesellschaft aufgeworfenen Frage des Selbst zu beschäftigen. Gibt es Identitäts-Politiken? Was sind die „Wurzeln“ der Migrantinnen? ... All das gehört dazu. Weiters geht es darum, sich die Grenzen zu vergegenwärtigen und daraus etwas Anderes zu entwickeln. Und nicht zuletzt geht es darum, die schon bestehenden utopischen Entwürfe im Alltag zu entdecken. Entlang des Foucaultschen Heterothopiegedankens erhellt die Autorin des Buches ein Spektrum von Raumdenken bei Migrantinnen. Die Zeit, die Perspektivität, die mit dem Gedanken der Utopie an Zukunftsmöglichkeiten gewinnt, nistet sich durch ein emsiges Entwerfen von Raum in der Gegenwart ein. Die gelebten Räume, die Schutzräume, die erträumten Räume, die politischen Räume, die Räume, die das schon Verwirklichte innerhalb des Entstehenden darstellen. Das Buch von Maria do Mar Castro Varela eröffnet selbst viele diskursive Räume, die zum Weiterdenken zwingen. Insofern handelt es sich um ein Buch, das einen Diskurs setzt und nach einer unmittelbaren Fortsetzung in der Praxis ruft.

Maria do Mar Castro Varela: Unzeitgemäße Utopien. Migrantinnen zwischen Selbsterfindung und gelehrter Hoffnung. Bielefeld: transcript 2007

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